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Montag, 28. November 2011

„Der Vulkan“ von Shusaku Endo

Mit „Der Vulkan“ erzählt Shusaku Endo die Geschichte von zwei in die Jahre gekommenen Männern. Suda hat sich die letzten Jahre als Abteilungsleiter eines meteorologischen Instituts so intensiv mit dem Vulkan Rotgipfel auseinandergesetzt, dass er sich den Spitznamen „Geist des Rotgipfels“ eingefangen hat. Mit seiner Pensionierung fehlt ihm eine Aufgabe. Da ist er dankbar, dass der Stadtverordnete Aiba für ihn Verwendung hat: Aiba plant ein Hotel am Rotgipfel und Suda als Vulkanexperte soll bestätigen, dass der Vulkan nicht mehr ausbrechen wird. Suda erachtet den Rotgipfel als sein Spiegelbild: Beide sind alt und müde geworden.

Der exkommunizierte, ehemalige katholische Priester Durand dahingegen sieht im Rotgipfel die Bedrohung durch das Böse. Jedoch verspürt Durand keine Angst vor einem Ausbruch – er ist derart verbittert, dass er einen Ausbruch regelrecht herbeisehnt. Insbesondere da Pater Sato am Rotgipfel einen Ort der inneren Einkehr für die katholischen Gläubigen schaffen will.

Als Suda einen Herzinfarkt erleidet, werden er und der schon seit längerer Zeit kranke Durand Zimmernachbarn im selben Krankenhaus. Die Begegnungen der beiden sind marginal, doch parallel erleben sie die letzten Enttäuschungen, bevor sich das Leben zum Ende neigt. Suda muss feststellen, dass sich seine Frau und sein Sohn von ihm entfremdet haben. Mehr noch: Sie sehen in Suda nur noch eine kranke Person, die durchgefüttert werden muss. Auch die jahrelange wissenschaftliche Arbeit am Rotgipfel erweist sich als eine Farce: Entgegen Sudas Annahme ist der Vulkan nicht dabei, zu erlöschen.

Durand reflektiert über seine Boshaftigkeiten der letzten Jahre. Doch statt sich auf seine alten Tage eines Besseren zu besinnen, führt er die Gläubigen aus Pater Satos Gemeinde vor. Dafür plagt ihn die Angst, nach seinem Tod in der Hölle zu schmoren.

Der katholische Autor Shusaku Endo thematisiert mit „Der Vulkan“ unter anderem die Auslebung des katholischen Glaubens in Japan: Sind die Japaner ohne eine westliche Vorstellung von Sünde denn überhaupt fähig, Reue zu empfinden? Und wozu sollte man beichten, wenn man ohnehin keine Reue fühlt?

Die Moral der Geschichte ist nicht offensichtlich. Doch es scheint fast so, als ob Shusaku Endo doch etwas mit dem Enfant terrible Durant sympathisiert. Durant setzt mit seinem Selbstmord seinem unangepassten Leben ein entsprechendes Ende und wird im Gedächtnis der Leute bleiben. Der brave Suda hingegen, der sich einem Leben der Mittelmäßigkeit verschrieben hatte, wird nach seinem Tod sofort vergessen sein.

Sonntag, 27. November 2011

„Knabenjagd“ von Taeko Kono

Taeko Konos „Knabenjagd“ enthält neben der gleichnamigen Erzählung vier weitere namens „Krabben“, „Die letzten Stunden“, „Die Flut“ und „Eisenfisch“.

„Knabenjagd“ ist wohl die bekannteste Erzählung von Taeko Kono und auch ihre verstörendste: Akiko verspürt eine enorme Abneigung gegen kleine Mädchen im Alter zwischen drei und zehn Jahren. Umso mehr fühlt sie sich zu kleinen Jungen hingezogen. Am Ziel, Opernsängerin zu werden, ist Akiko gescheitert. Mit Übersetzungen verdient sie mehr schlecht als recht. Ihre forsche Art findet einen krassen Gegenpol in ihrer Sexualität: Sie liebt es, von ihrem Partner geschlagen zu werden. Die Brutalität der sadomasochistischen Praktiken steigert sich von Mal zu Mal. Die masochistisch veranlagte Akiko läuft Gefahr, ihre Lust mit dem Leben zu bezahlen. Vielleicht schlummert auch insgeheim dieser Wunsch in ihr. Denn auch in ihrer liebsten Fantasie wird ein kleiner Junge zu Tode geschlagen.

Yuko ist die Protagonistin in „Krabben“. Sie erholt sich gerade von ihrer Tuberkulose und bittet ihren Ehemann Kajii darum, zur Kur ans Meer fahren zu dürfen. Hier fühlt sie sich wie befreit und könnte sich gar vorstellen, ihren patriarchalischen Mann zu verlassen und in dem Küstenort neu anzufangen. Als ihr Neffe Takeshi mit seinen Eltern zu Besuch kommt, erreicht sie mit dem Versprechen, mit ihm Krabben suchen zu gehen, dass er bei ihr zwei Tage verbringt, bis Kajii sie aufsuchen wird. Doch das scheinbar einfache Unterfangen, am Strand eine Krabbe zu finden, erweist sich als ein Projekt der Unmöglichkeit.

„Die letzten Stunden“ sind die von Noriko, die in 26 Stunden sterben soll. In dieser Situation beginnt sie über ihre Ehe mit Asari nachzudenken. Die Ehepartner lieben sich, aber im Alltag gibt es keine Auseinandersetzungen. Noriko nimmt gar von ihrer Vorgängerin vergessene Gegenstände dankbar als Geschenke von Asari an. Kann man dies als eine richtige Ehe bezeichnen? Oder sind sie nur eine Frau und ein Mann, die zusammenleben?

Ein 12-jähriges Mädchen erlebt in „Die Flut“ den Beginn des zweiten Weltkriegs, der in Kontrast zum beschaulichen Leben zuvor illustriert wird. Kriegsschiffe halten eine Parade ab, die Kinder werden auf Tapferkeit und Fleiß eingeschworen, Feuerwerke dürfen nicht mehr stattfinden, der Klassenlehrer wird eingezogen und für die Schuluniform kann nur noch minderwertiger Stoff verarbeitet werden.

Die Frau hat ihren Ehemann verloren, da er in den „Eisenfisch“ stieg, der gegen den Rumpf des Riesenfisch rammte. Nun wird ihr Ehemann in einem Heiligtum verehrt. So lautet die Umschreibung der Frau für den Tod ihres Manns als menschlicher Torpedo im zweiten Weltkrieg. Das Heiligtum ist der Yasukuni-Schrein, der den gefallenen japanischen Soldaten gewidmet ist. Erst Jahre nach Kriegsende findet die Frau die Kraft, den Schrein und insbesondere einen ausgestellten Torpedo zu besichtigen. Doch sie kann sich den Schrecken des Krieges nur stellen, indem sie verklausuliert von Eisenfischen und Riesenfischen spricht.

Mit Ausnahme von „Die Flut“ kreisen die Themen des Bandes um die Ehen und Partnerschaften der Protagonistinnen. In einer patriarchalischen Gesellschaft finden die Frauen unterschiedliche Strategien zur Bewältigung des Alltags, mögen sie auch noch so bizarr sein.

Einige Stellen in „Knabenjagd“ sind so drastisch, dass man sie am liebsten Überlesen würde. Doch insbesondere „Eisenfisch“ ist ein raffiniert konstruiertes Stück Erzählkunst, das man nicht missen möchte.

Samstag, 26. November 2011

Taeko Kono

Takeo Kono wurde 1926 in Osaka geboren. Die Tochter eines Geschäftsmanns war bereits als Kind kränklich und las sehr viel, insbesondere Werke von Junichiro Tanizaki und Kyoka Izumi. Als Jugendliche wurde sie aber dennoch im Krieg als Fabrikarbeiterin zur Herstellung von Uniformen eingesetzt.

1947 schloss Taeko Kono ihr Wirtschaftsstudium an der Osaka Universität ab und zog nach Tokio. Während sie dort Vollzeit arbeitete, schrieb sie am Abend.1962 erhielt sie für „Knabenjagd“ den Shinchosa-Literaturpreis. Kurz bevor sie 1964 für den Akutagawa-Preis nominiert wurde, kündigte sie ihren Job, um sich ganz der Schriftstellerei zu widmen. 1965 heiratete Taeko Kono den Maler Yasushi Ichikawa. In den 90er Jahren wurde sie mit der Übersetzung von „Knabenjagd“ ins Englische auch international bekannt.

Taeko Konos Werke zeichnen sich durch die Beschreibung des Abnormalen und Bizarren, das sich hinter einer Fassade von Alltäglichkeit versteckt, aus. Wie auch bei ihrem Vorbild Junichiro Tanizaki werden sadomasochistische Neigungen thematisiert. Insbesondere ihr Frühwerk wird als „böser Ästhetizismus" bezeichnet. Die Hauptakteure sind meist Frauen, manchmal Kinder.

Lange Zeit litt Taeko Kono an Tuberkulose – und auch ihre Charaktere leiden oft an dieser Krankheit; ihre Rekonvaleszenz markiert meist einen Wendepunkt.

Interessante Links:

Ins Deutsche übersetzte Romane/Erzählungen und hier rezensiert:

    Freitag, 25. November 2011

    „Wanzentagebuch“ von Mokichi Saito

    „Wanzentagebuch – Die kleinen Leiden und Freuden eines japanischen Studenten in Europa zwischen den zwei großen Kriegen“ von Mokichi Saito enthält 56 Essays, die im Stil des Zuihitsu („dem Pinsel folgen“) verfasst sind. Der Autor, der Anfang der 20er Jahre zu Studienzwecken in Europa weilte, dokumentiert damit seinen Aufenthalt und präsentiert ein Stück Zeitgeschichte durch die Augen eines Fremden: Wie äußert sich der aufziehende Antisemitismus an der Universität von Wien? Wie erlebt der Japaner den Hitler-Putsch in München? Wie und wann dringen die Informationen über das große Kanto-Erdbeben bis in die bayerische Landeshauptstadt?

    Darüber hinaus darf der Leser an den Leiden des Studenten teilhaben: Wo in München lässt sich denn bloß ein wanzenfreies Zimmer auftun? In einer Inflation, in der 12 Billionen deutsche Mark für gerade mal ein englisches Pfund eingewechselt werden, schnappt ihm ein Dollar-Student die heiß ersehnte Fachliteratur vor der Nase weg. Was tun mit dem eingewechselten Geld, das morgen schon nichts mehr wert sein wird? Der Professor ist nicht zufrieden mit den Analysen des Studenten und eine Kurzgeschichte aus der Heimat treibt ihm daraufhin prompt die Tränen der Enttäuschung in die Augen.

    Mokichi Saito reist im Europa der 20er: Ausgerechnet in Ungarn erlebt er die Kaisertreue, die er von den Österreichern erwartet hätte. Er fährt in die Alpen, an den Bodensee, an Nietzsches Grab und geht auf die Suche nach der Donauquelle. In den Bergen fühlt er sich an seine Heimat in Yamagata erinnert. Schließlich begibt er sich auch auf die Spuren von Ogai Mori, der wie Mokichi Saito einst zum Medizinstudium nach Europa kam: Wo mag sich nur das Café Minerva befunden haben, das Ogai Mori in „Wellenschaum“ beschrieben hat? (Hier sei's verraten: Es war in der Akademiestr. 9 situiert.)

    Und natürlich macht Mokichi Saito seine kulturellen Erfahrungen: Die Europäer waschen sich mit einem Waschlappen statt ins Badehaus zu gehen. Im Bett tragen sie seltsame Nachthemden. Und sie küssen sich ganz unverblümt und innig mitten auf der Straße. In der katholischen Kirche wird er gescholten, dass er den Hut nicht abnimmt; in der Synagoge wiederum muss er eine Kopfbedeckung tragen. Gut, dass es in München die „Japantante“ gibt, in deren Wohnung alle japanischen Studenten willkommen sind, bei der sie sich über ihre Sorgen und Nöte auslassen können und Unterstützung finden!

    Insbesondere für Leser mit Interesse an Wiener und Münchner Geschichte ist „Wanzentagebuch“ ein kleiner Leckerbissen. Mit enormer Sorgfalt wurden vom Herder Verlag hunderte von Fußnoten zu den einzelnen Essays zusammengetragen; seien es thematisch passende Gedichte von Mokichi Saito, Biographien oder auch die heutige Beschaffenheit der beschriebenen Plätze. Einzig und allein bleibt die Neugierde, was der verheiratete Mokichi Saito auf Reisen mit seinen weiblichen, europäischen Begleiterinnen so angestellt hat – hier ist er Gentleman und schweigt primär.

    Donnerstag, 24. November 2011

    Mokichi Saito

    Mokichi Saito wurde 1882 in der Präfektur Yamagata geboren. Er studierte Medizin in Tokio und ging zwischen 1921 und 1924 zu Studien- und Weiterbildungszwecken an die Universitäten von Wien und München. Nach seiner Rückkehr war das Krankenhaus seines Schwieger- und gleichzeitig Adoptivvaters, das er übernehmen sollte, niedergebrannt. Unter großen Anstrengungen gelang ihm die Finanzierung eines Neubaus.

    Als Hausarzt des japanischen Autors Ryunosuke Akutagawa war es Mokichi Saito, der Ryunosuke Akutagawa mit der tödlichen Dosis Veronal für dessen Selbstmord versorgte.

    Doch Mokichi Saito war auch Dichter und als solcher Anhänger von Sachio Ito und der Araragi-Schule. Sein komplettes Werk umfasst 56 Bände und knapp 18.000 Gedichte. 1951 erhielt er den japanischen Kulturorden. Zwei Jahre später starb Mockichi Saito.

    Sein zweiter Sohn ist der Autor Morio Kita.

    Interessante Links:

    Ins Deutsche übersetzte Essays und hier rezensiert:

    Samstag, 19. November 2011

    „Das Graskissen-Buch“ von Soseki Natsume

    „Das Graskissen-Buch“ von Soseki Natsume ist ein Künstlerroman in doppeltem Sinne. Einerseits ist der Ich-Erzähler Künstler, der viel über seine Auffassung von Kunst reflektiert. Andererseits ist auch der Stil von „Das Graskissen-Buch“ künstlerisch. Der Autor Soseki Natsume spricht gar von einem „Haiku-Roman“.

    Der Ich-Erzähler, ein Maler im westlichen Stil, begibt sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufs Land, um seine Einstellung als Künstler zu verfeinern. Er versteht die Haltung, die ein Künstler anzunehmen hat, wie folgt:

    „Man könnte es vielleicht so ausdrücken, dass diejenigen als Künstler zu bezeichnen sind, die von der viereckigen Welt die eine Ecke, die ‚gesunder Menschenverstand’ genannt wird, abschleifen und in einer dreieckigen Welt leben.“ (S. 45)

    Wie ein Zen-Priester sieht er das geistige Ideal darin, den menschlichen Leidenschaften enthoben zu sein.

    In seiner Herberge trifft der Künstler auf Onami, die Tochter des Hausherrn. Diese entspricht einem sehr modernen Typ von Frau, gewissermaßen einer Femme Fatale. Onami fordert ihn heraus, provoziert und fasziniert ihn, der wohl doch noch nicht so ganz den menschlichen Leidenschaften enthoben zu sein scheint.

    Soseki Natsume widmet „Das Graskissen-Buch“ der Betrachtung des Schönen. Sei es ein Mandarinenhain, der Spiegelteich, den Schatten, die ein Baum wirft. Dabei werden theoretische Überlegungen zur Ästhetik, die einerseits typisch für das Fin de Siecle, andererseits klassisch asiatisch sind, eingeflochten. Zwar gibt es stellenweise amüsante Dialoge, doch „Das Graskissen-Buch“ ist primär ein ruhiges und theoretisches Buch und damit nichts für Leser, die eine kurzweilige Handlung erwarten.

    Montag, 14. November 2011

    Soseki Natsume

    Soseki Natsume (Jahrgang 1867) wurde in Tokio als Kinnosuke Natsume und sechstes Kind eines Ortsvorstehers geboren. Da ihn seine Eltern nicht selbst aufziehen wollten, ließen sie ihn im Alter von zwei Jahren von der kinderlosen Familie Shiobara adoptieren. Sieben Jahre später kehrte er in die Familie Natsume zurück, wo ihn insbesondere sein Vater sehr barsch behandelte.

    Von 1890 bis 1893 studierte Soseki Natsume in Tokio englische Literatur, um sich anschließend als Lehrer zu verdingen. 1901 bis 1903 studierte er in London weiter. Nach seiner Rückkehr nach Japan wurde er Universitätsdozent.

    Schon früh begeisterte sich Soseki Natsume für chinesische Literatur. Er wurde zudem von Shiki Masaoka in seiner Leidenschaft unterstützt und von ihm zum Verfassen von Haikus angeleitet. 1903 begann seine literarische Karriere mit dem Publizieren von Gedichten in Literaturmagazinen. Seinen Durchbruch hatte er jedoch mit dem satirischen Roman „Ich der Kater“.

    1916 starb Soseki Natsume an Magenbluten und hinterließ 14 Romane.

    Interessante Links:
    • Und hier geht es zum Haus, in dem Soseki Natsumes „Ich der Kater“ entstand

    Hier rezensiert:


    Weitere ins Deutsche übersetzte Romane:
    • Und dann 

    Sonntag, 13. November 2011

    „Sly“ von Banana Yoshimoto

    Als Kiyose und Hideo von Takashi erfahren, dass dieser HIV positiv ist, beschließen sie, einen HIV-Test zu machen. Kiyose war Takashis erste Freundin, Hideo eine von Takashis homosexuellen Beziehungen und daher besteht bei beiden die Gefahr einer Ansteckung. Ohne die Testergebnisse abgeholt zu haben, beschließen die drei, gemeinsame Erinnerungen zu schaffen, indem sie einen Urlaub in Ägypten verbringen.

    Im faszinierenden Land der Pharaonen besuchen sie, während sie in einer weiteren Japanerin auf Äqypten-Trip eine Reisegefährtin finden, unter anderem Luxor, das Tal der Könige und die Grabbeigaben des Tutenchamun.

    Die Autorin Banana Yoshimoto entleiht den Titel „Sly“ dem gleichnamigen Song von Massive Attack, den die Protagonisten hören, nachdem Takashi von seiner Infektion berichtet hatte. Der Song wird damit auch Motiv für die anstehende Reise.

    Obwohl Banana Yoshimoto auch in „Sly“ das Herz der Ich-Erzählerin Kiyose zum Überschäumen positiver Gedanken bringt, bleiben die Personen diesmal seltsam blutleer. Und manche Gedankengänge bleiben schlichtweg nicht nachvollziehbar. So äußert Kiyose zum Beispiel dies, nachdem Takashi ihr gerade berichtet hat, dass er sich nun gesünder ernähren muss, um den Ausbruch von AIDS möglichst lange hinaus zu zögern:

    „Das liebliche Licht des Frühlings und ein Wasserspiegel, der es glitzernd zurückwirft. Nur in einer so ruhigen, wohlwollenden Welt kommen wir einander nah.“ (S. 34)

    Passt dies zu der vorhergehenden Situation?

    Zudem wird dem Reisebericht selbst sehr viel Platz eingeräumt, was zwischendurch regelrecht ermüdend sein kann. Schade, dass diese Seiten nicht eher dem Thema des bevorstehenden Todes Takashis gewidmet wurden.

    Insgesamt bleibt für mich die unnachahmliche Banana Yoshimoto-Stimmung, die den Leser verzaubert und in die Geschichte einsaugt, bei „Sly“ leider aus. Stattdessen stehen blumige Worte in ziemlich irritierendem Kontext, was sich im Lesefluss niederschlägt.

    Mittwoch, 9. November 2011

    „Warum ich Frauen trotzdem mag“ von „Beat“ Takeshi Kitano

    Schon „Die Welt hasst mich“ von „Beat“ Takeshi Kitano hat mich alles andere als vom Hocker gehauen. „Warum ich Frauen trotzdem mag“ lässt mich an manchen Stellen erneut den Kopf schütteln. Was soll ich mit der Information anfangen, dass Herr Kitano Frauen mit einer noch nie gehörten Weisheit belehren mag: Wenn frau abnehmen will, soll sie weniger essen und mehr Sport machen. Oder dann im Gegenzug ein Ammenmärchen: Onanie macht impotent.

    Die Kapitelüberschriften lauten so plakativ wie „Oh, ihr Frauen von heute, was seid ihr für verkommene Luder“, „Frauen die einem Angst einjagen“, „Häuser und Frauen sollte man besser mieten“ und irgendwie ergibt sich bei der Lektüre der Eindruck, der Autor verfällt in eine „Alles Bitches außer Mama“-Attitüde.

    Insgesamt bietet „Warum ich Frauen trotzdem mag“ hauptsächlich unbedeutendes Palaver: Man darf unter anderem festhalten, dass „Beat“ Takeshi Kitano dicke Frauen mag; rasierte Bikini-Zonen dagegen nicht. Dass er verheiratet ist und Fremdgehen erlaubt ist, solange er sich nicht dabei erwischen lässt. Dass er kein Haus kaufen will, da seinen Nachkommen nach der Erbschaftssteuer nichts davon bleiben würde. Gähn...

    Einzig und allein die letzten Seiten mögen für Kitano-Fans interessant sein, da hier auf die Rekonvaleszenz des Autors nach dessen schweren Motorradunfall eingegangen wird.

    Dienstag, 8. November 2011

    „Das Ballettmädchen“/„Die Tänzerin“ von Ogai Mori

    „Das Ballettmädchen“ (bzw. in anderer Übersetzung „Die Tänzerin“) ist Ogai Moris autobiographische Aufzeichnung seiner eigenen Liebesbeziehung zur Berlinerin Elise Wiegert: Der japanische Student Toyataro weilt zu Studienzwecken in Berlin. Er meidet die anderen japanischen Studenten, die einen Klüngel bilden. Vielmehr ist er offen für die europäische Kultur und saugt insbesondere Literatur regelrecht in sich auf.

    Eines Tages begegnet er Elis, einer blutjungen Tänzerin, der er aus einer finanziellen Notlage hilft. Die beiden nähern sich mehr und mehr an und sind bald ein Liebespaar. Doch ihnen ist kein langfristiges Glück vergönnt: Toyataros Beziehung zu Elis wird von einem missgünstigen japanischen Kommilitonen angeprangert. Daraufhin verliert Toyataro sein Stipendium und muss sich als Zeitungskorrespondent in Berlin durchschlagen.

    Als Toyataros Freund Aizawa nach Berlin kommt, drängt dieser den mittellosen Toyataro, mit ihm nach Japan zurückzukehren und die Beziehung zu der mittlerweile schwangeren Elis zu beenden, um die gesellschaftliche Ächtung aufzuheben. Elis verfällt dem Wahnsinn, als sie von Toyataros Verrat erfährt.

    Ogai Moris „Das Ballettmädchen“ markiert einen Meilenstein: Die Novelle ist das erste Werk eines japanischen Autors, das in der ersten Person verfasst ist. Damit ist Ogai Mori Japans erster Ich-Erzähler. Zudem zeugt „Das Ballettmädchen“ von einem epochalen gesellschaftlichen Umbruch: Die konfuzianische Machthörigkeit wird in Frage gestellt. Zwar beugt sich der Protagonist dem gesellschaftlichen Druck, doch ist er sich der Tragik seiner Handlungsweise durchaus bewusst.

    Montag, 7. November 2011

    Ogai Mori

    Ogai Mori
    (Creative Commons Lizenz)
    Ogai Mori wurde 1862 als Rinatro Mori als erster Sohn des Arztes Shizuo Mori in Westjapan geboren. Der Familientradition folgend sollte auch Ogai Medizin studieren. Im Jahr 1872 ging der Vater mit dem Sohn nach Tokio, um die bestmögliche Ausbildung für Ogai Mori zu garantieren. Da die Regierung deutsche Medizin zum bindenden Standard erklärt hatte, lernte Ogai Mori deutsch. 1877 begann er schließlich mit seinem Medizinstudium, das er vier Jahre später abschloss.

    1883 trat er als Militärarzt in die Armee ein. Von 1884 bis 1888 studierte er im Auftrag des Militärs in Deutschland, unter anderem bei Robert Koch und Max von Pettenkofer. Darüber hinaus interessierte er sich insbesondere für europäische Literatur.

    Seine unglückliche Liebe zu der Berlinerin Elise Wiegert beschrieb Ogai Mori in „Das Ballettmädchen“: Da ihm als Militärangehöriger eine Beziehung zu einer Ausländerin verboten war, kehrte er nach Japan zurück und wurde in eine arrangierte Ehe gedrängt, die nur ein Jahr andauerte. Später arrangierte seine Mutter eine weitere Ehe, die dann halten sollte.

    Bis ins Jahr 1916 verdingte sich Ogai Mori weiter als Militärarzt. Neben dem Verfassen eigener literarischer Werke widmete er sich auch der Übersetzung von europäischer Literatur ins Japanische. So geht beispielsweise die erste Faust-Übersetzung auf Ogai Moris Konto.

    1922 starb Ogai Mori, dem erst kurz zuvor Nierenschrumpfung und Tuberkulose attestiert worden waren. Angeblich sollen seine letzte Worte „Oh, wie ettäuschend!“ gelautet haben. Testamentarisch verfügte er, dass ihm keine militärischen Ehren bei der Beerdigung zuteil kommen sollten.

    Aus seinen Ehen gingen die zwei Söhne Otto und Louis und die zwei Töchter Marie und Anne hervor. Letztere beiden folgten dem Vorbild des Vaters und wurden Schriftstellerinnen, während Otto den Arztberuf ergriff.

    Interessante Links:
    • Noch mehr Bilder der Gedenkstätte und Infos zu Ogai Mori gibt es hier
               
    Hier rezensiert:
    • Das Geleitschiff (in „Japanische Meister der Erzählung“/auch erschienen als: Takasebune)

    Weitere ins Deutsche übersetzte Werke:
    • Deutschlandtagebuch

    Sonntag, 6. November 2011

    „Der wunderbare Träumer“ von Shusaku Endo

    Takamori und Tomoe sind ganz aufgeregt: Gaston Bonaparte, ein Nachfahre Napoleons und Takamoris französischer Brieffreund aus Kindheitstagen, hat seinen Besuch in Japan angekündigt. Doch die beiden Erwachsenen, die unverheiratet noch bei der verwitweten Mutter leben, werden schwer enttäuscht. Gaston wirkt alles andere als ein reicher, gebildeter Adeliger. Sein Gesicht ähnelt dem eines Pferdes, er ist völlig überproportioniert, mittellos und einfältig mit einer Tendenz zur Dummheit. Gastons Arglosigkeit bringt Takamori und Tomoe sogar in eine Bredouille, die in einer Schlägerei endet.

    Als Gaston weiterzieht, schlittert er von der einen in die andere unangenehme Situation, bis ihn der Profikiller Endo entführt und in seine Rachepläne an den Verrätern an seinem Bruder einbindet. Währenddessen wandeln sich Takamoris und Tomoes Gefühle für Gaston: Was sie für Dummheit hielten, ist vielmehr Gastons unerschütterlicher Glaube an das Gute im Menschen.

    „Der wunderbare Träumer“ von Shusaku Endo beginnt komödiantisch, wird spannend und tragisch und endet märchenhaft. Auch wenn der wunderbare Träumer Gaston einfältig wirkt und das Leben der Menschen, die seinen Weg kreuzen, erst einmal etwas durcheinander bringt, so gehen diese doch positiv verändert aus der Begegnung wieder hervor.

    Selbstverständlich finden sich auch in „Der wunderbare Träumer“ typische Shusaku Endo-Elemente wider: Der Profikiller, der denselben Namen wie der Autor trägt, ist genauso wie dieser lungenkrank. Kriegsverbrechen werden aufgezeigt. Und das Konzept der christlichen Nächstenliebe, das selbst Feinde einschließt.

    Donnerstag, 3. November 2011

    „Die Känguruhhefte“ von Kobo Abe

    Kobo Abes „Die Känguruhhefte“ wirkt wie ein schlechter Drogentrip: Der Protagonist merkt, dass ihm statt Haaren Kresse aus den Beinen sprießt. Der von ihm konsultierte Dermatologe erbricht sich bei diesem Anblick und schnallt den Ich-Erzähler erst mal auf ein Bett, Vollnarkose und Katheder inklusive. Die Entlassung des Patienten erfolgt unkonventionell: Auf das Bett geschnürt wird er auf die Straße geschickt. Das Bett reagiert auf den Willen des Protagonisten und lässt sich dadurch lenken. Doch leider bleibt es in einer Baustelleneinfahrt hängen. Der von den Baustellenarbeitern gerufene Abschleppdienst verfrachtet Bett und Insasse kurzerhand in einen Bergwerksstollen. Von hier aus geht der apokalyptisch anmutende Trip weiter: Es kommt zum Kampf mit einem Tintenfischweibchen, einer schmervoller Katheder-Entfernung, einem Ausflug in die Kinderhölle, einer schweren Gehirnerschütterung durch die Begegnung mit dem „Killer“, einer gemeinschaftlich eingefädelten Euthanasie und zu vielem mehr. Eine absurde Situation folgt der nächsten auf dem Fuße.

    Sind die Geschehnisse Realität oder nur Hirngespinst? Auch der Protagonist ist sich permanent unsicher, ob er träumt oder wacht. Kennzeichnend sind vor allem die Hilflosigkeit und das Ausgeliefertsein in jeder bizarren, alptraumhaften Szene. Eine gesellschaftskritische Lesart sieht in „Die Känguruhhefte“ die Machtlosigkeit des Individuums versinnbildlicht.

    Von der sprichwörtlichen japanischen Höflichkeit ist nichts zu erkennen: Da will sich der Protagonist mit seiner Geister-Mutter keilen, bekommt selbst im Krankenhaus vom Bettnachbarn mehrfach eine übergezündet, weil er in der Bewusstlosigkeit einfach keine Ruhe geben will und beschimpft wird sich natürlich ohnehin vom Feinsten.

    „Die Känguruhhefte“ ist Kobo Abes letzter großer Roman, den er 1991 abschloss. Freunde des Absurden und Bizarren kommen hier sicherlich auf ihre Kosten. Doch am liebsten würde man aus dem Alptraum, der "Die Känguruhhefte" heißt, auch ganz schnell wieder aufwachen.

    Dienstag, 1. November 2011

    „Abendkranich“ von Hisako Matsubara

    Hisako Matsubaras semiautobiographischer Roman „Abendkranich“ setzt am Vortag der japanischen Kapitulation ein. Die Seidenweber von Kyoto wundern sich, dass sie sich am nächsten Tag versammeln sollen, da der Tenno eine Ansprache über das Radio halten wird.

    Die Kapitulation lässt die Weber ratlos zurück: Waren sie nicht bis vor kurzem dazu aufgerufen, mit Bambusspeeren bis zum letzten Mann zu kämpfen? Die Weberin, deren Sohn als Kamikaze gestorben ist, verfällt gar dem Wahnsinn.

    Der zweite Handlungsstrang wird von der Familie des Guji, des obersten Shintopriesters, gezeichnet. Saya, des Gujis älteste Tochter, erlebt die Veränderungen, die nach der japanischen Stunde Null eintreten, hautnah mit: In der Schule wird nicht mehr Gehorsam gegenüber dem Staat und den Eltern gepredigt, sondern der Freiheitsgedanken hochgehalten. Koreaner unterliegen nicht mehr offenem Spott, da sie bei der amerikanischen Besatzungsmacht als endlich befreites Volk gelten, an dem die begangene Diskriminierung wieder gut zu machen ist. Das Christentum wird als prioritäre Religion propagiert, da es die Religion des siegreichen Westens ist.

    Doch auch die Weber machen ihre Erfahrungen und müssen sich neuen Herausforderungen und Fragen stellen: Was ist Kaugummi nur für Teufelszeug – verklebt die Tatami und lässt sich einfach nicht mehr entfernen! Soll die eigene Tochter für die Besatzungsmacht, die ehemaligen Feinde, arbeiten? Und wenn Christus Jude war, warum haben die Nazis, die doch Christen sind, Juden vergast?

    „Abendkranich“ begleitet die Weber und die Familie des Guji nicht nur über die ersten Monate nach der Kapitulation, sondern gibt auch Einblick in die japanische Kultur: Die Eheprobleme, die der Guji mit seiner Frau hat, die sich die starren Regeln der Samurai-Kultur einverleibt hat. Das unterwürfige Verhalten, das von den Mädchen erwartet wird, während sich die Jungen wie kleine Prinzen verhalten dürfen. Die Glaubensauffassung, die hinter Shinto steckt. Und die Voraussagen des I-Ging. Das alles und noch viel mehr versteckt sich hinter dem amüsant-tragischen Roman „Abendkranich“, der Zeit- und Kulturgeschichte Japans einfühlsam in eine herzerwärmende Geschichte gießt.