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Donnerstag, 13. Dezember 2012

„Therapiestation“ von Kenzaburo Oe

Darf man von der Lektüre eines Werks eines Nobelpreisträgers vehement abraten? Gilt dies als Sakrileg? Kenzaburo Oes Roman „Therapiestation“ hätte den Stoff für einen spannenden Science Fiction-Roman hergeben können: Irgendwann im beginnenden 21. Jahrhundert ist die Lage auf der Erde äußerst prekär geworden. Atomkriege und Reaktorunfälle haben die Welt verstrahlt; Aids grassiert flächendeckend. Eine ominöse Starship-Gesellschaft fasst den Plan, wenige Auserwählte, weltweit nur eine Million an der Zahl, auf einen entfernten Planeten zu evakuieren. Freilich werden nur körperlich und geistig besonders fitte Menschen für dieses Projekt ausgewählt. Um den Flug ins All zu realisieren, werden die Rohstoffe der Erde ein letztes Mal gnadenlos ausgebeutet. Die Auserwählten lassen die Versager in desolaten Verhältnissen zurück: Es fehlt in jedem Fachbereich an Spezialisten, da diese als Auserwählte die Erde verlassen haben. Rohstoffe und Nahrungsmittel sind extrem knapp. Im Chaos können vor allem Verbrecher profitieren.

Der Roman setzt zehn Jahre nach dem Aufbruch der Auserwählten ein. Die Ich-Erzählerin Ritsuko lebt bei einer entfernten Verwandten, die sie Großmutter nennt, und schnappt auf, dass die Auserwählten angeblich zurückkommen. Tatsächlich landen die Raumschiffe der Heimkehrer auf der Erde. So kehrt auch Saku, der Enkel der Großmutter, zurück und kommt die beiden Damen besuchen. Diese wundern sich nicht schlecht: Saku scheint die vergangenen zehn Jahre nicht gealtert zu sein. Er wirkt sogar verjüngt.

Die Elite der Auserwählten reißt gleich nach der Rückkehr die Macht an sich und diktiert Gesetze, die es den Auserwählten beispielsweise verbieten, sich mit den Versagern einzulassen. Doch Ritsuko und Saku verlieben sich ineinander und gehen auf Konfrontationskurs mit dem System.

So weit, so interessant. Wenn sich in den Roman nicht diverse Störfaktoren einnisten würden. Ritsuko, die kurz nach dem Aufbruch der Auserwählten als Sexsklavin einer Gangsterbande missbraucht wurde und erst nach einer Odyssee zu ihrer Großmutter zurückkehren konnte, wirkt so naiv, dass Erfahrung und Verhalten der Figur weit auseinanderklaffen. Man sollte sich denken, die Dame könnte patent sein, stattdessen ist sie primär passiv.

Da Saku ihr den Grund seiner Verjüngung wegen der Auflagen der Starship-Gesellschaft nicht nennen darf, unterhalten sie sich verklausuliert darüber, nämlich über Gedichte von Yeats, was im Nachhinein, erfährt man als Leser schließlich den von Saku verschwiegenen Grund, recht gestelzt und pseudo-elitär wirkt.

Kurz darauf folgt eine der wohl schlechtesten Sex-Szenen, die man sich so vorstellen kann:

„Unsere Körper prallten zusammen, als er sich auf das Sofa fallen ließ; und wie Kinder, die ein Weinen vortäuschen, riefen wir beide ‚ah! ah!’ während des Geschlechtsverkehrs. Trotzdem hatte ich immerhin soviel Ruhe bewahrt, unbedingt darauf zu bestehen, dass sich Sakuchan das Kondom überzog, das ich in die Brusttasche meiner Bluse gesteckt hatte. Sakuchan war wirklich jung, und – ich fürchte, ich wiederhole mich – frisch und perky wie ein knospender Pflanzenstängel, wie eine Knöterichknospe sozusagen, stieß ‚ah! ah!’-Laute aus und war gleich fertig.“ (S. 89f.)

Von dem seltsamen Liebespaar einmal abgesehen, ist auch vieles in der weiteren Handlung recht unplausibel: Warum können die Rückkehrer, die nur eine Million Menschen umfassen, in allen Ländern weltweit nach 10 Jahren mal so eben die Macht an sich reißen und die Verlierer komplett unterdrücken? Sollte da nicht eher eine Revolution ausbrechen? Warum wird der spannendste Teil, als von Abtrünnigen eine Rakete gekapert wird, wie als kleine Nebensache abgetan? Da wurde ja mehr über Yeats diskutiert. Und ohne zuviel zu verraten: Wieso ist das Ende des Romans gar so lapidar und lässt den Leser irgendwie im Regen stehen?

Was mag wohl Kenzaburo Oes Hauptanliegen gewesen sein? Als Atomkraftgegner einen apokalyptischen Roman über die Auswirkungen und die Gefahr von radioaktiver Strahlung zu schreiben? Darauf hinzuweisen, dass unsere Rohstoffe begrenzt sind und die Erde so einzigartig ist, dass wir sie wie unseren Augapfel hüten sollten? Dass eine selbsternannte Elite niemals über anderen Menschen steht? Dass man sich in das Erbgut der Menschen nicht einmischen sollte? Oder doch? Der Autor wirft diverse ernste Themen in einen Topf, rührt um, nimmt aber nur einen Löffel davon und zitiert ansonsten Yeats, lässt ein naives Mädchen palavern und schreibt unfreiwillig komische Sexszenen.

Bibliographische Angaben:
Oe, Kenzaburo: „Therapiestation“, Fischer, Frankfurt am Main 2011, ISBN 978-3-596-18418-7

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