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Montag, 29. Februar 2016

„Tochter der Samurai“ von Etsu Sugimoto & Florence Wilson

„Tochter der Samurai“ wirkt zunächst wie die Autobiographie der Samurai-Tochter Etsu Sugimoto: Ihr Vater steht in der Auseinandersetzung zwischen shogunatstreuen Truppen und der kaiserlichen Armee in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts auf der falschen Seite. Er wird gefangen genommen, seine Ehefrau fackelt das heimische Schloss ab und versteckt die gemeinsamen Kinder. Der Vater wird schließlich begnadigt und ein neues, viel schlichteres Heim wird errichtet.

In der Meiji-Zeit wächst hier Etsu, das dritte Kind und die zweite Tochter, auf und lernt den alten Glanz der Samurai nur noch aus Erzählungen kennen. Doch Etsus Erziehung ist noch ganz der alten Tradition gewidmet: Sie darf nie weinen, soll ihre Gefühle nie offenbaren und ein ruhiges, gesittetes Mädchen sein.

Als der Vater stirbt wird ihr älterer Bruder das neue Familienoberhaupt. Der Bruder hat eine geraume Zeit in den USA verbracht und bringt daher auch modernere Ideen mit. Trotzdem wird Etsu mit einem Mann verlobt, den sie nicht kennt, der noch nicht einmal in Japan lebt. Es handelt sich dabei um den Händler Matsuo, der in den USA wohnt. Um Etsu auf ihr Leben in der Fremde vorzubereiten, schickt sie ihr Bruder auf eine Missionsschule in Tokio, wo sie mit dem modernen Leben vertrauter wird.

Schließlich wird sie zur Hochzeit in die USA geschickt, wo sie sich mitten in einer völlig anderen Kultur wiederfindet, in der die japanischen Rollenbilder und Werte keine Gültigkeit haben.

Auf den ersten Blick erscheint Etsu wie ein verzogenes Prinzesschen, das einem nicht so recht sympathisch wird. Da beklagt man sich in der Familie ob des sozialen Abstiegs, kann sich aber dennoch nach wie vor genügend Dienerschaft leisten. Da werden die Zeiten betrauert, als sich das gemeine Volk vor den Samurai verneigen musste und es wird gar nicht hinterfragt, dass der Reichtum des Adels nur auf Kosten der arbeitenden und Not leidenden Bevölkerung erreicht werden konnte. Da wird auf die Sitten dieser armen, bildungsfernen Bevölkerungsschichten herabgesehen, für die es oft nur ums nackte Überleben ging. Etsu selbst muss nie arbeiten oder Hunger leiden. Sie kann sich mit wechselnder Dienerschaft jeweils äußerst bequem in ihrem Leben einrichten. Als Tochter der Samurai scheint sie sich durchaus als jemand „Besseres“ zu fühlen.

Daher hatte ich die ersten Seiten sogar einen gewissen Groll gegen Etsu und die Autorin Etsu Sugimoto. Jedoch hat es mich im Nachhinein doch mit dem Buch etwas versöhnt, als ich mehr über die Entstehungsgeschichte von „Tochter der Samurai“ in der Arbeit von Hiroko Kugisima gelesen habe: Denn die vermeintliche Autobiographie ist gar keine. Etsu Sugimoto schrieb zusammen mit Florence Wilson einen Roman, der sicherlich ein bisschen an Etsus realen Lebensweg angelehnt war, doch sollte das Werk anti-japanischen Stimmungen entgegenwirken, wegen derer Florence Wilson aus Angst vor Anfeindungen noch nicht einmal ihre Mitautorenschaft angeben wollte.

Die Hauptaussage findet man recht plakativ auf der letzten Seite über Etsu und ihre Reise in die USA:

„Dort lernte sie, dass die Herzen auf beiden Seiten der Erde dieselben sind; aber das ist ein Geheimnis, das den Völkern des Ostens ebenso verborgen ist wie den Völkern des Westens.“ (S. 198)

Bibliographische Angaben:
Sugimoto, Etsu & Wilson, Florence: „Tochter der Samurai“ (Übersetzung aus dem Englischen: Küas, Richard), Rowohlt, Hamburg 1957

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