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Donnerstag, 21. Januar 2016

Ryutei Tanehiko

Ryutei Tanehiko
(Creative Commons-Lizenz)
Der Autor Ryutei Tanehiko (weitere Schreibweise: Riutei Tanefiko) wurde 1783 als Takaya Hikoshiro und Sohn eines niederrangigen Samurais geboren. Er schrieb sowohl Gedichte als auch Prosa.

Seinen größten Erfolg feierte Ryutei Tanehiko mit „Ländlicher Genji von einer falschen Murasaki“ (bitte nagelt mich nicht auf eine korrekte Übersetzung fest – insbesondere die englischsprachigen Internetquellen übersetzten den Titel „Nise Murasaki inaka Genji“ sehr unterschiedlich; ich habe mich an dem französischen Wikipedia-Artikel zum Werk orientiert, das hier als „Genji rural par une fausse Murasaki“ geführt wird). Der Roman aus dem Jahr 1829 parodiert das klassische „Genji Monogatari“, indem Genji in die Muromachi-Zeit versetzt wird, zeitgenössisch spricht und sich nach aktueller Mode kleidet. Das Werk wurde zu einem der beliebtesten der Edo-Zeit. 1842, im Zuge der Tenpo Reformen, wurde eine Neuauflage des Romans untersagt; die Druckplatten wurden konfisziert. Kurz darauf starb Ryutei Tanehiko.

Interessante Links:

Ins Deutsche übersetzte Erzählungen und hier rezensiert:

Montag, 18. Januar 2016

„Lob der Meisterschaft“ von Junichiro Tanizaki

Junichiro Tanizakis „Lob der Meisterschaft“ setzt sich mit der Differenz von Meisterschaft versus Kunst auseinander. So versteht Tanizaki die Meisterschaft („gei“) als etwas, was durch lange Übung erworben ist und traditionellen Charakter hat. Dabei vergleicht der Autor das Erwerben von Meisterschaft mit unermüdlichem Polieren – bis eine unvergleichliche Patina entsteht. Die Motivation eines Meisters der traditionellen japanischen Künste beschreibt Tanizaki wie folgt:

„Es gibt kein Streben nach materiellen Dingen für ihn, meist nicht einmal ein Streben nach Ruhm; er hat nichts außer seiner Meisterschaft.“ (S. 50)

Kontrastiert wird dieses Ideal mit dem moderneren Begriff der Kunst („geijutsu“), die dem Wert des Individualismus und durchaus finanziellen Interessen folgt.

Vor dem Hintergrund des zunehmenden Einflusses des Westens macht sich Tanizaki in dem Essay Gedanken, die – wie er selbst angibt – „ein buntes, widersprüchliches und ausschweifendes Geplauder“ (S. 104) sind. Daher sollte man von „Lob der Meisterschaft“ nicht zuviel erwarten – an manchen Stellen wirkt der Essay tatsächlich etwas widersprüchlich. Da ist Tanizaki einerseits tatsächlich voll des Lobes diesen Meistern ihres Fachs gegenüber, anderseits stellt er deren Intellekt eher ein Armutszeugnis aus; scheint gar auf sie herunterzuschauen.

Dafür kann man dem schmalen Büchlein aber das Selbstverständnis der vormodernen, japanischen Schriftsteller entnehmen, was insbesondere für diesen Blog natürlich ein tolles Zitat darstellt:

„Nach allgemeinem Verständnis der heutigen Literaturkreise ist eine Literatur, die sich von der Wirklichkeit absetzt, feige. Aber diese Denkweise ist dem westlichen Einfluss zuzuschreiben. Unser ursprüngliches Verständnis von Literatur bestand darin, dass sie uns die Nöte der profanen Welt vergessen lassen soll.“ (S. 77)

Alles in allem würde ich den Klappentext von „Lob der Meisterschaft“, der da lautet, dass der Essay „ein Schlüsselwerk zum Verständnis der japanischen Kultur“ sei, nicht unterschreiben. Zwar beinhaltet das Werk sicherlich einige interessante Gedankengänge, andererseits aber auch Aussagen, über die man heutzutage eher ein bisschen den Kopf schütteln muss. Der Essay im japanischen Zuihitsu-Stil ist nun mal auch keine knallharte Analyse, die Fakten darlegt, sondern ist von den persönlichen Erfahrungen des Autors geprägt.

Bibliographische Angaben:
Tanizaki, Junichiro:
„Lob der Meisterschaft“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Klopfenstein, Eduard), Manesse, Zürich 2010, ISBN 978-3-7175-4079-3

Sonntag, 17. Januar 2016

„Yonosuke – Der dreitausendfache Liebhaber“ von Saikaku Ihara

Saikaku Ihara entführt den Leser mit „Yonosuke – Der dreitausendfache Liebhaber“ erneut in die Freudenviertel Japans des 17. Jahrhunderts. Sein Protagonist Yonosuke hat es schon als Kind faustdick hinter den Ohren: Er verführt die Damen, wann und wo er nur kann, und ist auch nicht abgeneigt von der Liaison mit dem einen oder anderen Mann. Dank seiner reichen Eltern kann er sich diverse Eskapaden leisten. Doch irgendwann schlägt er so über die Stränge, dass sein Vater ihn verstößt.

Ein Leben als buddhistischer Mönch ist nur von allzu kurzer Dauer – die „vergängliche Welt“ ruft nach ihm; er kann von den Frauengeschichten einfachen nicht die Finger lassen. Ohne Geld in der Tasche zu haben, kann Yonosuke freilich nur mittels solventer Gönner weiterhin in den Freudenvierteln verkehren. Seine amourösen Abenteuer erlebt er nun mit diversen Frauen – gern auch mal mit der einen oder anderen verheirateten. So ist der Ärger vorprogrammiert, der ihn unter anderem sogar ins Gefängnis bringt.

Als sein Vater stirbt, erbt Yonosuke ein unermessliches Vermögen. Keinen Deut weiser als zuvor beschleißt Yonosuke, das Geld in den Freudenvierteln von ganz Japan zu verprassen. Saikaku Ihara schildert nun diverse Geschichten aus den Kuruwas (= Rotlichtvierteln), mal mehr aus Yonosukes Perspektive, mal mehr aus der von verschiedenen Kurtisanen. Diese kurzen Episoden erlauben einen vielfältigen Einblick in das Leben der Prostituierten. So verkehrt Yonosuke primär mit Tayus, den ranghöchsten Kurtisanen, die so populär sind, dass sie sogar gut zahlende Gäste abweisen können.

Die bekanntesten Kuruwas liegen in Kioto, Edo und Osaka; jedes hat seinen eigenen Reiz:

„Die Kuruwas der Städte haben jeweils ihre Eigentümlichkeiten, die Kurtisanen in Shimabara in Kyoto sind fein, vornehm und charmant, die Kurtisanen in Yoshiwara in Edo legen mehr Gewicht auf Stolz, Intelligenz und raschen und flinken Witz.
Was jedoch Pracht und Luxus der Teehäuser anlangt, so steht das Kuruwa von Osaka an erster Stelle.“ (S. 210)

Über die Entstehung von Kuruwas weiß Saikaku Ihara folgendes zu berichten:

„Die Ursprungsorte der Kuruwa-Systeme unseres Landes waren Asatsuma in der Provinz Omi und Murotsu in der Provinz Harima, von diesen beiden Orten aus verbreitete sich das System mit der Zeit über das ganze Land.“ (S. 163)

Oscar Benl schreibt in seinem Nachwort, dass Saikaku Ihara, der sicherlich kein Kind von Traurigkeit war, wahrscheinlich als Inspirationsquelle das lexikonartige Werk „Große Spiegel der Liebeskunst“ nutzte. Mit „Yonosuke – Der dreitausendfache Liebhaber“ begründete Saikaku Ihara das Genre des Ukiyo-zoshi, das sich der flüchtigen, veränglichen Welt der Liebe widmete. Überhaupt war das Werk das erste veröffentlichte Prosawerk des Autors, der vorher primär als Poet schriftstellerisch tätig war.

Als einen Roman kann man „Yonosuke – Der dreitausendfache Liebhaber“ eigentlich nicht bezeichnen, da diverse Episoden aneinandergereiht werden, die man (fast) unabhängig voneinander lesen kann. Wer sich für die Kuruwas, die damaligen Methoden, Liebschaften zu pflegen und das Leben von Tayus interessiert, der wird mit „Yonosuke – Der dreitausendfache Liebhaber“ seine helle Freude haben!

Bibliographische Angaben:
Ihara, Saikaku:
„Yonosuke – Der dreitausendfache Liebhaber“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Kani, Kazuo), Europäischer Buchklub, Stuttgart/Zürich/Salzburg 1966

Dienstag, 12. Januar 2016

„Auf einem andern Weg“ von Ayako Miura

Der autobiographische Roman „Auf einem andern Weg“ ist sicherlich primär für die Leser interessant, die sich für die Person der Autorin Ayako Miura (geborene Hotta) und ihren bewegten Lebensweg begeistern können. Sprachlich ist das Werk sehr einfach gehalten, was jedoch nicht negativ zu verstehen ist. Vielmehr liest sich die Autobiographie so, als würde uns eine gute Bekannte aus ihrem Leben erzählen. Und so leidet man mit der Autorin mit und kann sich das eine oder andere Mal ein Tränchen kaum verkneifen. Denn krankheitsbedingt musste Ayako Miura einiges auf sich nehmen und hatte dabei das Glück, an besonders verständnisvolle Männer zu geraten.

„Auf einem andern Weg“ setzt ein mit dem Schock, den die Lehrerin Ayako mit der Kapitulation Japans nach dem zweiten Weltkrieg erlitt. Vieles von dem, was sie noch während des Krieges unterrichtete, soll nun plötzlich falsch sein. Zusammen mit den Schülern werden Stellen aus den Lehrbüchern geschwärzt und somit für nichtig erklärt. Für Ayako bricht eine Welt zusammen und sie verliert ihren Halt. Sie kann ihren ehemaligen Schülern nicht einmal mehr in die Augen schauen. Um aus dem Lehrerberuf ausscheiden zu können, flüchtet sie sich in die Verlobung mit Ichiro Nishinaka.

Doch fast direkt darauf folgt die Diagnose der Tuberkulose, die Ayako lange Zeit ans Krankenbett fesseln wird. Ichiro steht zu seiner Verlobten, besucht die Kranke und unterstützt sie finanziell. Auch ein Jugendfreund namens Tadashi Maekawa beginnt, Ayako regelmäßig zu besuchen. Der Christ Tadashi ist ebenfalls an Tuberkulose erkrankt. Er erkennt, dass Ayako den Halt verloren hat und versucht, ihr den christlichen Glauben näher zu bringen. Dabei sind ihm keine Mühen zu groß, um Ayako wieder Lebensmut einzuhauchen. Der ist auch bitter nötig, denn die Kranke löst ihre Verlobung, da sie Ichiro nicht länger hinhalten möchte. Kurz danach misslingt ihr ein Selbstmordversuch. Halt findet Ayako schließlich doch im Christentum; sie lässt sich taufen.

Der gütige Tadashi ist bald mehr als nur ein guter Freund. Die beiden Tuberkulose-Kranken verloben sich. Doch die Krankheit wird bei Tadashi einen tödlichen Ausgang haben, während Ayako regungsunfähig im Gipsbett liegt. Nicht einmal bei seiner Beerdigung kann sie dabei sein. Wie ein Geschenk des Himmels wirkt da das Kennenlernen des Christs Mitsuyo Miura, der Tadashi Maekawa nicht nur optisch, sondern auch in seiner Haltung gleicht. Aber Ayako kann sich (noch) nicht von der Vorstellung frei machen, sie würde Tadashi verraten, wenn sie eine neue Beziehung eingeht. Zudem fühlt sie sich als Kranke nicht würdig, mit einem gesunden Mann anzubändeln.

Von Ayako Miuras Lebensweg kann man nur beeindruckt sein. Nicht nur krankheitsbedingt hat sie viele Krisen durchgemacht, sich dann aber dennoch irgendwie durchgebissen. Darüberhinaus hat sie anderen Kranken durch briefliche Korrespondenz beigestanden und so die Hilfe weitergegeben, die sie selbst einmal erhalten hat.

Bibliographische Angaben:
Miura, Ayako: „Auf einem andern Weg“ (Übersetzung aus dem Englischen: Noack, Hans-Georg), Christliche Verlagsanstalt, Konstanz 1978, ISBN 3-7673-3355-4

Sonntag, 10. Januar 2016

„Ein Kirschbaum im Winter“ von Yasunari Kawabata

Zentrum von Yasunari Kawabatas „Ein Kirschbaum im Winter“ ist das Familienoberhaupt Shingo Ogata. Shingo hat seinerzeit die jüngere Schwester seiner toten Angebeteten geheiratet. Allerdings reicht seine Ehefrau Yasuko bei Weitem nicht die Schönheit der Verstorbenen heran. Shingo und Yasuko haben zwei verheiratete Kinder: Der Sohn Shuichi hat die schöne Kikuko geehelicht, mit der er ganz traditionell bei seinen Eltern wohnt. Shuichi hat jedoch eine außereheliche Liebschaft, unter der Kikuko sehr leidet. Die Tochter Fusako ist ebenfalls nicht glücklich in ihrer Ehe: Ihr Mann Aihara ist drogensüchtig, es kommt oftmals zum Streit. Zusammen mit ihren Töchtern Satoko und Kuniko wird Fusako bald zurück zu den Eltern ziehen.

Shingo ist ganz bezaubert von der Schönheit seiner Schwiegertochter Kikuko – sucht er doch umsonst die Anmut der Jugendliebe in seinen weiblichen Blutsverwandten. Da sein Sohn Shuichi Kikuko kaum Aufmerksamkeit zukommen lässt, versucht Shingo dies mit besonders nettem Verhalten Kikuko gegenüber auszugleichen – sehr zum Ärgernis seiner Tochter Fusako. Shingo hofft darauf, dass Shuichi seine Affäre bald beendet, doch ist er recht phlegmatisch und drängt kaum seinerseits darauf, dass Shuichi seiner Ehefrau treu zu sein hat. Doch ohne die Trennung Shuichis von seiner Geliebten ist der Familienfrieden bedroht.

Yasunari Kawabatas „Ein Kirschbaum im Winter“ mag auf den ersten Blick etwas langatmig und dröge vorkommen; insbesondere wenn man sich noch nicht allzu sehr mit den Eigenheiten von japanischer Literatur befasst hat. Denn Shuichi zögert zu sehr, beobachtet sehr viel und erweist sich nicht als ein starker Protagonist.

Stattdessen erwartet den Leser ein großes Spektrum an verschiedenen Themen, die parallel in die Familiengeschichte von Shingo eingeflochten werden. Da geht es einerseits noch um klassisch-traditionelle Familienstrukturen und andererseits um moderne Frauen, die unabhängig von Männern ihr Leben führen können/müssen. Da geht es um den Wert der Schönheit und der Anmut in der japanischen Kultur. Metaphysische Erlebnisse, böse Omen und Traumdeutungen paaren sich mit dem für die japanische Literatur typischen Motiv der Jahreszeiten, die durch die Betrachtung von Pflanzen vermittelt werden. Reminiszenzen an verschiedene Kulturbereiche wie das No-Theater, Malerei (Stichwort: Kazan Watanabe) und Literatur (Stichwort: Ogai Mori) lassen en passant kurz in die japanische (Hoch-)Kultur eintauchen. Und dann gibt es auch noch die Eigenheiten des Doppelselbstmords, die Abfindungen für Geliebte und die Quasi-Selbstverständlichkeit von Abtreibungen. Aber auch ganz abseits von japanischen Themen geht es auch um das Altern, den Verfall und den Tod. All das und sicherlich noch einige mehr Aspekte machen den vielschichtigen Roman aus, auf den man sich als Leser auch einlassen muss.

Interessant ist es sicherlich, Junichiro Tanizakis „Tagebuch eines alten Narren“ im Vergleich zu lesen. Obwohl es im Junichiro Tanizaki-Werk ebenfalls um eine Schwiegervater-Schwiegertochter-Beziehung und das Altern geht, verorten sich „Tagebuch eines alten Narren“ und „Ein Kirschbaum im Winter“ äußerst verschieden.

Bibliographische Angaben:

Kawabata, Junichiro: „Ein Kirschbaum im Winter“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Schaarschmidt, Siegfried & Kure, Misako) DTV, München 1971, ISBN 3-423-00793-1

Samstag, 9. Januar 2016

„Ein Frontschwein“ von Katai Tayama

Markus Rösken, der für die Übersetzung und Veröffentlichung von „Ein Frontschwein“ verantwortlich zeichnet, gibt auf Amazon an, mit seinen Übersetzungsarbeiten Werke von Autoren zugänglich machen zu wollen, die bisher noch nicht ins Deutsche übersetzt worden sind. Nun hat er sich leider für die erste Übersetzungsarbeit ausgerechnet eine Erzählung vorgenommen, die in der Anthologie „Träume aus zehn Nächten“ des Aufbau-Verlags bereits vor 40 Jahren veröffentlicht wurde. Ein bisschen leid tut mir das für den beflissenen Übersetzer. Aber schließlich ist es nicht gerade unaufwendig, sich über einzelne Erzählungen in den verschiedensten Sammelbänden einen Überblick zu verschaffen. Es bleibt aber zu hoffen, dass das nächste Werk, dem er sich annimmt, wirklich eine bisher durch die Sprachbarriere verschlossene Tür für deutsche Leser aufstößt.

Denn man sieht an „Ein Frontschwein“, dass der Übersetzer das Werk in einen Sinnzusammenhang stellen möchte: Nicht nur eine Kurzbiographie des Autors ist der Erzählung vorangestellt, sondern auch eine Einordnung der Bedeutung des Werks. So ist Katai Tayamas „Ein Frontschwein“ eine der wenigen literarischen Aufarbeitungen des Russisch-Japanischen Kriegs, die von einem Zeitzeugen, der den Krieg vor Ort erlebte, verfasst wurden. Markus Rösken schreibt zwar, Katai Tayama sei Soldat im Krieg gewesen, während man auf Wikipedia liest, er sei als Zeitungskorrespondent in der Mandschurei tätig gewesen. Wie dem auch sei…

Katai Tayama beschreibt aus der Sicht eines einfachen Soldaten (im Soldatenjargon ein sogenanntes „Frontschwein“) einen Tag nahe der Front von Liaoyang. Er ist an Beriberi erkrankt, hat die katastrophalen Zustände auf der improvisierten Krankenstation nicht mehr ertragen können und versucht gerade, auf eigene Faust zu seiner Einheit zurückzukehren. Das beweist sich jedoch bald als ein Fehler: Der Soldat ist noch bei weitem nicht gesundet. Wie im Fieberwahn hat er Visionen aus seiner angenehmen Vergangenheit in Japan, während er der völligen Erschöpfung nahe immer weiter stapft. Auch die tragischen Erlebnisse von der Front kommen ihm in den Kopf. Halt scheint er jedoch vor allem in der Erinnerung an seine Frau und an seine Kindheit zu finden. Als das bemitleidenswerte Frontschwein endlich einen Armeestützpunkt erreicht, kann der Soldat nur noch auf die Hilfe eines Arztes hoffen…

Interessant fand ich an „Das Frontschwein“ vor allem, dass die Erzählung unverhohlen Kritik am Soldatenleben äußert:

„Plötzlich dachte er, dass es nichts Grausameres gab, als die Unfreiheit des Soldatenlebens. Seltsamerweise kamen ihm jetzt überhaupt nicht mehr die Parolen von damals wie ‚Gegen ein gewöhnliches Leben!’ oder ‚Opferbereitschaft’ in den Sinn, sondern lediglich Angst brodelte in ihm.“ (Position 184f.)

Kurz schießt dem Soldaten gar die Idee des Desertierens durch den Kopf – doch dann wäre eine Rückkehr nach Japan unmöglich, da das dem sozialen Tod gleichkommen würde. So fügt er sich doch ins Unvermeidliche.

Bibliographische Angaben:
Tayama, Katai: „Ein Frontschwein“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Rösken, Markus), Kindle Edition, 2015

Samstag, 2. Januar 2016

Katai Tayama

Katai Tayama
(Creative Commons-Lizenz)
Der Autor Katai Tayama wurde 1872 als Rokuya Tayama in Tatebayashi in der Präfektur Gunma geboren. Er entstammte einer niederrangigen Samurai-Familie. Sein Vater verdingte sich bei der Polizei und wurde in während der Satsuma-Rebellion getötet. Katai Tayama und seine Geschwister wurden daraufhin nach Tokio geschickt. Nach einer abgebrochenen Lehre als Lehrling im Buchhandel kehrte Katai Tayama nach Tatebayashi zurück.

1886 zog die Familie Tayama schließlich geschlossen nach Tokio. Katai Tayama nahm bei verschiedenen Lehrern Schreibunterricht. 1896 trat er in die Bungakukai ein. Kunikida Doppo begeisterte ihn für verschiedene westliche Autoren, insbesondere für Guy de Maupassant. Aber auch Emile Zola und die Brüder Edmond und Jules Goncourt stellten literarische Vorbilder für Katai Tayama dar. Des Weiteren beeinflusste ihn der deutsche Naturalismus von Gerhart Hauptmann und Herrmann Sundermann.

Im Jahr 1904 zog eine weibliche Verehrerin in den Haushalt des zwischenzeitlich verheirateten Katai Tayama ein. Die daraufhin entstehenden Spannungen verarbeitete der Autor in seinem Roman „Futon“ – die Verehrerin betitelte Katai Tayama in Anspielung auf Gerhart Hauptmanns „Einsame Menschen“ als seine eigene Anna Mahr. „Futon“ gilt als erster naturalistischer Ich-Roman.

Ebenfalls im Jahr im Jahr 1904 wurde Katai Tayama für einige Monate durch die Zeitung Hakubunkan als Korrespondent und Kriegsberichterstatter des Russisch-Japanischen-Kriegs in die Mandschurei geschickt. In Folge entstand die Erzählung „Ein Frontschwein“/„Ein Soldat“.

Mit dem Niedergang des Naturalismus, einer unglücklichen Affäre mit einer Geisha und einigen Todesfällen im Familien- und Bekanntenkreis von Katai Tayama wurden dessen Werke dunkler, pessimistischer und religiöser.

Der Autor, der als einer der wichtigsten Vertreter des japanischen Naturalismus gilt, starb 1930 an Rachenkrebs.

Interessante Links:


Ins Deutsche übersetzte Erzählungen und hier rezensiert:
  • Ein Frontschwein
    identisch mit: Ein Soldat (in „Träume aus zehn Nächten“)