Labels

Freitag, 30. Januar 2015

„Der Sturm“ von Yasushi Inoue

Im Jahr 1782 kam die Shinsho-maru vom Kurs ab; nach monatelanger Irrfahrt trieb das fast navigationsunfähige Handelsschiff auf die Küste der Aleuten-Insel Amtschitka (= Amchitka; damals noch unter russischer Verwaltung) zu. Yasushi Inoue erzählt mit „Der Sturm“ die wahre Geschichte der Besatzung rund um Kapitän Kodayu nach.

Zwar ist die Freude der Schiffbrüchigen groß, als sie endlich wieder festen Boden unter den Füßen spüren, doch der Schock soll bald folgen: Aufgrund der widrigen Witterungsbedingungen zerschellt ihr Schiff vor Amtschitka – und so werden die Hoffnungen auf baldige Rückkehr nach Japan zerstört. Es gilt, sich zunächst mit den russischen Felljägern, die auf ihre Ablösung hinharren, und den Eingeborenen von Amtschitka zu arrangieren.

Die harten Winter finden ihre Opfer unter den Besatzungsmitgliedern, doch schließlich soll die Ablösung für die Russen endlich kommen. Freude macht sich breit, Amtschitka verlassen zu können, doch erneut soll ein Schiff vor der Insel zerschellen. Kodayu, seine Mannschaft und die Russen wollen nun ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen und mit einem selbstgebauten Schiff aufs Festland übersetzen. Kodayu hofft, hier von der russischen Regierung Hilfe für eine Rückkehr nach Japan zu bekommen. Doch die Mühlen der Bürokratie mahlen extrem langsam: In Irkutsk halten sich die Japaner besonders lang auf und erhalten zunächst die Weisung, als Japanisch-Lehrer tätig zu werden – ihr Wunsch auf Rückkehr wird abgelehnt.

Das restliche Häuflein der japanischen Überlebenden arrangiert sich unterschiedlich mit der Situation: Shozo, der wegen Erfrierungen ein Bein verloren hat, findet beispielsweise im Christentum seinen Trost. Der Weiberheld Shinzo lässt sich von der Witwe Nina verwöhnen. Der wissbegierige Isokichi geht dem Geologen Laxman zur Hand. Und Kodayu nimmt sich den Wissenschaftler Laxman zum Vorbild und dokumentiert seine Erlebnisse. Kyuemon dagegen mag sich überhaupt nicht mit dem Leben in Russland anfreunden und wünscht sich nichts sehnlicher, als in seiner Heimat Ise begraben zu werden. Die Männer können nicht ahnen, dass sich Japan zwischenzeitlich immer stärker abschottet.

Auf Anraten Laxmans begibt sich Kodayu in dessen Begleitung nach Sankt Petersburg. Die letzte Hoffnung auf Rückkehr besteht darin, niemand Geringerem als der Zarin Katharina höchstpersönlich das Gesuch der Japaner zu unterbreiten.

Leider liest sich Yasushi Inoues Roman anfangs recht dröge und zu dokumentarisch. Die Leiden und Gefühle der Schiffsbesatzung kommen fast gar nicht zu Geltung. Erst als die sehr zusammengeschrumpfte Mannschaft in Irkutsk angekommen ist, wird auf die einzelnen Charaktere intensiver eingegangen. Der lineare zeitliche Aufbau trägt zudem dazu bei, dass man sich wenig in die Geschichte hineingezogen fühlt. Wer sich ein Quäntchen Spannung bei der Lektüre erhalten möchte, sollte das Vorwort links liegen lassen und direkt in den Roman einsteigen. Denn nur so bleibt die große Frage offen: Wird es den Japanern gelingen, wieder in ihre Heimat zurückzukehren?

Bibliographische Angaben:
Inoue, Yasushi: „Der Sturm“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Mrugalla, Andreas), Suhrkamp, Frankfurt am Main 1995, ISBN 3-518-40678-7

Donnerstag, 29. Januar 2015

„Auf schmalen Pfaden durchs Hinterland“ von Basho

Im Jahr 1689 begab sich der Dichter Basho „Auf schmalen Pfaden durchs Hinterland“. Sein Reisetagebuch, das auch unter dem Namen „Oku no hosomichi“ bekannt ist, schildert seine Wanderung durch den Norden Japans, die Basho zusammen mit seinem Kompagnon Sora unternahm. So tat Basho es seinem Vorbild, dem Wandermönch und Dichter Saigyo, auf dem Weg durch den Norden gleich: Sich von irdischen Zwängen frei machend und im Sinne von Wander-Exerzitien einen asketischen Lebensstil auf dem Weg führend begab sich Basho von einem Uta-makura (= Gedichtskopfkissen; im Sinne eines viel bedichteten Ortes, bei dessen Anblick man auf bereits existierende Gedichte aufsetzen kann und so Inspiration für eigene poetische Ergüsse findet) zum nächsten.

Basho gibt in „Auf schmalen Pfaden durchs Hinterland“ selbst Auskunft zum Phänomen des Uta-makura, aber auch zur Vergänglichkeit der Dinge:

„An Orten, die als ‚Gedichtskissen’ dienen, da man von alters her nicht aufgehört hat, sie zu bedichten, sind uns viele überliefert worden. Berge stürzen ein, neue Flüsse quellen hervor, Wege vergrasen, in die Erde versunkene Steine werden unsichtbar, Bäume altern und erstehen als junge Triebe verwandelt wieder – so ändern sich die Zeiten und wechseln Menschengenerationen: die verbleibenden Spuren sind meist fraglicher Natur.“ (S. 133)

Seine Definition der selbstauferlegten Wander-Exerzitien liefert der Dichter ebenfalls:

„Schließlich aber befand ich mich auf einer Wanderübung, ein Wanderer durch weit entlegene Provinzen, der um der Erleuchtung willen der Welt entsagt und sich auch die Idee der Vergänglichkeit stets vergegenwärtigt und der die Möglichkeit, unterwegs zu sterben, hinnimmt als Bestimmung des Himmels.“ (S. 115)

55 episodenhafte Kapitelchen skizzieren Bashos Erlebnisse, die teilweise mit einem Haiku garniert werden. Da wären einerseits Haiku wie

„Nichts als Flöhe und Läuse!
Und nah an meinem Kopfkissen
pisst auch noch ein Pferd!“
(S. 241)

, die eher an die profane Not eines Reisenden in einer miesen Unterkunft erinnern. Andererseits beinhaltete das „Oku no hosomichi“ auch zahlreiche Haiku, die ohne die ausführlichen Anmerkungen glatt nicht zu deuten sind, wie z.B.

„Der Siebte Monat:
Schon diese Nacht des sechsten Tages
ist anders als die anderen!“
(S. 221)

Sicherlich können nur ausgemachte Japan-Experten auf den ersten Blick erkennen, dass sich dieses Haiku auf das im siebten Monat gefeierte Sternenfest bezieht, wenn sich Wega und Altair am Sternenhimmel begegnen. In der Mythologie steht die Begegnung für das langersehnte Wiedersehen zweier zu Trennung verdammter Liebender am siebten Tag des siebten Monats. Basho spielt mit dem Haiku darauf an, dass schon am Vorabend Spannung ob dieses wichtigen Treffens in der Luft liegt.

Bashos „Auf schmalen Pfaden durchs Hinterland“ bietet einen einzigartigen Einblick in längst vergangene Zeiten. Jedoch mag das Werk nur wirklichen Japan-Fans ans Herz gelegt werden. Die Fußnoten übersteigen den textlichen Umfang des Originaltexts um einiges. Und dieser entschlüsselt sich an vielen Stellen eben nur über die Anmerkungen, die unter anderem biographische und geographische Daten, Gedichte, auf die Basho anspielt, und traditionelle Metaphern umfassen.

Bibliographische Angaben:
Basho: „Auf schmalen Pfaden durchs Hinterland“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Dombrady, Geza S.) Dieterich’sche Verlagsbuchhandlung, Mainz 2014, ISBN 978-3-87162-075-1

Sonntag, 25. Januar 2015

Basho

Basho
Der Dichter Basho wurde im Jahr 1644 in Ueno als Kinsaku Matsuo und als Sohn eines niederen Samurai geboren. Den damaligen Gepflogenheiten entsprechend wechselte er je nach Lebensphase seinen Vornamen: Aus Kinsaku wurde erst Jinshiro, dann Chuzaemon, schließlich Munefusa – doch in der Welt wurde er unter seinem Dichternamen Basho (= Bananenstaude) bekannt.

Etwa 1656 trat Basho in den Dienst des Fürstensohnes Yoshitada, der mit ihm die Leidenschaft fürs Dichten teilte. Zusammen studierten sie bei dem Poeten Kigin Kitamura die Waka- und Haikai-Dichtung. Bashos erste Gedichte wurden in den 1660er Jahre in Sammlungen veröffentlicht. Der Tod von Yoshitada im Jahr 1666 stürzte Basho in eine Krise. Er quittierte den Dienst und verließ Ueno. Mit diversen Tätigkeiten hielt sich Basho über Wasser, bis sich sein Ruf als Dichter und Lehrmeister gefestigt hatte. 1680 überließ ihm sein langjähriger Gönner Sampu ein Haus in Fukagawa; ein Schüler schenkte ihm eine Bananenstaude für das neue Heim, die bald für den Namen des Dichters Pate stand.

Basho ging auf mehrere Wanderreisen, deren Erfahrungen er als Reisetagebücher zu Papier brachte. Sein vielleicht bekanntestes Reisetagebuch ist das„Oku no hosmomichi“ (dt. Übersetzung als „Auf schmalen Pfaden durchs Hinterland“).

1694 starb der Dichter im Kreise seiner Schüler in Osaka.

Als Bashos Verdienst gilt es, das zunächst profane Haiku auf eine höhere Stufe gehoben zu haben. Beeinflusst durch den Zen-Buddhismus erhielt das Gedicht einen meditativen Charakter und sollte so zu einem Schritt auf dem Weg zur Erleuchtung werden. Bashos Haikus wurden zu den Prototypen dieser Gedichtform schlechthin.

Interessante Links:

Hier rezensiert:

Weitere ins Deutsche übersetzte Werke:
    • Hokkus
    • Hundertelf Haiku
    • Sarumino

    Samstag, 3. Januar 2015

    „Frau Yasui“ von Ogai Mori

    Ogai Moris „Frau Yasui“ ist ein schmales Büchlein von gerade mal gut 30 Seiten, herausgegeben im Toyo Verlag. Das Werk ist ein Porträt des 1799 geborenen Chuhei (Sokken) Yasui und dessen Ehefrau Sayo. Mit

    „Neben dem Gerücht: ‚Aus Herrn Chuhei wird einmal etwas Außerordentliches werden’, ging auch eine andere Rede im ganzen Dorf Kiyotake um, nämlich: ‚Ein hässlicher Mensch ist er doch!’“ (S. 1)

    beginnt Ogai Moris „Frau Yasui“. Und wahrlich – Chuheis Gesicht ist seit einer Pockenerkrankung schrecklich vernarbt und zudem ließ die Infektion sein rechtes Auge erblinden. Neben dem stattlichen, älteren Bruder Bunji wirkt Chuheis Aussehen umso hässlicher. Chuhei studiert die chinesischen Klassiker in Edo und wird 29-jährig Lehrer in des Vaters Schule. Dieser befindet, dass es Zeit ist, dass Chuhei heiraten soll. Aufgrund Chuheis Vernarbungen im Gesicht soll die Ehefrau in der Verwandtschaft gefunden werden. Die erste Wahl fällt auf Chuheis Cousine Toyo, die den Heiratsantrag jedoch rundweg ablehnt. Die Überraschung ist groß, als Toyos jüngere Schwester Sayo, die hübscher und dabei doch bescheidener ist, den Wunsch äußert, Chuheis zu ehelichen.

    Sayo wandelt sich von einem schüchternen Mädchen zu einer würdigen Ehefrau. Als Chuhei wegen seiner Ämter nach Edo ziehen muss, folgt ihm Sayo bald mit den Kindern nach.

    Mit 51 Jahren stirbt Sayo als mustergültige, bescheidene Ehefrau, die ihre Wünsche hinter der Karriere des Ehemanns zurückstellt. Warum mag Sayo freiwillig dieses Leben gewählt haben? Ogai Mori mutmaßt:

    „Niemand wird glauben, dass Frau Osayo sich nicht vorstellen konnte, wie angenehm ein üppiges Leben wäre. Niemand kann glauben, dass sie eben nur eine Frau war, von Natur aus anspruchslos, sowohl geistig, wie auch materiell. Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte sie ein Lebensziel vor Augen, vor dem alles Irdische nichts anderes als ein Staubkörnchen war.“ (S. 30 f.)

    Der dokumentarische Charakter des Texts wird so auf den letzten Seiten mit Gedanken des Autors angereichert. Dennoch wirkt das Werk sehr trocken und erlaubt nur wenig Identifikation mit den Handelnden. Daher ist „Frau Yasui“ sicherlich primär für die Leser interessant, die sich für die Person des Chuhei (Sokken) Yasui begeistern.

    Bibliographische Angaben:
    Mori, Ogai: „Frau Yasui“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Koike, Kenji & Zobel, Günter), Toyo Verlag, Tokio 1978