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Freitag, 25. April 2014

„Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt“ von Haruki Murakami

In Haruki Murakamis „Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt“ begegnen wir wieder einmal einem namenlosen Ich-Erzähler. Es ist weniger die Persönlichkeit als vielmehr die Profession, die zunächst in den Mittelpunkt gerückt wird: Er ist ein Kalkulator, der Daten für das „System“ verschlüsselt, um sie vor Datendieben in Form von den Semioten zu schützen. Im Job funktioniert der Kalkulator, sein Privatleben liegt dagegen brach: Die Ehe kaputt, keine Freunde…

Eines Tages bekommt der Ich-Erzähler einen ominösen Auftrag: Ein verquerer Alter ruft ihn zu sich in sein unterirdisches Labor und weist ihn an, Daten mit einer streng geheimen und eigentlich zwischenzeitlich verbotenen Methode zu kodieren. Das Ende der Welt sei von den Fähigkeiten und der Professionalität des Kalkulators abhängig. Neben den Datendieben sollen auch die Schwärzlinge, die im Untergrund leben und Menschen fressen, hinter den verschlüsselten Informationen her sein. Es handle sich dabei um äußerst sensible Forschungsergebnisse: Der Alte mag herausgefunden haben, wie man die Gedanken von Menschen und Tieren aus dem jeweiligen Schädel herauslesen kann. Nicht auszudenken, dass Folter durch Enthauptungen ersetzt werden könnte, um an geheime Informationen zu kommen.

Und tatsächlich statten einige illustre Gestalten dem Kalkulator einen Besuch ab; unter anderem, um einen Schädel, den der Alte dem Kalkulator geschenkt hat und der sich als der eines Einhorns herausstellt, zu stehlen. Doch auch die dicke Enkelin des Alten wird vorstellig: Ihr Großvater scheint in den unterirdischen Katakomben, in denen sich sein Labor befindet, verschwunden zu sein. Ob die Schwärzlinge, die zwischenzeitlich gemeinsame Sache mit den Semioten machen, ihn entführt haben? Der Kalkulator soll dem Mädchen helfen, ihn ausfindig zu machen.

Zu diesem Erzählstrang namens „Hard-boiled Wonderland“, der sich wie ein Science-Fiction liest und in einem lakonisch-sarkastischen Tonfall gehalten ist, gesellt sich ein zweiter, märchenhafter mit „Das Ende der Welt“. Ein wiederum namenloser Ich-Erzähler tritt in eine ihm unbekannte Stadt ein. Doch dafür muss er erst einmal Abschied von seinem Schatten nehmen. Ein Wächter nimmt ihm den Schatten ab und will sich fortan um diesen kümmern. Dem Ich-Erzähler wird die Funktion des Traumlesers zugewiesen. Als solcher soll er künftig in der Bibliothek der Stadt Träume aus Einhornschädeln lesen.

Kaum ein anderer Haruki Murakami-Roman ist so offensichtlich von den Motiven der Grenzgänge und der Parallelität unterschiedlicher Realitätsebenen geprägt wie „Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt“. Die Spiegelungen von einer Welt in die andere sind leicht zu identifizieren und machen einen Teil des Reizes von „Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt“ aus. Nach „Kafka am Strand“ ist „Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt“ mein zweitliebster Haruki Murakami-Roman. Er sei jedem ans Herz gelegt, der sich auf ein Gedankenexperiment einlassen mag: Schlummert nicht in jedem einzelnen Menschen eine eigene Realität, die nur ihm zugänglich ist? Ist nicht ohnehin unsere Wahrnehmung so partiell, dass wir nur immer Teilbereiche der externen Welt erfassen können? Und wie beeinflussen oder gar bedingen sich das Innen und das Außen?

Bibliographische Angaben:
Murakami, Haruki: „Hard-boiled Wonderland und das Ende der Welt“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Ortmanns, Annelie), btb, München 2007, ISBN 978-3-442-73627-0

Donnerstag, 24. April 2014

„Das große Japan Lesebuch“ herausgegeben von Siegfried Schaarschmidt

Siegfried Schaarschmidts „Das große Japan Lesebuch“ kann man jedem Einsteiger in die japanische Literatur mit bestem Gewissen empfehlen. Der Band aus den 90ern enthält freilich keine Werke von Autoren wie Haruki Murakami oder Banana Yoshimoto. Dafür werden aber einzelne Erzählungen von den Literaturnobelpreisträgern Kenzaburo Oe und Yasunari Kawabata vorgestellt. Darüber hinaus dürfen natürlich Größen wie Ryunosuke Akutagawa, Junichirio Tanizaki, Yasushi Inoue, Kobo Abe, Osamu Dazai und Yukio Mishima nicht fehlen.

„Das große Japan Lesebuch“ startet mit Junichiro Tanizakis vielleicht bekanntester Erzählung, nämlich mit „Die Tätowierung“:  Im mittelalterlichen Japan machen Tätowierer als Künstler von sich reden. Ein besonders exzentrischer ist Seikichi. Sadistisch verlangt erfreut er sich an den Schmerzen, mit denen er beim Tätowieren seine Kunden quält. Seikichi ist ein Getriebener: Er ist auf der Suche nach dem perfekten Frauenkörper, den er mit seinen Tätowierungen zieren möchte. Eines Tages erblickt er diese wunderbare Frau, verliert sie jedoch wieder aus den Augen. Ob er dennoch an sein Ziel gelangt?

„Der Chrysanthemenball“ ist die Festivität, die die Protagonistin von Ryunosuke Akutagawas Erzählung besucht. Akiko besucht in Begleitung ihres Vaters zum ersten Mal einen Ball im europäischen Stil. Die Schönheit blendet die Besucher und fasziniert insbesondere einen französischen Militär der besonderen Art.

Naoya Shigas „Kuniko“ war der Auslöser für Shigas Ehefrau, nie wieder eines der Werke ihres Mannes zu lesen. Denn nachdem Naoya Shiga fremd gegangen war, verarbeitete er diese Erfahrung in der Erzählung „Kuniko“. Die Figur der Kuniko ist die Ehefrau eines untreuen Ehemanns. Sie begeht – ganz im Gegensatz zu Naoya Shigas Ehefrau – Selbstmord, da sie mit der Situation nicht zurecht kommt. Der Ich-Erzähler beschreibt Kunikos Weg in den Tod aus Sicht des treulosen Gatten.

Auch Ineko Sata legte ihre eigenen Erfahrungen in die Erzählung „Aus der Bonbonfabrik“: Die Autorin, die selbst schon früh in einer Bonbonfabrik arbeiten musste, zeigt anhand des Schicksals der Schülerin und alsbald Arbeiterin Hiroko die ausbeuterischen Züge der Kinderarbeit auf.

„Der Salamander“ ist der Protagonist in Masuji Ibuses Werk aus dem Jahr 1923: Wie mag vor diesem zeitlichen Hintergrund ein faschistisch anmutender Salamander zu deuten sein, der durch seinen plötzlichen Körperwuchs nicht mehr aus einer Höhle herauskommt und einen Frosch als seinen zwangsrekrutierten Gesellschafter dort mit einsperrt?

„Von Vögeln und Tieren“ erzählt Yasunari Kawabatas Protagonist. Die 1933 publizierte Erzählung enthält sich jeglicher politischer Botschaft. Stattdessen wird das Leben eines alleinstehenden Mannes geschildert, der zu Tieren einen bessern Zugang hat als zu den ihn umgebenden Menschen.

„Von Frauen“ wird dagegen in Osamu Dazais Erzählung gesprochen. 1936 sitzt der Ich-Erzähler am Tage einer Offiziersrevolte zusammen. In Unkenntnis des versuchten Umsturzes ergehen sich die beiden in Phantasien um Frauengestalten. Doch was wird hier imaginiert und was entstammt dem eigenen Erfahrungsschatz?

„Geliebtes Gesicht“ von Kafu Nagai entführt in das Tokio der 30er Jahre. Da ist ein Taxifahrer, der in einer heißen Sommernacht von der Liebe seines Lebens berichtet. Und von einer Revue-Tänzerin, die der verstorbenen Ehefrau fast bis aufs Haar gleicht.

Ein besonders bekanntes Werk von Ango Sakaguchi ist mit „Unter der vollen Blüte im Kirschbaumwald“ in „Das große Japan Lesebuch“ enthalten. In der Groteske aus dem Jahr 1947 werden Machtverhältnisse umgedreht: Ein Bergbandit entführt eine bildhübsche Frau, nachdem er ihren Begleiter kaltblütig ermordet hat. Doch die Dame weiß ihn, der ihr hemmungslos verfallen ist, perfekt zu manipulieren. Der Bandit tanzt bald nach ihrer Pfeife. Freilich wird es der Schönen in den Bergen bald zu fade – in die Hauptstadt soll er mit ihr ziehen. Dort wird er als Tölpel verspottet, doch des Nächtens zieht er aus, um auf Befehl seiner Gebieterin, Menschen zu enthaupten und ihr die Köpfe darzubringen. Nichts findet die Dame erquickender, als mit den verwesenden Schädeln zu spielen und allerlei Rollenspielchen aufzuführen. Doch der Bandit hält es alsbald nicht mehr in der Stadt aus; es zieht in zurück in die Berge. Ausgerechnet das Symbol des Japanischsten schlechthin, nämlich die Kirschblüte, soll zum Verhängnis werden.

Zwei kurze Erzählungen von Kobo Abe hat Siegfried Schaarschmidt mit „Der rote Kokon“ und „Hochwasser“ in den Band aufgenommen. In „Der rote Kokon“ wird Heimatlosigkeit und Verlorensein thematisiert. Die Erzählung nimmt eine kafkaeske Wendung. Dagegen wirkt „Hochwasser“ eher wie ein Science Fiction: Vornehmlich Arbeiter verwandeln sich in Wasser – droht eine Sintflut?

Shotaro Yasuokas „Das Kaninchensyndrom“ ist in den Nachkriegsjahren angesiedelt. Der Ich-Erzähler kuriert sich im Haus seiner Eltern aus. Der Vater, ein ehemaliger Militär, ist nun arbeitslos und ist auf der Suche nach neuen Verdienstmöglichkeiten. Da setzt ihm jemand den Floh ins Ohr, er solle sich doch Kaninchen halten – die Angorawolle würde sich bestens verkaufen lassen. Und so nehmen die Kaninchen bald das Wohnhaus in Beschlag – und auch die Bewohner gleichen den Kaninchen immer mehr.

Morio Kitas kindliche Protagonistin betrachtet „Geflügelte Ameisen am Hang“. Das Mädchen hat ihre Mutter begleitet; zusammen sitzen sie mit einem ihr fremden Mann in einem ihr fremden Garten. Schritt für Schritt entspannt sich für den Leser in Dialogen zwischen der Mutter und dem Mann das Beziehungsgeflecht zwischen den Personen.

Mit „Der Fang“ von Kenzaburo Oe ist im vorliegenden Erzählband ein weiteres sehr bekanntes Werk der japanischen Literatur enthalten: Amerikanische Flugzeuge beginnen während des zweiten Weltkriegs in den japanischen Luftraum einzudringen. Als eines davon in der Nähe eines Dorfes abstürzt, kann ein afroamerikanischer Soldat lebend gefangen werden. Die Geschichte wird aus der Perspektive eines Jungen erzählt, für den „Der Fang“ eine Sensation darstellt. Der Soldat wird erst einmal provisorisch im Keller des Speichers eingesperrt, in dem der Junge mit seinem Vater und seinem jüngeren Bruder haust. Bald soll er ihm sogar mit schlotternden Knien das Essen bringen. Noch haben alle Dorfbewohner Angst vor dem Soldaten, doch nach kurzer Zeit wird er eher wie ein Haustier empfunden. Wenn die Behörden ihn doch nur nicht in die Finger bekommen wollten… In Kenzaburo Oes wird nicht nur die Geschichte einer Annäherung während eines drückenden Sommers erzählt, sondern auch die Entwicklung eines Kindes hin zum Erwachsenen dargestellt.

Auf „Die Brückenprobe“ begeben sich einige Damen in Yukio Mishimas Erzählung. Denn bei Vollmond gilt es, sieben Brücken schweigend zu überqueren, damit ein besonderer Wunsch in Erfüllung geht. Zwei Geishas, eine Wirtstochter und deren Dienstmagd stellen sich der Herausforderung, die sich als nicht allzu einfach gestaltet. Dabei mag der Leser mehr von den „geheimen“ Wünschen der Frauen erfahren.

Harumi Setouchi erzählt in „Einmal hat Makiko gestohlen“ von einer jungen Frau, die ihren Ehemann und ihr Kind wegen einer Affäre aufgibt. Damit nimmt sie ein Thema auf, das stark autobiografisch geprägt ist. Makiko selbst scheint recht unbedarft und nimmt die Dinge wie sie kommen. Ihr Mann setzt sie ohne Hab und Gut vor die Tür; ihr neuer Geliebter will alsbald nichts mehr von ihr wissen. So schlägt sie sich mehr schlecht als recht durch. Wenn nicht ein Bekannter ihr den Floh ins Ohr setzen würde, sie solle sich doch zumindest ihre Lebensmittelkarte und ihre Kleidung zurückholen.

„Das Duell“ von Takeshi Kaiko handelt von einem Tagesausflug eines älteren und eines jüngeren Mannes. Sie wollen dem Kampf eines Mungos gegen eine Habu-Schlange beiwohnen. Dabei werden parallelen zum Schwertkampf des Ganryu gezogen.

Kenji Nakagami schickt seinen Protagonisten in „Der Bergasket“ ins Gebirge. Er ist ein eher grobschlächtiger Kerl mit cholerischen Anwandlungen. Um seine Ehe zu retten, begibt er sich wie ein Pilger ist Gebirge und macht dort metaphysische Erfahrungen, die wie ein Fieberwahn wirken. Erlebt er hier eine Katharsis?

In Makoto Odas „Der Kommandeur“ erinnert sich der Ich-Erzähler, dass er als Kind einmal eine scharfe, vorwurfsvolle Stimme gehört haben mag, die seinem Vater Fehlverhalten im Krieg vorgeworfen hat. Auf der Beerdigung seines Vaters macht er die Entdeckung, dass dies die Stimme von Namba war, der als „General des Teufels“ bezeichnet wurde. So sehr Namba während des Kriegs für militärischen Drill sorgte, so sehr versagt er aber bei der Erziehung seines Sohnes, der in Opposition zur Gesellschaft geht.

Mitsuharu Inoue begleitet in „Die Nacht davor“ eine werdende Mutter durch eine Geburt – einen Tag vor dem Atombombenabwurf über Nagasaki. Während der Leser bereits das Unheil ahnt, was über die Menschen von Nagasaki bald hereinbrechen wird, sind diese noch ganz im Alltag verhaftet. Obwohl in „Die Nacht davor“ nicht sonderlich viel geschieht, wirkt die Erzählung wie ein Schauer – denn die handelnden Charaktere werden nicht mehr allzu lange zu leben haben, bis eine atomare Katastrophe sie verschlingt.

„Ein Brief aus der Wüste“ wird von Yasushi Inoues Protagonisten geschrieben. Er hat sich auf eine Reise durch die Wüste Takla Makan begeben. Als ein Soldat ihm anbietet, seine Briefe mitzunehmen, geht er in sich und fragt sich, wem er bloß einen Brief schreiben solle. Da fällt ihm nur sein verstorbener Jugendfreund ein. Er beginnt mit dem Schreiben eines Briefs an einen Verstorbenen und reflektiert dabei den Einfluss, den dieser auf ihn hatte.

Einige der Erzählungen in „Das große Japan Lesebuch“ finden sich auf in Siegfried Schaarschmidts Band „Ein Brief aus der Wüste“, der im Ostasien-Verlag herauskam. „Das große Japan Lesebuch“ bietet jedoch mehr Erzählungen und damit einen weit besseren Einblick in die Vielfalt der japanischen Literatur.

Bibliographische Angaben:
Schaarschmidt, Siegfried (Hrsg.): „Das große Japan Lesebuch“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Benl, Oscar/Iwabuchi, Tatsuji/Schaarschmidt, Siegfried/Schmidt, Elisabeth), Goldmann, München 1990, ISBN 3-442-09886-6

Montag, 21. April 2014

Harumi Setouchi

Harumi Setouchi erblickte 1922 in Tokushima das Licht der Welt als Tochter eines Kultgerätehändlers. Bereits in der Grundschule las sie Werke von Toson Shimazaki und Hakushu Kitahara und äußerte den Wunsch, Schriftstellerin zu werden. In der Mittelschule schrieb Harumi Setouchi Gedichte und Essays.

An der Frauenuniversität von Tokio studierte sie japanische Literatur. Ihr Studium schloss sie 1943 ab und heiratete im selben Jahr einen zehn Jahre älteren Musikwissenschaftler, mit dem sie nach Peking ging. Dort ging Harumi Setouchi eine außereheliche Affäre ein, die zum Bruch mit ihrem Ehemann führte. 1946 kehrte sie ohne ihre Tochter nach Japan zurück.

Zunächst schrieb Harumi Setouchi Jugendliteratur. 1956 veröffentlichte sie ihren Roman „Studentin Qu Ailing“, der den Shincho-Preis gewann. 1957 löste die Veröffentlichung ihres Romans „Stempel und Staubblatt“ einen Skandal aus – das Werk wurde als pornographisch empfunden. Harumi Setouchi pausierte eine kleine Weile mit dem Schreiben, das sie in den 60er Jahren wieder aufnahm. Ihre folgenden emanzipatorischen Werke über Frauenschicksale umfassten unter anderem Biographien über Toshiko Tamura und Noe Ito. „Die Geschichte des Prinzen Genji“ übersetzte sie in modernes Japanisch.

1992 erhielt Harumi Setouchi den Tanizaki-Preis für „Frage die Blumen“. 2006 wurde ihr der japanische Kulturorden verliehen.

Harumi Setouchis Privatleben war bewegt: Sie hatte diverse Liebesaffären, war mit Yukio Mishima und Yasunari Kawabata befreundet. Dennoch fühlte sie im Alter von 51 Jahren eine innere Leere. Daher trat sie in ein buddhistisches Kloster ein und nahm den Namen Jakucho (= ruhiges, abgeschiedens Zuhören) an, um ihr Leben in den Dienst einer größeren Macht zu stellen. Harumi Setouchi gibt an, dass sie anders als ihre Freunde Yukio Mishima und Yasunari Kawabata keinen Sinn im Selbstmord gesehen hätte; ihre Erfüllung fand sie mit dem Eintritt ins Kloster.

Was nicht bedeuten soll, dass sich Harumi Setouchi in die Meditation zurückzog: Ihr Engagement scheint noch heute ungebrochen zu sein. Sie protestiert gegen die Todesstrafe und gegen Kriege. Gegen die Wiederaufnahme des Betriebs des Atomkraftwerks Fukushima protestierte sie mit einem Hungerstreik. Harumi Setouchi ist landesweit bekannt und ihre Predigten werden von Tausenden besucht.

Interessante Links:

Ins Deutsche übersetzte Erzählungen und hier rezensiert:

Sonntag, 20. April 2014

Ango Sakaguchi

Ango Sakaguchi wurde 1906 als zwölftes von insgesamt 13 Kindern in Niigata geboren. Sein Vater war ein erfolgreicher Politiker in der Präfektur. Schon mit 16 wollte Ango Sakaguchi Schriftsteller werden. Nach einer Auseinandersetzung mit einem Lehrer ging er mit 17 Jahren nach Tokio. Ein Jahr später starb sein Vater und hinterließ der Familie jede Menge Schulden. Mit 20 verdingte sich Ango Sakaguchi als Hilfslehrer.

Aufgrund seines Interesses für den Buddhismus begann mit seinem Studium der indischen Philosophie, das er im Alter von 25 Jahren beendete. 1931 gründete Ango Sakaguchi gemeinsam mit Gleichgesinnten eine Literaturzeitschrift, in der seine ersten Erzählungen publiziert wurden. Größere Bekanntheit wurde dem Autor jedoch erst nach dem Ende des zweiten Weltkriegs zuteil, unter anderem nach der Veröffentlichung des Essays „Über die Dekadenz“ und der Groteske „Unter der vollen Blüten im Kirschbaumwald“.

Ango Sakaguchi lebte das Leben eines Bohemiens. Er wies familiäre Bedingungen zurück, lebte in Tokio, Kioto, Odawara und Kiryu. Er schluckte Methamphetamine und sprach dem Alkohol ordentlich zu. Mit Tsuneko Yada lebte er zeitweise in wilder Ehe. 1947 heiratete er schließlich die Schriftstellerin Michiyo Kaji. Der gemeinsame Sohn kam 1953 zur Welt. Bereits 1955 starb Ango Sakaguchi im Alter von 48 Jahren an einem Aneurysma.

Interessante Links:

Hier rezensiert:
 
Weitere ins Deutsche übersetzte Essays:
  • Die japanische Seele

Samstag, 19. April 2014

„Eine persönliche Erfahrung“ von Kenzaburo Oe

Im Sommer 1961 wird Birds Sohn geboren. Doch der werdende 27-jährige Vater freut sich vorab nicht wirklich auf den Nachwuchs. Afrika, das Ziel seiner Reisesehnsüchte, wird er so wohl nie betreten. Sein Leben wird sich zukünftig wohl in gutbürgerlichen Bahnen zu bewegen.

Doch als Bird den Anruf aus dem Krankenhaus erhält, sein Kind sei geboren, aber alles andere als gesund, scheint sich sowohl die Afrikareise als auch das gutbürgerliche, harmonische Familienleben zu zerschlagen. Sein Sohn ist mit einer Geschwulst am Kopf geboren; die Ärzte geben ihm nur noch wenige Tage zu leben. Birds Frau wird weis gemacht, das Kind werde wegen einer anderen Gesundheitsbeeinträchtigung dringend in eine Spezialklinik verlegt. Sie soll das Baby, das aussieht, als würde ein zweiter Kopf aus dem eigentlichen wachsen, möglichst gar nicht erst zu Gesicht bekommen. Für Bird ist das Neugeborene ohnehin schon nichts anderes als ein Monster.

Bird lässt seinen Sohn zum Sterben in der Spezialklinik und flüchtet sich zu seiner Freundin Himiko, die er noch aus seinen Studentenzeiten kennt. Himiko lebt seit dem Selbstmord ihres Ehemanns ein unkonventionelles Leben: Unter Tags verlässt sie kaum das Haus, abends braust sie mit ihrem Sportwagen durch die Stadt und lässt sich mit allerlei Männern ein. Bei ihr findet Bird eine Höhle, in der er seine Wunden lecken kann. Hier lässt er sich volllaufen und hat Sex mit Himiko, während er auf den Anruf der Klinik wartet, dass sein Kind endlich stirbt. Doch das Baby denkt gar nicht daran, das Zeitliche zu segnen. Es wird sogar von Tag zu Tag kräftiger. So bittet Bird den behandelnden Arzt bald darauf, die Nahrungszufuhr zu reduzieren und den Sohn verhungern zu lassen. Als ein Spezialist den Kleinen operieren will, nimmt Bird das Baby zu sich, um es von einem zwielichtigen Arzt um die Ecke zu bringen zu lassen.

Doch die Entscheidung nagt an Bird. Soll er sich den Tod des behinderten Kindes zu Schulden kommen lassen, seine Ehefrau dadurch verlieren, aber dadurch frei für eine Afrikareise mit Himiko werden? Bird neigt zum Selbstbetrug, ringt aber mit sich, um den richtigen Weg doch noch zu finden.

Kenzaburo Oe zeichnet mit „Eine persönliche Erfahrung“ ein schwüles, beklemmendes Sommerszenario, das auf eigenen Erlebnissen beruht: Im Jahr 1963 kam Kenzaburo Oes Sohn Hikari mit einer Behinderung zur Welt. Hikari Oes Existenz beeinflusste fortan seinen Vater in seinem literarischen Schaffen.

So ganz anfreunden kann man sich als Leser allerdings nicht mit dem Protagonisten Bird. Er wirkt komplett passiv hinsichtlich seiner persönlichen Angelegenheiten, zeigt dafür aber Engagement, wenn es um die Zukunft irgendeines Bekannten geht. Nervig werden mit der Zeit auch die ständigen Metaphern und Vergleiche, die teilweise extrem abgehoben wirken und dadurch nicht zur Situation passen wollen. So wird der doppelköpfige Sohn mehrfach mit dem unter einer Kopfverletzung leidenden Apollinaire verglichen. Oder die Schwiegermutter wird wie folgt beschrieben:

„Die Schwiegermutter saß unbewegt wie zuvor, als hätte der melancholischste Bauchredner dieses Erdkreises gesprochen.“ (S. 34)

Noch ein bisschen abstruser wird es dann an anderer Stelle: Birds seit der Geburt des Sohnes plötzlich aufsteigende Abneigung gegen Sex mit Frauen wird genauso schnell wieder durch Analsex mit Himiko geheilt. Ohnehin ist die Darstellung von Sexszenen nicht gerade die Stärke von Kenzaburo Oe.

Sicherlich ist die Thematik von „Eine persönliche Erfahrung“ die Lektüre wert – nur mag dem einen die Ausführung durch Kenzaburo Oe mehr liegen als dem anderen…

Bibliographische Angaben:
Oe, Kenzaburo: „Eine persönliche Erfahrung“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Schaarschmidt, Siegfried), Suhrkamp, Frankfurt am Main 1997, ISBN 3-518-39249-2

Freitag, 18. April 2014

„Riskante Begierden“ von Taeko Kono

Der zweite Weltkrieg tobt weltweit. Das Kriegsgeschehen verlagert sich mehr und mehr auf die japanische Hauptinsel und fordert täglich Opfer unter den Soldaten und Zivilisten. Doch das Ehepaar Otaka interessiert sich trotz der apokalyptischen Zustände primär für das eigene Sexualleben. Der Ehemann Masataka Otaka, der die viel jüngere Hinako Sagara geheiratet hat, ist masochistisch veranlagt und leitet seine Frau an, ihn mit immer strengeren Züchtigungen zu bestrafen.

Taeko Konos Roman „Riskante Begierden“ wird aus der Sicht der jungen Ehefrau Hinako geschildert und setzt mit diesen beiden Sätzen ein:

„Hinako heiratete Otaka Masataka im Frühling 1941. Damit nahm eine sonderbare Ehe ihren Anfang, auf die sie nicht im geringsten gefasst war.“ (S. 7)

Doch bevor dem Leser die bizarre Ehe vorgeführt wird, wird er zunächst über diverse Familienverflechtungen und Eigenarten der Personen aufgeklärt, darf der Anbandelung von Hinako und Masataka beiwohnen und erlebt in deren Hochzeitsnacht mit, dass die traditionelle Rollenverteilung umgedreht wird: Die starke, befehlende Kraft soll Hinako spielen, Masataka will sich ihr unterordnen. Freilich klappt das Liebesspiel mit der jungfräulichen Hinako noch nicht reibungslos, aber das soll sich von Mal zu Mal ändern.

Mit „Riskante Begierden“ liegt jedoch kein expliziter SM-Roman vor. Dafür werden die wenigen Sex-Szenen zu spärlich auf den über 300 Seiten verteilt. Viel mehr Raum wird dem alltäglichen Leben und der Familiengeschichte eingeräumt. So wird ein großer Gegensatz zwischen den Otakas und Sagaras deutlich: Die liebevolle, geordnete Otaka-Familie steht einer chaotischen Sagara-Familiengeschichte mit cholerischem Familienoberhaupt gegenüber. Eine Parallelität findet sich dagegen in Hinakos Liebesleben: Die beiden Männer in ihrem Leben sind beide vom Todeswunsch beseelt.

In der Kritik wurde „Riskante Begierden“ unter anderem als subtiles Meisterwerk der Autorin gepriesen, als der Roman 1990 in Japan erschien. Diese Subtilität mag für japanische Leser sicherlich vorhanden sein (z.B. in dem komplizierten Geflecht von Höflichkeitsregeln in der Anrede), wirkte aber auch mich so glatt gar nicht. Natürlich entdeckt man eine Entwicklung im Charakter der Hinako, doch im Grunde blieb sie für mich eine naives Mädchen aus gutem Haus, das sich auf ein Spiel mit ihrem Ehemann einlässt. Gut behütet macht sie sich nur wenige Gedanken, die über ihr Eheleben hinausgehen. Doch selbst bezüglich des Schicksals ihres Mannes erscheint sie regelrecht indifferent. So bleibt sie als Protagonistin unzugänglich, ihre Motive bleiben im Unklaren und ihre Gedankengänge beginnen immer mehr zu nerven. Sie wirkt weltfremd und scheint sich keinerlei Vorstellungen von der Zukunft oder von den Konsequenzen ihres Handelns zu machen.

„Riskante Begierden“ reicht für mich nicht ansatzweise an Taeko Konos Erzählband „Knabenjagd“ heran, der wirklich unter die Haut geht. „Riskante Begierden“ langweilt dagegen.

Bibliographische Angaben:   
Kono, Taeko: „Riskante Begierden“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Mangold, Sabine & Hayasaki, Yukari), Suhrkamp, Frankfurt am Main 2002, ISBN 3-518-39897-0

Montag, 14. April 2014

„The Ring 0 – Birthday“ von Koji Suzuki

Puh, was bin ich froh, dass ich nun auch endlich den letzten Teil der „The Ring“-Saga von Koji Suzuki mit „Birthday“ abgeschlossen habe. Ich habe mich über die letzten Teile („The Ring“, „The Ring II – Spiral“ und „The Ring III – Loop“) ja schon arg ereifert und „Birthday“ reiht sich in den recht dämlichen Plot ebenfalls wunderbar ein.

Um nochmals ein schmales Bändchen von rund 200 Seiten zu füllen, darf der Leser noch zwei Seitenstränge der Geschichte und ein final-finales Ende erleben.

Da hätten wir einmal „Der im Himmel treibende Sarg“: Hier wird das Los der Mai Takano geschildert, nachdem sie in einem Hochhausschacht die Reinkarnation von Sadako geboren hat. Der Leser weiß aus „Spiral“ natürlich schon, dass Mais letztes Stündlein bereits geschlagen hat. Man könnte ja nun vermuten, dass Koji Suzuki dieses Szenario nutzt, um gehörig Todesangst, Beklemmung, absolute Verzweiflung oder Resignation zu beschreiben. Stattdessen wirkt das Kapitel wie ein Schlafmittel.

„Lemonheart“ geht zurück zu Sadakos kurzfristiger Theaterkarriere. Statt Sadako als großem Ring-Bösewicht hier mal so richtig schön unheimlich darzustellen, wirkt sie nach der Lektüre des Kapitels sogar noch sympathischer. Denn hier zeigt sie sich von einer besonders menschlichen Seite: Sie verliebt sich ernsthaft, macht erste sexuelle Erfahrungen und wird dafür dem Spott der Theaterleute ausgeliefert. Ihren Wunsch nach Rache kann der Leser so nur allzu gut nachvollziehen.

„Happy birthday“ schließlich schwenkt zeitlich auf das Ende von „Loop“. „Loop“ hatte noch relativ offen gelassen, wie die Entwicklungen in beiden Welten wohl weitergehen würden. „Happy birthday“ formuliert nun im Schnelldurchlauf ein Happy End mit siegreicher Vernichtung des Krebsvirus und der Sadako-Klone. Das Ganze erscheint recht platt und ist ohnehin mal so gar nicht spannend. Dafür bekommt man Lust, dem Autor zu unterstellen, er hätte die Ring-Saga auf Biegen und Brechen auf einen weiteren Band ausweiten wollen, um noch ein bisschen mehr Kohle zu scheffeln.

Wie dem auch sei: Ich mag mich wiederholen, aber das beste ins Deutsche übersetze Koji Suzuki-Werk ist für mich nach wie vor der Erzählband „Dark Water“. Von „The Ring“ ist der erste Band noch gut lesbar, aber von den folgenden Teilen kann man getrost die Finger lassen.

Bibliographische Angaben:
Suzuki, Koji: „The Ring 0 – Birthday“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Klepper, Alexandra), Heyne, München 2006, ISBN 978-3-453-43132-4

Sonntag, 13. April 2014

„Japanische Kriminalgeschichten“ herausgegeben von Ingrid Schuster

Sieben Erzählungen versammelt Ingrid Schuster in dem Reclam-Heftchen „Japanische Kriminalgeschichten“. Ihre Textauswahl datiert zurück bis ins 17. Jahrhundert und beginnt Saikaku Iharas „Sie wussten nicht, was  in der Trommel war“: Hier lässt sich ein Richter eine besonders listige Methode einfallen, wie er unter denen Verdächtigen, von denen einer den gemeinsamen Kumpan bestohlen hat, überführen wird.

„Die Daumenfessel“ eines unbekannten Autors ist ebenfalls eine trickreiche Prozedur eines Richters, der Wahrheit auf den Grund zu gehen.

Tragisch wird es dagegen in „Die Straßensängerin und der Samurai“ (Autor ebenfalls unbekannt): Der Edelmann Genzaburo verliebt sich Hals über Kopf in Okoyo, eine Eta, eine Ausgestoßene. Genzaburo setzt seinen Ruf und seine Ehre aufs Spiel, als er sich mit ihr einlässt. Allerlei Intrigen werden bald um das ungleiche Liebespaar gesponnen.

Junichiro Tanizaki kreiert mit seiner Erzählung „Ich“ ebenso ein Verwirrspiel: In einem Internat scheint ein Schüler zum Langfinger zu mutieren. Vielfache Verdächtigungen werden ausgestoßen. Wer mag wohl der Täter und wer wohl das Opfer ungerechtfertigter Anschuldigungen sein?

In Edogawa Rampos „Das Rote Zimmer“ gibt es Opfer zu Hauf: Ein Neuzugang in einem Zirkel gelangweilter Herren erzählt über seine mannigfaltigen Mordopfer und die Wege, wie er eines um das andere auf elegante Weise zur Strecke brachte. Mag dies der kaltschnäuzigste Mörder aller Zeiten sein?

Seicho Matsumotos Protagonist Ishino in „Die Zeugenaussage“ wird durch seine außereheliche Affäre in Bedrängnis gebracht: Als Ishino mit seiner Geliebten Chieko unterwegs ist, begegnet ihm sein Bekannter Sugiyama. Da ausgerechnet Sugiyama des Mordes beschuldigt wird und als Alibi die Begegnung mit Ishino angibt, sieht dieser seinen Ruf und seine Stellung in Gefahr. Er entschließt sich zur Falschaussage, die für Sugiyama das Todesurteil bedeuten kann.

Masako Togawas „Der Blutsauger“ ist vielleicht die Erzählung in „Japanische Kriminalgeschichten“, die am eindrücklichsten ist. Aus der Sicht von Shojiro, der offensichtlich nicht der Hellste ist, wird geschildert, dass die Insassen einer Anstalt regelmäßig von einem „Vampir“ heimgesucht und zur Blutspende gezwungen werden. Können investigative Journalisten den eigentümlichen Vorgängen auf die Spur kommen? Oder sind Shojiro und seine Leidensgenossen in ernsthafter Gefahr?

Ingrid Schusters Reclam-Bändchen „Japanische Kriminalgeschichten“ bietet insgesamt ein nettes Sammelsurium an teilweise aber nur mäßig spannenden Erzählungen. Eine schönere Zusammenstellung findet sich beispielsweise in „Totenkopf und Kimono“, auch wenn man sich hier wie dort sicherlich über die Definition von „Kriminalgeschichten“ streiten lässt.

Bibliographischen Angaben:
Schuster, Ingrid (Hrsg.): „Japanische Kriminalgeschichten“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Ota, Yuzo/Sato, Reiko & Schuster, Ingrid), Reclam, Stuttgart 1985, ISBN 3-15-008086-X)

Samstag, 12. April 2014

„Die Früchte des Ginkgo“ von Kenji Miyazawa

Märchen sind normalerweise alles andere als meine Lieblingslektüre. Die 18 Märchen von Kenji Miyazawa, die in dem Band „Die Früchte des Ginkgo“ versammelt sind, haben mich aber eines Besseren belehrt: Die dort präsentierten Erzählungen sind sowohl bezaubernd als auch sozialkritisch. Darüber hinaus ist auch die Aufmachung des Buches geradezu liebevoll gestaltet. Illustrationen von Usamu Tsukasa zieren die einzelnen Texte und vermitteln die naive Märchenhaftigkeit noch zusätzlich. Die Herausgeberin Johanna Fischer hat auch nicht die Mühe gescheut, jedes Märchen zu kommentieren und in einen historischen und gesellschaftlichen Sinnzusammenhang zu stellen.

So erfährt der Leser beispielsweise, dass sich Kenji Miyazawa zwar von agrarwirtschaftlichen Großbetrieben beeindruckt zeigte, er aber mit dem Märchen „Der Wolfswald, der Korbwald und der Diebswald“ einen Text kreierte, der an eine Zeit mahnt, als die Menschen mit der Natur und mystischen Gestalten noch in Einklang lebten und ihnen Respekt zollten.

Oder aber es werden buddhistische Ansätze formuliert: „Die Vulkanbombe mit dem guten Herzen“ ist ein Vulkanstein, der von den anderen Waldbewohnern permanent gegängelt wird. Der Brocken wird jedoch nie böse, sondern bewahrt sich trotz aller Beleidigungen und Schwierigkeiten seine Gutmütigkeit. Für die Herausgeberin ist dies ein Text, der auf Kenji Miyazawas Verständnis der idealen buddhistischen Lebenseinstellung verweist.

„Das Gasthaus mit den vielen Aufträgen“ gilt als eine der bekanntesten Erzählungen von Kenji Miyazawa. Zwei verwöhnte Jünglinge aus Tokio sind in Nordjapan auf der Jagd und wollen in einem unversehens auftauchenden Gasthaus Einkehr machen. Doch in der harmlos anmutenden Umgebung werden die Rollen von Jäger und Gejagtem, von Essensgast und Speise unversehens ins Gegenteil verkehrt.

Kenji Miyazawas Märchen in „Die Früchte des Ginkgo“ wirken manchmal sozialkritisch, manchmal mythologisch und dann wieder buddhistisch geprägt. Sie werden aus dem Erfahrungsschatz des Autors gespeist und verweisen teilweise direkt auf dessen Biographie. Das macht diesen Kenji Miyazawa-Band so wertvoll und abwechslungsreich, dass selbst ich mich für seine Märchen begeistern kann.

Bibliographische Angaben:
Miyazawa, Kenji: „Die Früchte des Ginkgo“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Fischer, Johanna), Verlag Günther Neske, Pfullingen 1980, ISBN 3-7885-0223-1