Labels

Montag, 29. Dezember 2014

„Extinction“ von Kazuaki Takano

Nun ist Kazuaki Takanos über 550 Seiten starker Roman „Extinction“ doch noch Ende Dezember 2014 statt wie angekündigt Anfang Januar 2015 erschienen. Der Wälzer hat es nicht nur in Bezug auf das hohe Seitenvolumen in sich: Kazuaki Takano schildert ein Szenario, das im Jahr 2005 angesiedelt ist. Der US-amerikanische Präsident Burns genehmigt eine schmutzige Mission in den Kongo, für die eine private Sicherheitsfirma beauftragt wird. Das Ziel der vier ausgewählten Söldner soll die Ausrottung eines Pygmäenstamms sein, der angeblich ein zu 100% tödliches Virus in sich trägt. Doch bald wird den Elitekämpfern klar, dass der angebliche Schutz der Weltbevölkerung vor dem Virus nur ein vorgeschobener Grund für ihre Mission ist. Das eigentliche Ziel ist ein Lebewesen, das unter den Pygmäen weilt. Mitten in den kongolesischen Kriegswirren gilt es bald, nicht nur die eigene Haut zu retten.

Fernab von Afrika hat der Promotionsstudent Kento ganz andere Probleme: Sein Vater ist überraschend gestorben. Kurz nach dessen Tod erhält der junge Mann eine mysteriöse Mail – Absender: der verstorbene Vater. So erhält Kento Anweisungen, was zu tun sein, wenn der Vater plötzlich verschwunden sei. Kento hat ein weißes und ein schwarzes Laptop in seinen Besitz zu bringen und sich in ein verlassenes Wohnhaus zu begeben. Sein Ziel soll die Entwicklung eines Medikaments gegen eine unheilbare Krankheit innerhalb von nur einem Monat sein – ein schier unmögliches Unterfangen. Darüber hinaus bedrängt ihn eine unbekannte Frau, ihr den schwarzen Laptop zu übergeben. Und bald hat Kento auch noch die Polizei auf dem Hals. Auch wenn es zunächst so wirkt, als würde Kento unabhängig von den Kämpfen im Kongo vor sich hinarbeiten, tritt bald eine Vernetzung der Geschehnisse zu Tage.

Die Handlung von Kazuaki Takanos „Extinction“ schwenkt hin und her zwischen Kento in Japan, Afrika mit der zentralen Figur des Söldners Yeager und den USA, wo sich der Analyst Rubens mit dem CIA, dem Präsidenten und eigenen Skrupeln herumschläg. Obwohl der Autor in einem Interview mit Publishers Weekly angibt, die Figur des Präsidenten Burns sei nicht an George Bush jr. angelehnt, so mag man dies kaum glauben. Zu nah wirkt die Namenswahl; auch die Persönlichkeit mit starkem Vaterkomplex, Alkoholproblemen und der Wandel zum geläuterten Christen weisen starke Parallelen zum realen US-Präsidenten der Zeit auf. Auch wenn der Roman zeitlich vor zehn Jahren angesiedelt ist, so sind die Themen immer noch aktuell: Komplettüberwachung durch die NSA, Folterlager der USA, Kriege um Rohstoffe, tödliche Viren in Afrika, Kindersoldaten, Angst vor dem Fremden…

An manchen Stellen erscheint einem die Handlung zwar recht unplausibel (wenn sich Kento bspw. mit einfachen Polizisten herumschlagen muss, während er doch von einer omnipotenten Macht protegiert wird, die mal so eben ein erfolgreiches Attentat auf den US-amerikanischen Vize-Präsident realisieren kann und die Schuld der chinesischen Regierung in die Schuhe schiebt), aber davon abgesehen entfaltet sich in Kazuaki Takanos „Extinction“ ein Szenario, das einen vor Spannung eine Lesenachtschicht einlegen lässt. Während der Handlungsstrang in Afrika aufrüttelt, indem die Grausamkeit des Menschen gegenüber seinen eigenen Artgenossen dargestellt wird, präsentiert die japanische Perspektive jedoch Einblicke in die medizinisch-pharmakologische Forschung, die sicherlich nicht für jedermann interessant sein dürften.

Falls der C. Bertelsmann-Verlag eine zweite Auflage andenkt, dann wäre bestimmt auch noch eine kleine Überarbeitung durchs Lektorat anzuraten. Nicht nur orthographische, sondern leider auch inhaltliche Fehler haben sich in Kazuaki Takanos „Extinction“ eingeschlichen, die man bei der Gelegenheit glatt zurren sollte.

Bibliographische Angaben:
Kazuaki Takano: „Extinction“ (Übersetzung aus dem Englischen: Schmidt, Rainer), C. Bertelsmann, München 2015, ISBN 978-3-570-10185-8

Kazuaki Takano

Der Bestsellerautor Kazuaki Takano wurde 1964 in Tokio geboren. Zunächst begeisterte er sich jedoch primär für das Medium Film; schon als Schüler produzierte er erste Videos. Sein Studium beendete er 1984 vorzeitig, um in den USA Berufserfahrung in der Filmbranche zu sammeln. 1991 kehrt er nach Japan zurück und verdingte sich als Regisseur und Drebbuchautor.

Sein Debütroman „13 Schritte“ wurde im Jahr 2001 mit dem Edogawa Rampo-Preis prämiert. 2011 wurde sein Roman „Extinction“ für den Naoki-Preis nominiert und avancierte zu einem Bestseller.

Interessante Links:

Ins Deutsche übersetzte Romane und hier rezensiert:

Donnerstag, 11. Dezember 2014

„Schwere Blumen“ von Natsuki Ikezawa

Mit „Schwere Blumen“ liegt der zweite ins Deutsche übersetzte Roman des magischen Realisten Natsuki Ikezawa vor. Im Zentrum des Geschehens stehen zwei Geschwister in ihren 20er Jahren: Der große Bruder Tetsuro ist in Bali beim Drogenkonsum von der Polizei erwischt worden – ihm droht nun die Todesstrafe. Seine jüngere Schwester Kaoru eilt ihm zu Hilfe, da sich die Auslands-unerfahrenen Eltern zu hilflos anstellen würden.

Abwechselnd wird die Perspektive des Bruders und der Schwester dargestellt. Tetsuro erlebt im Gefängnis den kalten Entzug, der sehr eindrücklich dargestellt wird. In Rückblenden erfährt der Leser, wie sich der junge Mann als Künstler zu etablieren versucht: Er rebelliert gegen den Vater und dessen Wunsch, einen handfesteren Beruf zu erlernen, er macht sich auf in die Welt, um seinen Stil zu schärfen. Schließlich trifft er in Thailand auf Ingeborg, einer deutschen Finanzbuchhalterin, die ihn zum Heroinkonsum verführt. Während Ingeborg der Droge nicht verfällt, sondern sehr rational damit umgeht, wird Tetsuro zum Junkie, der schließlich in Bali verhaftet wird. Zu großen Teilen ist der Part, in dem Tetsuro eigentlich in der Ich-Perspektive sprechen sollte, in der zweiten Person Singular gehalten. Dies wirkt so, als hätte der Gefangene eine gewisse Abneigung gegen sich – und tatsächlich hat er noch mehr Schuld auf sich geladen, als nur seinen eigenen Körper mit Drogen zu vergiften.

Auch die jüngere Schwester Kaoru ist in die weite Welt hinausgezogen, hat in Paris studiert und jettet als Koordinatorin für Filmteams von Kontinent zu Kontinent. Als Tetsuro verhaftet wird, ist es an Kaoru, nach Bali zu fliegen, und den vom Drogenentzug völlig lethargischen Tetsuro aus voller Kraft zu unterstützen. Denn wie es in der urtümlichen japanischen Mythologie heißt: Die Schwestern sind die Schutzgöttinnen der Brüder. Sie haben die Kraft, Unheil von ihnen abzuwenden. Ein weiteres Motiv der Schadensabwehr wird mehrfach in „Schwere Blumen“ gespielt: Gegen den Strom zu schwimmen, vergeudet nur unnötige Kräfte und wird nicht zielführend sein. Stattdessen gilt es, quer zum Strom zu schwimmen und sich so aus einer misslichen Lage zu befreien.

Natsuki Ikezawa schildert zwar eine an sich realistische Situation, lässt aber an vielen Stellen  religiöse und metaphysische Elemente einfließen: Da ist eine nächtliche Taufe in einem Fluss nahe Paris. Da sind Gedanken um Schutzgötter. Da wird über das Zu-Stein-Werden und das Beten philosophiert. Hin und wieder wird die Handlung auch etwas überspitzt dargestellt. Natsuki Ikezawa kontrastiert zudem auch den europäischen Lebensstil mit dem asiatischen, indem er den Charakter der effizient handelnden, kompromisslosen Ingeborg einführt.

Ein, zwei zentrale Stellen in Natsuki Ikezawas „Schwere Blumen“ hätte ich mir gern noch ein bisschen prägnanter ausformuliert gewünscht. Vergleicht man „Schwere Blumen“ mit dem ersten ins Deutsche übersetzten Natsuki Ikezawa-Roman, so hat mich der „Aufstieg und Fall des Macias Guili“ gerade deswegen so in den Bann gezogen, da die metaphysischen Erfahrungen sehr ausführlich waren und man komplett in die dargestellte Parallelwelt abtauchen konnte. Gerade am zentralen Wendepunkt von „Schwere Blumen“ habe ich dies etwas vermisst.

Nichtsdestotrotz ist „Schwere Blumen“ ein sehr vielschichtiger Roman, den man auf sich wirken lassen sollte. Er lebt von Antagonismen wie Ost/West, Glaube/Nicht-Glaube, gut/schlecht, männlich/weiblich, alt/jung und noch vielen mehr. Sie alle gilt es zu entdecken – und schließlich erwischt man sich dabei, dass man recht sehnsüchtig auf einem Reiseportal nachsieht, wie viel denn ein Trip nach Bali gerade kosten würde.

Bibliographische Angaben:
Ikezawa, Natsuki: „Schwere Blumen“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Mangold, Sabine), Abera, Hamburg 2014, ISBN 978-3-939876-16-8

Dienstag, 2. Dezember 2014

„Licht scheint auf mein Dach“ von Kenzaburo Oe

Hikari bedeutet Licht. Hikari ist– wie Kenzaburo Oe-Leser wissen – der Sohn des Literaturnobelpreisträgers Kenzaburo Oe. Hikari kam mit einer großen Geschwulst am Kopf auf die Welt. Die Ärzte räumten dem Baby zunächst keinerlei Überlebenschancen ein, doch eine riskante Operation überlebte der Junge – wenn er auch in seiner weiteren Entwicklung eingeschränkt blieb. Hikaris Behinderung wurde zum großen literarischen Leitmotiv von Kenzaburo Oe. In „Licht scheint auf mein Dach“ versammeln sich einige sehr persönliche Essays des Autors, in denen er aus seinem Familienleben berichtet, in dem Hikari eine besonders wichtige Position einnimmt. Denn das Achtgeben auf Hikari ist ein wichtiger Bindungsmechanismus für die Familie Oe, die sonst eher durch nur lose Bande verknüpft ist.

Doch Kenzaburo Oe bekennt sich auch zu seinen Schwächen. So gesteht er beispielsweise, dass er den störrischen Hikari einmal in einem Kaufhaus allein ließ und dafür mit einer schweißgebadeten, hektischen Suche nach dem Jungen büßen musste. Oder dass er es verpasst hat, rechtzeitig wichtige Medikamente für seinen Sohn zu besorgen und voller Panik in der Notaufnahme vorstellig wurde. Er beschönigt das Leben mit Hikari auch nicht, wenn er zum Beispiel darüber berichtet, dass Hikari auf dem Weg zur Behindertenwerkstatt einen epileptischen Anfall bekommen und kurz danach in die Hose gemacht hat. Erst in der Behindertenwerkstatt konnte der Autor dem Sohn die Wäsche wechseln.

Hikari, der sich zunächst für Vogelstimmen und dann für klassische Musik interessierte, hat für Kenzaburo Oe im Komponieren eine Ausdrucksform für seine Gefühle gefunden, die ihm auf verbale Weise aufgrund seiner Behinderung verschlossen blieb. Kenzaburo Oe erzählt in „Licht scheint auf mein Dach“ über die Aufnahmen zu den ersten beiden CDs von Hikaris Stücken und wie der junge Mann vor Aufregung einen Anfall bekam. Auch dass ungute Menschen ihm nach den Aufnahmen zynische Postkarten schrieben, Hikaris Musik würde niemals aufgenommen werden, wenn dieser nicht Sohn des großen Schriftstellers Kenzaburo Oe sei, bleibt nicht unerwähnt. Doch für den Autor hat Hikaris Musik eine viel wichtigere Funktion als mit CDs Geld verdienen zu wollen:

„Wenn ich Hikaris Musik höre, spüre ich jedoch, dass im Akt des Ausdrucks selbst die Kraft für seine Genesung liegt. Diese Kraft kuriert sein Herz. Sie heilt nicht nur ihn, sondern auch jene, die empfänglich sind für das, was er sagen will. Darin liegt das Mysterium der Kunst.“ (S. 152)

Während Kenzaburo Oes zweiter Sohn kaum in den Essays auftaucht, so wird doch immerhin der Tochter etwas Platz eingeräumt. Der Leser erfährt, dass die Ma-chan aus „Stille Tage“ nur wenig mit Kenzaburo Oes Tochter gemeinsam hat – wenn auch der fiktive Charakter genauso wie die Tochter über einen besonders runden Schädel verfügen. Ohnehin war die Tochter nie darüber begeistert, ihrem Vater Stoff für seine Werke zu liefern und dass dieser ihre Privatsphäre partiell öffentlich machte.

Der Leser erfährt in „Licht scheint auf mein Dach“ auch mehr über das Wesen und die Motivationen von Kenzaburo Oe:

„Schreibe ich nicht deswegen Bücher, um meinem grundlegenden Gefühl Ausdruck zu verleihen, dass ich mich in dieser Welt zu Hause fühle? Mein Traum ist es jedoch, darin auch den Weg zu dem ausdrücken zu können, was unsere Welt übersteigt.“ (S. 123)

„Licht scheint auf mein Dach“ ist sicherlich nicht das Werk, das man als erstes Kenzaburo Oe-Buch lesen sollte. Wer jedoch schon einige der Romane, in denen der Schwerpunkt auf Hikari alias I-Ah liegt, gelesen hat, der empfindet die Essays vielleicht als großes, umfassendes Nachwort zu den belletristischen Werken und erhält Hintergrundinformationen aus erster Hand, wie der Autor Kenzaburo Oe denn so tickt.

Bibliographische Angaben:
Oe, Kenzaburo: „Licht scheint auf mein Dach“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Bierich, Nora), S. Fischer, Frankfurt am Main 2014, ISBN 978-3-10-055217-4

Montag, 1. Dezember 2014

„Freiwillige Selbsthinrichtung“ von Masahiko Shimada

Seit das Cover von Masahiko Shimadas „Freiwillige Selbsthinrichtung“ im Frühling dieses Jahres feststand, habe ich auf die Veröffentlichung hingefiebert. Jetzt ist es endlich soweit: Der erste ins deutsche übersetzte Roman von dem unkonventionellen Autor Masahiko Shimada ist publiziert – wenn auch der Titel auf den ersten Blick nicht sonderlich Lust aufs Lesen macht. Doch die initiale Assoziation täuscht gewaltig: Der Roman könnte gar nicht weiter weg von depressiven, Selbstmord-geschwängerten Gedankengängen angesiedelt sein, sondern wirkt passagenweise eher wie Slapstick auf Speed.

Masahiko Shimada führt den Protagonisten zunächst als den namenlosen „Mann auf Reisen“ ein; erst später gibt er ihm den Namen Yoshio Kita. Insofern ist Yoshio Kita ein jedermann, der Name ist nicht mehr als ein Platzhalter. Masahiko Shimada spricht in seinem kurzen Nachwort an, dass wahrscheinlich schon jeder – sei es noch so kurz und sei es noch so vage – mit dem Gedanken an Selbstmord gespielt hat. Doch sein Protagonist Kita wird konkret und setzt sich im wahrsten Sinne des Wortes eine Deadline: In einer Woche, am kommenden Freitag, will er aus freiem Entschluss das Zeitliche segnen. In dieser Woche will Kita, der eigentlich gar nicht so genau weiß, wie er sich amüsieren soll, nochmal ordentlich einen drauf machen. Am Grab seines Vaters hat er bereits Abschied genommen, seine verwitwete, allein lebende Mutter möchte er noch ein letztes Mal sehen, aber ansonsten hat er noch keinerlei Pläne für seine letzten Tage geschmiedet.

Eine zufällige Begegnung zieht Kita in einen Strudel von Fremdbestimmtheit, Weibergeschichten, Versicherungsbetrug, Organhandel und Rauschzuständen: Nachdem Kita vom Grab seines Vaters in Dazaifu nach Tokio zurückgekehrt ist, teilt er sich ein Taxi mit dem zwielichtigen Yashiro, der sich zwar als Filmproduzent ausgibt, seine Finger aber in allerhand dunklen Machenschaften hat. Yashiro hat wie ein Bluthund einen Sinn dafür, wie er Kitas selbstmörderische Absichten für sich nutzbar machen kann und nimmt die Fährte auf. Zunächst vermittelt er Kita den Kontakt zu einem Porno-Sternchen und deren Clique. So lernt Kita unter anderem auch Zombie alias Izumi kennen, die als „unsterbliche“ Todeskandidatin in ihrem Freundeskreis bekannt ist. Niemand hat so viele fehlgeschlagene Selbstmordversuche auf dem Buckel wie sie. Mit Zombie und der Pornodarstellerin Mitsuyo begibt sich Kita in ein Onsen und plant mit den beiden seine nächsten Schritte. Was möchte er die letzten Tage seines Lebens noch erleben? Seine Ex-Freundin wiedersehen? Mit dem Starlet, das er anhimmelt, verkehren? Yashiro als Strippenzieher im Hintergrund macht einiges möglich – inklusive einer Erhöhung von Kitas knapper werdendem Budgets durch den Vorabverkauf von Kitas Organen. Doch Kita durchschaut sehr wohl, dass Yashiro ihn fernsteuert und ihm die Freiheit nimmt, seine letzten Tage nach freiem Gusto zu verleben. Zusammen mit dem Starlet verschwindet er; gemeinsam fingieren sie eine Entführung und werden so schnell zu Gejagten.

Auch wenn „Freiwillige Selbsthinrichtung“ kein purer Road-Trip ist, so trifft Kita doch „on the road“ allerhand Menschen, die ihre eigene Meinung und ihre eigenen Geschichten zum Thema Selbstmord haben. Da ist zum Beispiel Zombie, die mehr oder minder aufgrund von Nichtigkeiten Selbstmordversuche begeht und dabei Gott sei Dank immer wieder scheitert. Da ist das Starlet, das durch eine Marketing-Maschinerie gepresst wird, ihren Trost in der Bibel findet und daher Selbstmorde aus religiösen Gründen ablehnt. Da ist der Vater eines Chirurgen, der sich für einen langsamen Selbstmord entschieden hat, indem er sich zu Tode frisst. Da ist das alte Pärchen, das sein Haus verkauft hat, und ziellos durch Japan zieht, um den „Tod am Wegesrand“ zu finden. Masahiko Shimada schreibt in seinem Nachwort zu „Freiwillige Selbsthinrichtung“:

„Jugendlichen, die den Selbstmord mythifizieren […], wollte ich zeigen, Selbstmord ist nur lächerlich, also lasst es!“ (S. 242)

Und tatsächlich beschreibt der Autor Kitas Selbstmordgedanken und die Zeit bis zur Deadline als spaßiges, aber auch spannungsgeladenes Treiben. Doch er zeigt auch auf, dass der Selbstmord in erster Linie grausam, schmerzhaft und sinnlos ist. „Freiwillige Selbsthinrichtung“ wurde laut des Nachworts von Thomas Hackner durch die Erzählung „Leben zu verkaufen“ von Yukio Mishima, dem obersten literarischen Verklärer des Selbstmords, inspiriert. Jedoch verschreibt sich Masahiko Shimada einer Gegenposition zu Mishima.

Auch wenn Selbstmord das zentrale Thema von „Freiwillige Selbsthinrichtung“ ausmacht, streift Masahiko Shimada diverse andere gesellschaftliche Schieflagen: Junge Frauen machen ihren Körper zu Kapital, mit Organen wird Handel getrieben, senile Menschen werden sich selbst und ihrer eigenen Welt überlassen, Nicht-Essen oder Überfressen werden zum Ventil…

So schreibt Masahiko Shimada einen gesellschaftskritischen Roman, der an keiner Stelle langweilig oder dröge ist. Der Autor legt den Finger in so manche Wunde der postmodernen Gesellschaft – jedoch immer in ironischer, manchmal amüsanter Art und Weise. Wer hätte gedacht, dass ein Buch, das dem Selbstmord gewidmet ist, tatsächlich Spaß beim Lesen machen kann. Insofern hat Masahiko Shimada eine Punktlandung hingelegt und seinen eigenen Anspruch bezüglich der Entmystifizierung des Selbstmordkultes voll erfüllt: „Selbstmord ist lächerlich, also lasst es!“ (S. 242)

Bibliographische Angaben:
Shimada, Masahiko: „Freiwillige Selbsthinrichtung“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Hackner, Thomas), Abera, Hamburg 2014, ISBN 978-3-939876-15-1