Labels

Sonntag, 14. Juli 2013

„Die großen Tsunami der Sanriku-Küste“ von Akira Yoshimura, herausgegeben von Harald Meyer

Mit „Die großen Tsunami der Sanriku-Küste“ hat Harald Meyer einen Band herausgegeben, der über Akira Yoshimuras dokumentarische Literatur zu den Katastrophen an der Sanriku-Küste hinausgeht. Hier wird dem Literaten ein kleines Denkmal gesetzt: Persönlichen Begegnungen mit Akira Yoshimura und dessen Ehefrau Setsuko Tsumura werden illustriert, deren Verhältnis untereinander wird anhand von erstmals ins Deutsche übersetzen Texten porträtiert, Akira Yoshimuras Weg zum frei- und hauptberuflichen Autor wird dargestellt und die Entwicklungen nach 3/11 werden aufgezeigt. Kernstück ist aber natürlich die etwas eingekürzte Übersetzung von Akira Yoshimuras „Die großen Tsunami der Sanriku-Küste.

Der Autor begab sich seinerzeit auf Spuren- und Zeugensuche vor Ort, um die drei Tsunami 1896, 1933 und 1960, die die Sanriku-Küste heimsuchten, zu dokumentieren. Er berichtet von den gleichen Vorzeichen, die bei den ersten beiden Tsunami auftraten: Zunächst überdurchschnittlich erfolgreicher Fischfang, das Absinken des Wasserstands in Brunnen bei gleichzeitiger Trübung des Wassers, Irrlicht-artige Liftreflexe über dem Meer kurz vor dem Hereinbrechen des Tsunamis, der von dröhnenden Geräuschen begleitet wurde. Daneben stellt Akira Yoshimura die individuellen Schicksale der Menschen, die von den Katastrophen betroffen waren. Da wird eine badende Frau in ihrer Badewanne beim Zurückfluten des Tsunamis aufs Meer hinausgetragen; ein Säugling überlebt, weil ihn die sich auftürmenden Wassermassen in eine Baumkrone empor heben, wo er sich in den Ästen verfängt. Familien werden von einer Minute auf die nächste auseinandergerissen, teilweise komplett ausgelöscht; manche Dörfer sterben fast aus.

Im Unterschied zu den ersten beiden illustrierten Tsunami, denen jeweils Erdstöße vor Ort vorausgingen, resultierte der dritte Tsunami aus einem Beben in Chile. Mehr als 20 Stunden später schoben sich die Wassermassen auf die Sanriku-Küste. Eigentlich wäre dies genügend Zeit gewesen, um sich in Sicherheit zu bringen, doch die Behörden versäumten es, Alarm zu schlagen. Und auch der „Aberglaube“, ein Tsunami werde durch ein Erdbeben vor Ort angekündigt, verhinderte, dass sich die Menschen rechtzeitig in höher gelegene Gebiete retten konnten.

Fumihiko Takayama schreibt in seiner „Reportage vom Ort des Geschehens“, die ebenfalls im vorliegenden Band enthalten ist, sehr treffend,

„dass Aberglaube zu Lethargie führt.

Haben wir nicht in genau gleicher Weise an unsere Zivilisation, errichtet durch die Kraftentwicklung der Wissenschaften, geglaubt? Die Angst vor dem Atomunfall in Fukushima führt uns das vor Augen.“
(S. 213)

Die „Dialektik der Aufklärung“ zeigt sich hier anhand eines prekären Beispiels.

Neben bewegenden Kinderaufsätzen, die Schüler nach den Katastrophenerfahrungen verfasst haben, ist aber auch der Ausschnitt aus Setsuko Tsumuras autobiographischer Erzählung „Rote Pflaumenblüten“ über Akira Yoshimuras Tod herauszustellen. Damit bietet „Die großen Tsunami der Sanriku-Küste“ nicht nur Hintergrundinformationen zu den verheerenden Tsunamikatastrophen, sondern auch einen variantenreichen Einblick in das Leben und Wirken von Akira Yoshimura, der die Sanriku-Küste liebte und vor weiteren Desastern warnte. Nicht umsonst war das japanische Original nach 3/11 vergriffen und wurde in großer Auflage nachgedruckt. Setsuko Tsumura, die zwischenzeitlich verwitwete Ehefrau Akira Yoshimuras, spendete den Gewinn aus dem Verkauf der Verwaltung des Dorfes Tanohata, das vom Tsunami schwer getroffen und eine große Rolle in Akira Yoshimuras Schriftstellerkarriere eingenommen hatte.

Bibliographische Angaben:
Meyer, Harald (Hrsg.): „Die großen Tsunami der Sanriku-Küste“ (Übersetzung aus dem Japanischen: Meyer, Harald), Iudicium, München 2013, ISBN 978-3-86205-211-0

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen