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Sonntag, 23. Juni 2013

„Blick aus Mandelaugen“ von Hisako Matsubara

Einen „Blick aus Mandelaugen“ skizzierte Hisako Matsubara in ihrer Kolumne in der Zeit in den 70er Jahren. Versammelt sind einige davon im gleichnamigen Bändchen. Und obwohl seit den 70ern nun doch einiges an Zeit vergangen ist, ist der „Blick aus Mandelaugen“ sicherlich immer noch aktuell – Mentalitäten ändern sich noch nicht einmal nach Jahrzehnten.

„Blick aus Mandelaugen“ präsentiert in amüsiert-ironischem Ton japanische und deutsche/europäische Eigenheiten, zeigt aber auch die Diskriminierung auf, die Ausländer erfahren. Und natürlich karikiert sie den westlichen Superioritätsanspruch. Wer kann denn schon entscheiden, was „zivilisierter“ ist: das Essen mit Messer und Gabel oder das mit Stäbchen?

Darüber hinaus enthält „Blick aus Mandelaugen“ interessante Hintergrundinfos zur japanischen Gesellschaft. So zeigt Hisako Matsubara auf, dass das Leben in Japan größtenteils berührungslos abläuft. Zur Begrüßung verbeugt man sich und schüttelt sich nicht die Hände. Umarmungen sind sowieso nicht angebracht. Und selbst das Küssen ist eine westliche Erfindung.

Sie beleuchtet auch die Konflikt-vermeidende Kommunikation in Japan. Denn während wir Europäer Sachverhalte gerne offen ausdiskutieren, das Recht-haben-wollen gar als Sport betreiben, sind Japaner bemüht, versöhnlich zu bleiben, dem Kommunikationspartner ein gutes Gefühl zu geben. Was allerdings nicht aus Gründen der Höflichkeit und Bescheidenheit passiert. Ebensowenig bescheiden sind die verschleiernden Floskeln in der Kommunikation – man will nur nicht allzu offensichtlich prahlen.

Eine interessante These stellt Hisako Matsubara auf, wenn sie den starken Karrierewillen der Japaner mit Shinto in Bezug setzt. Denn die Diesseits-orientierte Religion besagt, dass man nach dem Tod nur in der Erinnerung der Lebenden weiterleben kann. Daher muss man eine prächtige Karriere hinlegen, um noch möglichst lange nach dem Ableben als ein Prachtbursche gelten zu können.

Besonders schön fand ich die Passagen, in denen Hisako Matsubara auf ihren Vater, den obersten Shinto-Priester von Kioto eingeht. So z.B. die Szene als der Vater auf die Nachricht, dass Hisako Matsubara zum Christentum konvertiert, milde meint, dass jeder seinen eigenen Weg finden müsse. Die Autorin zitiert ihren Vater mit einem schönen Gedicht zum Thema Religionsfreiheit, über das er sich mit Papst Johannes XXIII vor dem zweiten Vatikanischen Konzil unterhalten hat:

„viele wege führen zum gipfel
über alle breitet der mond sein licht
durch die zweige und über die felsenspitzen
sieht man von überall die gleichen gestirne“
(S. 185)

Nach alldem, was ich bisher in Hisako Matsubaras Büchern über den Guji gelesen habe, bin ich ein Fan des Herrn geworden. Falls sie jemals ihre Erinnerungen an den Vater in einem Buch versammeln sollte, bin ich auf jeden Fall einer der ersten Käufer.

Bibliographische Angaben:
Matsubara, Hisako: „Blick aus Mandelaugen“, Albrecht Knaus, Hamburg 1980, ISBN 3-8135-2146-X

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