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Freitag, 8. Februar 2013

„Tintenfisch auf Reisen“ von Yoko Tawada

„Fersenlos“ ist die Ich-Erzählerin, die in Bandwurmsätzen davon erzählt, wie sie in eine fremde Stadt in Deutschland kommt. Sie geht eine arrangierte Ehe ein – oder böse gesagt: Sie ist eine gekaufte Ehefrau. Ihren Ehemann bekommt sie jedoch nicht zu Gesicht: Er versteckt sich vor ihr, kocht ihr morgens jedoch den Frühstückstee und legt Geld für sie bereit.

Die einheimischen Kinder verlachen die Ich-Erzählerin: Hat sie keine Fersen? Der Arzt im Krankenhaus rät ihr zu einem Implantat. Doch sie lehnt ab und läuft lieber weiterhin ohne Fersen zur Schule, die ihr Allgemeinwissen über ihre neue Heimat beibringen soll. Ihrem Ehemann begegnet sie nur im Traum. Doch die Ich-Erzählerin möchte schließlich ein Treffen forcieren.

„Der Hundebräutigam“ ist die zweite Erzählung in Yoko Tawadas „Tintenfisch auf Reisen“: Mitsuko Kitamura führt eine private Nachhilfeschule in Tokio. Die Lehrerin ist mehr als unkonventionell: Sie schert sich nicht um das Geschwätz um ihre Person und erzählt ihren Schülern dubiose Geschichten. Unter anderem das Märchen vom Hundebräutigam – einem Hund, der einer Prinzessin den Allerwertesten sauber leckt und dafür ein Heiratsversprechen erhält. Kein Wunder, dass die Schüler Frau Kitamura als Kitanara, die Schmutzige, bezeichnen – bei der Fantasie… Als ein waschechter Hundebräutigam bei Mitsuko aufschlägt, ändert sich nicht nur ihr Alltag.

Auch Mayuko, die Protagonistin der dritten Erzählung „Der Faltenmann vom Sumida-Fluss“, lebt in Tokio. Sie hat ihren Job hingeschmissen und gerät auf einer Wanderung durch die Stadt in eine Gegend, in der junge Männer älteren Frauen zu Gefallen sind. Unversehens lernt Mayuko den jungen Umewaka kennen. Als sie mit ihm in ein Café geht, treffen sie auf den Faltenmann, der auf die beiden bedrohlich wirkt. Auch die Straßen von Tokio scheinen auf Mayuko wie Falten. Und Umewaka wiederum versucht Mayukos Falten wegzuküssen.

Alle drei Erzählungen von Yoko Tawada haben ihren eigenen Charme: „Fersenlos“ begleitet eine Fremde in der Fremde. „Der Hundebräutigam“ ist eine Geschichte, die mit dem Fantastischen spielt, während  „Der Faltenmann vom Sumida-Fluss“ richtiggehend verspult ist. Doch wie immer bei Yoko Tawada ist die Sprache schon Schatz genug. Mein Lieblingszitat aus „Tintenfisch auf Reisen“:

„Wenn man seine Wohnung verlässt und auf der Suche nach Waren von Laden zu Laden geht, verwandelt sich der Blick in das Maul eines Fisches, der sich an einem Angelhaken festgebissen hat.“ (S. 138)

Bibliographische Angaben:
Tawada, Yoko: „Tintenfisch auf Reisen“, Konkursbuch Verlag, Tübingen 1994, ISBN 3-88769-082-6

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