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Donnerstag, 28. Februar 2013

Tamiki Hara

Tamiki Hara
(Wikimedia Commons-Lizenz)
Tamiki Hara wurde 1905 in Hiroshima geboren. Als Mittelschüler interessierte er sich für russische Literatur und begann, Gedichte zu schreiben. Mit 27 Jahren schloss er sein Studium der Anglistik an der Keio-Universität ab. Er arbeitete im Anschluss als Englischlehrer und ab 1935 als professioneller Schriftsteller.

Er löste eine Frau aus dem Rotlichtmilieu von Yokohama aus, wurde jedoch von ihr betrogen. Ein Jahr nach einem fehlgeschlagenen Selbstmordversuch heiratete er Sadae, eine andere Frau, und ließ sich 1934 mit ihr in Chiba nieder. Sadae erkrankte 1939 an Tuberkulose und starb schließlich 1944. Daraufhin kehrte Tamiki Hara in seine Heimatstadt Hiroshima zurück und lebte bei der Familie seines älteren Bruders.

Tamiki Hara soll über seine Ehefrau gesagt haben, er würde ihren Tod nur um ein Jahr überleben, um wunderschöne, traurige Gedichte zu hinterlassen. Doch nach dem Atombombenabwurf über Hiroshima widmete er sich als Überlebender der Katastrophe der Atombombenliteratur.

Als im Zuge des Koreakriegs Truman mit einem erneuten Einsatz der Atombombe drohte, stürzte dies Tamiki Hara in tiefe Verzweiflung – er warf sich 1951 in Tokio vor einen Zug der Chuo-Linie.

Tamiki Hara wurde in Hiroshima ein Gedenkstein gesetzt, den ein Gedicht ziert, das der Autor einen Monat vor seinem Selbstmord verfasst hatte:

„Eingegraben in Stein aus ferner Zeit
ein Schatten auf dem Sand
einstürzend Himmel und Erde dazwischen
das Traumbild einer Blume“
(„Seit jenem Tag“, S. 121)

Interessante Links:

Ins Deutsche übersetzte Erzählungen und hier rezensiert:

Dienstag, 26. Februar 2013

„Tagebuch eines Sechzehnjährigen“ von Yasunari Kawabata

Yasunari Kawabatas „Tagebuch eines Sechzehnjärhigen“ enthält drei Erzählungen und zwei Kurzgeschichten („Die Geschichte mit dem Strohhut“ und „Vorwinter“). Den meisten Umfang nimmt nicht die Titel-gebende Erzählung „Tagebuch eines Sechzehnjährigen“ ein, sondern „Die Tänzerinnen“: Zwei Balletttänzerinnen, Mutter und Tochter, Namiko und Shinako stehen hier im Mittelpunkt. Namiko entstammt einer wohlhabenden Familie. Durch ihr Vermögen sichert sie den Lebensstandard, während ihr Ehemann Yagi durch seine Betätigung als Literaturwissenschaftler kaum Geld nach Hause bringt. Vielmehr gibt er mehr aus als nötig und behält sein Gehalt der Familie vor. Wie auch in anderen Familien der Nachkriegsjahre werden hier die althergebrachten Rollenverteilungen von Mann und Frau brüchig – der Mann ist nicht mehr Versorger der Familie. Auch in einem weiteren Punkt weicht Namiko langsam von der ihr zugedachten Rolle ab, als sie sich ihrer Jugendliebe nähert. Namiko beginnt ihr bisheriges Eheleben in Frage zu stellen:

„Sind Zurückhaltung, Scham, Folgsamkeit die Kennzeichen der Frau, die an die eisernen Traditionen dieses Landes angeschmiedet war?“ (S. 124)

Wird eine Frauengeneration reichen, die alten Rollenvorstellungen zu durchbrechen?

Ein bisschen gequält habe ich mich mit der Erzählung „Ihre zweite Ehe“. Unter anderem weil ich mit den Protagonisten so überhaupt nicht warm geworden bin und mir die Metaphern, Sinn- und Stimmungsbilder zu viel geworden sind. Auch in „Ihre zweite Ehe“ wird ein Frauenschicksal skizziert, indem der Ich-Erzäher seine Ehe beschreibt: Er hat mit 35 Jahren eine Frau geheiratet, die mit 28 Jahren bereits verwitwet und Mutter zweier Kinder war. Die Kinder hat die Ehefrau bei der Familie ihres verstorbenen ersten Mannes belassen – und gilt daher nicht mehr als legitime Mutter der beiden. Dennoch geht insbesondere die Tochter bald in dem Haushalt des Ich-Erzählers ein und aus. Doch insbesondere als sich die Tochter verheiraten möchte, tun sich einige Probleme auf.

Mit Kommentaren aus zwei späteren Lebensphasen präsentiert Yasunari Kawabata „Das Tagebuch eines Sechzehnjährigen“, der die letzten Tage vor dem Tod seines Großvaters dokumentiert. Der alte Herr bedarf Vollzeitpflege, die entweder der 16-jährige Schüler oder eine hilfsbereite Bauersfrau übernimmt. Für den Teenager ist der Pflegedienst zwar eine schwere Belastung, doch die Erlösung des Alten bedeutet für den Jungen auch den Verlust des letzen Verwandten.

Bibliographische Angaben:
Kawabata, Yasunari: „Tagebuch eins Sechzehnjährigen“, Rowohlt, Reinbek 1971, ISBN 3-499-11428-3

Sonntag, 24. Februar 2013

„Sterne der Hoffnung“ von Shunu Nakamura

Der Titel von Shunu Nakamuras „Sterne der Hoffnung“ rekurriert auf das Salve Regina; im japanischen Original „Nozomi no hoshi“ ein Teil der Übertragung des lateinischen marianischen Antiphons ins Japanische. Shunu Nakamura, der erst wenige Jahre vor der Veröffentlichung von „Sterne der Hoffnung“ getauft wurde, setzt sich in seinem Werk kritisch mit dem Christentum auseinander und führt in ein von Umbrüchen gekennzeichnetes Japan des ausgehenden 19. Jahrhunderts.

Kotaro Shido ist Student der Theologie und Ziehsohn des Missionars Masato Torikai. Dessen Tochter Chie ist Kotaro schon so gut wie als Ehefrau versprochen. Doch Kotaro quälen die Zweifel an der christlichen Lehre und er gesteht dem Pastor, dass sich sein Glaube nicht mit den Ansichten des Gottesmannes deckt. Als Konsequenz verweist Torikai seinen Ziehsohn des Hauses, die Heirat mit Chie kann sich Kotaro folglich ebenfalls abschminken.

Kotaro sucht Zuflucht in der „Elends-Studenten-Kompanie“. Hier haben sich bereits drei Studenten in einer Kommune häuslich eingerichtet. Tagsüber studieren sie, abends verdingen sie sich als gildelose Wagenzieher, um ihre Ausgaben bestreiten zu können. Doch der schwächliche Kotaro tut sich schwer mit dieser körperlichen Arbeit. Mehr noch: Er kommt mit dem ruchlosen Leben der Nachtschwärmer in Kontakt und kann dies nur schwer mit seinen Überzeugungen vereinen.

Doch auch Chie hat es zu Hause nicht einfach: Ihr Vater will sie zwingen, sich mit einem zum Christentum konvertierten Burakumin verheiraten – schließlich hat er diesem versprochen, dass es im Christentum keine Standesunterschiede gibt und der Burakumin unter den weiblichen Gemeindemitgliedern eine Ehegattin finden kann.

Jürgen Stalph beschreibt Shunu Nakamuras „Sterne der Hoffnung“ im Vorwort als eines von mehreren „lesenswerten Dokumenten des japanischen Großstadtlebens der Jahrhundertwende“ (S. 12). Und tatsächlich bietet „Sterne der Hoffnung“ ein urbanes Panoptikum an jobbenden, ärmlichen Studenten, die ihren Wortschatz mit englischen Begriffen anreichern, Burakumin, die ihrer Diskriminierung ein Ende setzen wollen, einer jungen Frau, die ihren Gefühlen folgt, statt sich dem Willen des Vaters zu unterwerfen - und damit Einblick in eine sich modernisierende Gesellschaft. Die Sterne der Hoffnung leuchten...

Bibliographische Angaben:
Nakamura, Shunu: „Sterne der Hoffnung“, Cass, Löhne 2003, ISBN 3-9809022-1-8

Samstag, 23. Februar 2013

Shunu Nakamura

Shunu Nakamura wurde 1877 als Kichizo Nakamura und Sohn eines Händlers geboren. Ende des 19. Jahrhunderts konvertierte er zum Christentum und ließ sich in Osaka taufen. 1899 nahm er in Tokio sein Studium der Anglistik und der Philosophie auf.

1901 debütierte er mit seinem ersten Roman „Feigen“, der wie seine weiteren Romane und Erzählungen den Glauben zum Thema hatte. „Feigen“ wurde mit dem Literaturpreis der Osaka Mainichi Shinbun ausgezeichnet.

Ein Jahr verbrachte Shunu Nakamura in Amerika. Daraufhin wandte er sich nicht nur vom Christentum ab, sondern legte auch das Pseudonym Shunu Nakamura ab und veröffentlichte unter dem Namen Kichizo Nakamura fortan Theaterstücke, 107 an der Zahl.

1941 starb der Autor.

Ins Deutsche übersetzte Novellen und hier rezensiert:

Montag, 18. Februar 2013

„Karpfentanz“ von Hisako Matsubara

Der Karpfen – ein Symbol für Zielstrebigkeit. Wenn es nach Ryos Mutter geht, dann soll der 26-Jährige ein richtig dicker Fisch im Bankenwesen werden. Dummerweise stagniert seine Karriere aber gerade. Als Absolvent einer Elite-Universität muss er sich im Außendienst hochbuckeln. Er soll Privatpersonen davon überzeugen, ihr Geld bei der Gowa-Bank anzulegen. Doch Ryo fehlt es an Selbstbewusstsein, Souveränität und Leutseligkeit, um sein hohes Soll zu erfüllen. Sein Kollege Kenzo hilft ihm gegen entsprechende Entlohnung oft genug aus der Patsche. Die Zielvorgaben der Gowa-Bank sind unerbittlich, werden immer höher angesetzt und treiben die Angestellten gar zum Selbstmordversuch.

Wäre es nach Ryos Vater gegangen, dem Guji, dem höchsten Shinto-Priester von Kioto, so hätte er Ryo von Kindheit an eine andere Erziehung angedeihen lassen, die seinem zurückhaltenden Charakter Rechnung getragen hätte. Doch Ryos ehrgeizige Mutter, die einer Samurai-Familie entstammt, wollte  Ryo partout zu einem Angehörigen der Elite trimmen: Elite-Kindergarten, Elite-Schule, Elite-Universität. Und Elite-Job?

Dummerweise scheint sich der junge Mann auch noch ernsthaft zu verlieben – ausgerechnet in die völlig unstandesgemäße Tochter eines Busfahrers. Erschwerend kommt hinzu, dass die Tochter Saya sich in Europa mit einem Gaijin, einem Nicht-Japaner, verheiratet hat. In der feinen Gesellschaft von Kioto ist das ein Skandal. Ryos Marktwert in der arrangierten Ehevermittlung sinkt daher auf einen sensationellen Tiefststand. Und dabei hatte Ryos Mutter doch so sehr auf eine Schwiegertochter aus gutem Hause gehofft, die Ryo zu guten Beziehungen verhelfen könnte.

Hisako Matsubara setzt ihre Familiengeschichte, die sie mit „Abendkranich“ begonnen hat, mit „Karpfentanz“ fort. Zwischenzeitlich sind 20 Jahre vergangen und Saya, der Protagonistin aus „Abendkranich“, ist ins Ausland gegangen. Im Zentrum von „Karpfentanz“ steht nun ihr Bruder Ryo. Hisako Matsubara hält mit ihrer Kritik an der japanischen Gesellschaft der 60er Jahre nicht zurück: Es gilt zwar als chic, einen Gaijin aus Europa oder den USA zu kennen – aber ehelichen soll man solch einen Barbaren bitte bloß nicht. Durch solch eine Untat gerät eine ganze Familie in Verruf. Die Angestellten der Banken werden völlig unter Druck gesetzt und regelrecht einer Gehirnwäsche unterzogen. Wer braucht denn Freizeit, wenn es darum geht, sich für den Arbeitgeber aufzureiben? Schließlich zählt in der japanischen Gesellschaft nur die Karriere. Und wer will schon als Versager gelten?

Zwar fehlt „Karpfentanz“ aufgrund der Thematik die Leichtigkeit von „Abendkranich“. Trotzdem hat die Lektüre Spaß gemacht – insbesondere da sie ein Wiedersehen mit dem großartigen Guji ermöglicht. Ein weiser Mann, der Sätze wie

„Wenn man der Natur zuviel Gewalt antut, führt es zu Verwerfungen der Seele.“ (S. 113)

von sich gibt – sich aber leider nicht gegen seine überambitionierte Frau durchsetzen kann. Er ahnt, dass Ryo unter den gegebenen Umständen sich bald zu etwas ganz Unglaublichem hinreißen lassen wird. Er wird Recht behalten…

Bibliographische Angaben:
Matsubara, Hisako: „Karpfentanz“, Albrecht Knaus, München 1994, ISBN 3-8135-6084-8

Sonntag, 17. Februar 2013

„Bis nächstes Jahr im Frühling“ von Hiromi Kawakami

Wer „Herr Nakano und die Frauen“ und „Der Himmel ist blau, die Erde ist weiß“ kennt, der weiß, dass Hiromi Kawakamis Werke mit minimaler Handlung auskommen. „Bis nächstes Jahr im Frühling“ schlägt da nicht aus der Reihe: Der Leser begleitet die 33-jährige Noyuri durch die Jahreszeiten. Im Winter fährt sie mit ihrem Onkel Makoto in ein Onsen. Dort spricht sie ihr Problem an: Durch einen anonymen Telefonanruf hat sie davon erfahren, dass ihr Ehemann Takuya eine außereheliche Affäre mit seiner Kollegin Satomi hat. Schlimmer noch – er scheint sich ernsthaft in die Dame verliebt zu haben, die so ganz anders ist als Noyuri. Doch weder Takuya noch Noyuri forcieren eine Aussprache. Für Noyuri steht zunächst nur fest, dass sie sich nicht von ihrem Mann trennen will, obwohl in der Ehe jegliche Leidenschaft bereits erloschen ist.

Zu Daikan, der Zeit der großen Kälte, freundet sie sich mit Eiji an, den sie in einem Buchhaltungskurs kennen gelernt hat. Als der Mitsommerwind weht, kommt unversehens eine ehemalige Kommilitonin Noyuris, Tomoko, auf sie zu – ob sie nicht gemeinsam nach Okinawa verreisen möchten. Im Juli, der auch Heumond genannt wird, plant sie, mit Takuya umzuziehen, der versetzt wird. Doch Takuya scheint es egal zu sein, ob Noyuri mit nach Himeji kommt oder in Tokio bleibt. Im Frühherbst erfährt Noyuri von einer zweiten Geliebten ihres Mannes und die Dinge kommen langsam etwas in die Gänge… „Bis nächstes Jahr im Frühling“ zieht sich also Noyuris Entscheidung, wie es mit ihrem Leben und ihrer Ehe weitergehen soll.

Wie auch bei den oben genannten Romanen von Hiromi Kawakami ist es immer wieder erstaunlich, dass insbesondere die Nebencharaktere einen viel stärkeren Eindruck hinterlassen als die Protagonistin. Bei „Herr Nakano und die Frauen“ ist dies vor allem der sprunghafte Herr Nakano, bei „Der Himmel ist blau, die Erde ist weiß“ der schrullige Sensei. Und bei „Bis nächstes Jahr im Frühling“ ist es der Onkel Makoto, dessen eigene Liebesaffäre auffliegt, als seiner Frau die extrem extravaganten Straußenlederschuhe, die ihm seine Geliebte geschenkt hat, in die Hände fallen. Und freilich auch die auffällige Tomoko, die gern etwas zu tief ins Glas schaut. Noyuri selbst bleibt etwas farblos. Sie ist eine Meisterin der Verdrängung und daher werden ihre Motive nicht transparent.

Trotzdem ist „Bis nächstes Jahr im Frühling“ ein schönes, wenn auch sehr gemächliches Leseerlebnis, auf das man sich einlassen muss.

Bibliographische Angaben:
Kawakami, Hiromi: „Bis nächstes Jahr im Frühling“, Hanser, München 2013, ISBN 978-3-446-24128-2

Samstag, 16. Februar 2013

„Der Tempelbrand“ von Yukio Mishima

Am 2. Juli 1950 steckte der Zen-Novize Yoken Hayashi den Goldenen Pavillon, den Kinaku-ji in Kioto, in Brand. Der Tempel brannte komplett nieder – und Yoken Hayashi wurde zu einer Gefängnisstrafe von sieben Jahren verurteilt. Da ihm Schizophrenie und Verfolgungswahn attestiert wurden, kam er bereits früher frei. Yukio Mishima, der den Brandstifter im Gefängnis besucht hatte, veröffentlichte 1956 den Roman „Der Tempelbrand“, der auf dem Ereignis beruht, jedoch weithin fiktiv ist. Im selben Jahr starb Yoken Hayashi an Tuberkulose.

In Yukio Mishimas „Der Tempelbrand“ nimmt der Novize Mizoguchi den Platz von Yoken Hayashi ein. Wie dieser leidet Mizoguchi seit jeher unter seinem Stottern; fühlt sich wie ein Ausgestoßener. Sein Vater, ein Liebhaber der Goldenen Halle und Zen-Priester, weckt auch in Mizoguchi die Begeisterung für die Ästhetik des Bauwerks. Als der Vater stirbt, nimmt der Prior des Tempels Mizoguchi als Novize auf. Mizoguchi erliegt einer Obsession für die Schönheit der Halle, während er sich in der Alltagswelt kaum zu behaupten weiß. Sein Mitnovize Tsurukawa scheint auf der hellen Seite des Lebens zu stehen, während Mizoguchi sich auf der dunklen Seite verortet.

Als Mizoguchi den klumpfüßigen Kashiwagi kennen lernt, eröffnen sich ihm neue Perspektiven, zu seiner selbst empfundenen Hässlichkeit zu stehen. Kashiwagi ist ein Teufel, dem es gerade aufgrund seiner Behinderung gelingt, Frauen zu verführen, auszunehmen und vor den Kopf zu stoßen.

Mizoguchi fasst schließlich einen Entschluss: Nur eine Tat kann die Welt verändern – die Goldene Halle muss brennen.

Mishimas „Der Tempelbrand“ ist vielschichtig. Es wird nicht nur aufgezeigt, wie ein Außenseiter, der auf die meisten Menschen völlig unauffällig wirkt, zum Brandstifter wird. Mizoguchi und Kashiwagi diskutieren anhand der buddhistischen Erzählung „Nansen tötet die Katze“ die Rolle der Schönheit, als auch von Tat versus Erkenntnis. Trotz aller Liebe zur Ästhetik geht es auch recht brutal zu in „Der Tempelbrand“: Der Ikebana-Fan Kashiwagi schlägt sein Verehrerin, nachdem er Blumen arrangiert hat. Mizoguchi tritt einer schwangeren Prostituierten auf Anweisung ihres US-amerikanischen Freundes vor der Goldenen Halle so lange in den Bauch, bis sie eine Fehlgeburt erleidet.

Der Erfolg von Mishimas „Der Tempelbrand“ in Japan beruht aber nebst des spektakulären, realen Tempelbrands auch auf seiner Kritik am gelebten Zen-Buddhismus: Der Prior hält seine Novizen kurz, die Einnahmen des Tempels verprasst er im Geisha-Viertel Gion.

Ein bisschen gestört hat mich jedoch die Übersetzung des Japanologen Walter Donat. So kommen Begrifflichkeiten und Redwendungen vor, die gestelzt oder falsch übersetzt wirken. „Dank diesem Jucken würde sie später das Recht erwerben, gegen mich zu zeugen.“ (S. 241) heißt es da beispielsweise. „Gegen mich auszusagen“ war wohl nicht hochgestochen genug – aber wäre „gegen mich Zeugnis abzulegen“ nicht die bessere Alternative gewesen? Aus dem Rotlichtviertel wird auf S. 250 ein „Fremdenviertel“ – wäre nicht „Freudenviertel“ der passendere Ausdruck gewesen? Auch Sätze mit einem „Je, …“ einzuleiten mutet seltsam an, wenn damit eher ein „Tja“ gemeint ist.

Bibliographische Angaben:
Mishima, Yukio: „Der Tempelbrand“, Goldmann, München 1988, ISBN 3-442-08933-6

Dienstag, 12. Februar 2013

„Der Stachel des Todes“ von Toshio Schimao

Wenn ich Toshio Shimaos Werk „Der Stachel des Todes“ kategorisieren sollte, dann würde ich es als Selbstzerfleischungsliteratur bezeichnen. Spaß macht die Lektüre definitiv nicht; umso weniger, da die Handlung sehr autobiographisch ist. Der Autor verhehlt auch nicht, dass es sich bei dem Ich-Erzähler um ihn selbst, um Toshio, handelt. Seine Ehefrau Miho ist die reale Miho, die Ehefrau des Autors.

Einzelne Erzählungen schildern die Szenen der Ehe. Die ersten handeln vom Leben des Ehepaars in der Psychiatrie. Miho hat sich einweisen lassen, Toshio begleitet sie, um sie zu pflegen. Die gemeinsamen Kinder sind in dieser Zeit bei Verwandten untergebracht. Miho tyrannisiert Toshio regelrecht. Sie ist sprunghaft, hat Anfälle, will aus der Anstalt fliehen, steht unter Medikamenten, will sich selbst verletzen. Doch es scheint, dass es Toshio in der Geschlossenen gar nicht so schlecht gefällt, ist sie doch eine Welt für sich.

Der Leser fragt sich, was die psychische Krankheit von Miho ausgelöst haben mag. Dies wird in der Rückschau beleuchtet: Jahrelang hat Miho es ertragen, demütige Hausfrau und Mutter zu sein, während sich Toshio die Nächte in Tokio um die Ohren geschlagen hat. Die Familie erachtet er wie ein unliebsames Anhängsel. Doch als Miho in Toshios Tagebuch Eintragungen über Toshios Geliebte entdeckt, wandelt sich ihr Charakter um 180 Grad. Aus der Duldsamen wird eine Sadistin: Immer wieder aufs Neue unterstellt sie Toshio einem intensiven Verhör, droht mit Selbstmord, wenn er nicht hundertprozentig ehrlich ist. Auch wenn sich Toshio den Anschein gibt, völlig „normal“ zu sein, fragt man sich als Leser, welcher der beiden Ehepartner gestörter ist. Denn auch Toshio gebärdet sich wie ein Irrer, versucht sich – halb im Scherz – das Leben zu nehmen, rammt seinen Kopf gegen Einrichtungsgegenstände. Umso schlimmer werden die Zustände, als Toshios Ex-Geliebte Kompensation verlangt…

„Der Stachel des Todes“ ist pure Selbstentblößung. Die Qual der Ehepartner macht auch die Lektüre quälend. Sicherlich haben die einzelnen Erzählungen ihre Qualität, doch irgendwie mag man den Protagonisten ständig zurufen „Jetzt trennt euch doch endlich und geht eurer Wege!“. Stattdessen geht der Terror immer weiter.

Bibliographische Angaben:
Shimao, Toshio: „Der Stachel des Todes“, Insel Verlag, Frankfurt am Main/Leipzig 1999, ISBN 978-3-458-16991-8

Montag, 11. Februar 2013

Toshio Shimao

1917 wurde Toshio Shimao als ältester Sohn eines Seidenhändlers in Yokohama geboren. Nachdem während des großen Kanto-Erdbebens sein Elternhaus zerstört wurde, ging die Familie nach Kobe. Dort begann Toshio Shimao als Gymnasiast zu schreiben. Zunächst studierte er Wirtschaftswissenschaften in Nagasaki, schrieb sich aber dann an der Universität von Kyushu für ostasiatische Geschichte ein. Sein literarischer Erstling erschien 1943 und enthielt Erzählungen und Gedichte.

Im Krieg war Toshio Shimao als Offizier einer Kamikaze-Truppe zugeteilt. Dank der Kapitulation 1945 kam er jedoch nicht mehr zum Einsatz. Durch seine Stationierung auf einer Insel lernte er seine spätere Ehefrau Miho kennen. Zuerst lebte das Ehefrau in Kobe, zog dann jedoch nach Tokio um.

Das literarische Werk von Toshio Shimao umfasst unter anderem Kriegsliteratur, so genannte Insel-Erzählungen über die Ryukyu-Inseln und Erzählungen, die die psychische Erkrankung seiner Ehefrau Miho behandeln. Nach ihrer Genesung begann auch Miho zu schreiben.

Toshio Shimao erhielt unter anderem den Tanizaki-, den Yomiuri-, den Kawabata- und den Noma-Literaturpreis.

1986 starb Toshio Shimao an einem Hirnschlag.

Interessante Links:

Ins Deutsche übersetzte Romane/Erzählungen und hier rezensiert:

Freitag, 8. Februar 2013

„Tintenfisch auf Reisen“ von Yoko Tawada

„Fersenlos“ ist die Ich-Erzählerin, die in Bandwurmsätzen davon erzählt, wie sie in eine fremde Stadt in Deutschland kommt. Sie geht eine arrangierte Ehe ein – oder böse gesagt: Sie ist eine gekaufte Ehefrau. Ihren Ehemann bekommt sie jedoch nicht zu Gesicht: Er versteckt sich vor ihr, kocht ihr morgens jedoch den Frühstückstee und legt Geld für sie bereit.

Die einheimischen Kinder verlachen die Ich-Erzählerin: Hat sie keine Fersen? Der Arzt im Krankenhaus rät ihr zu einem Implantat. Doch sie lehnt ab und läuft lieber weiterhin ohne Fersen zur Schule, die ihr Allgemeinwissen über ihre neue Heimat beibringen soll. Ihrem Ehemann begegnet sie nur im Traum. Doch die Ich-Erzählerin möchte schließlich ein Treffen forcieren.

„Der Hundebräutigam“ ist die zweite Erzählung in Yoko Tawadas „Tintenfisch auf Reisen“: Mitsuko Kitamura führt eine private Nachhilfeschule in Tokio. Die Lehrerin ist mehr als unkonventionell: Sie schert sich nicht um das Geschwätz um ihre Person und erzählt ihren Schülern dubiose Geschichten. Unter anderem das Märchen vom Hundebräutigam – einem Hund, der einer Prinzessin den Allerwertesten sauber leckt und dafür ein Heiratsversprechen erhält. Kein Wunder, dass die Schüler Frau Kitamura als Kitanara, die Schmutzige, bezeichnen – bei der Fantasie… Als ein waschechter Hundebräutigam bei Mitsuko aufschlägt, ändert sich nicht nur ihr Alltag.

Auch Mayuko, die Protagonistin der dritten Erzählung „Der Faltenmann vom Sumida-Fluss“, lebt in Tokio. Sie hat ihren Job hingeschmissen und gerät auf einer Wanderung durch die Stadt in eine Gegend, in der junge Männer älteren Frauen zu Gefallen sind. Unversehens lernt Mayuko den jungen Umewaka kennen. Als sie mit ihm in ein Café geht, treffen sie auf den Faltenmann, der auf die beiden bedrohlich wirkt. Auch die Straßen von Tokio scheinen auf Mayuko wie Falten. Und Umewaka wiederum versucht Mayukos Falten wegzuküssen.

Alle drei Erzählungen von Yoko Tawada haben ihren eigenen Charme: „Fersenlos“ begleitet eine Fremde in der Fremde. „Der Hundebräutigam“ ist eine Geschichte, die mit dem Fantastischen spielt, während  „Der Faltenmann vom Sumida-Fluss“ richtiggehend verspult ist. Doch wie immer bei Yoko Tawada ist die Sprache schon Schatz genug. Mein Lieblingszitat aus „Tintenfisch auf Reisen“:

„Wenn man seine Wohnung verlässt und auf der Suche nach Waren von Laden zu Laden geht, verwandelt sich der Blick in das Maul eines Fisches, der sich an einem Angelhaken festgebissen hat.“ (S. 138)

Bibliographische Angaben:
Tawada, Yoko: „Tintenfisch auf Reisen“, Konkursbuch Verlag, Tübingen 1994, ISBN 3-88769-082-6

Dienstag, 5. Februar 2013

„Mond auf dem Wasser“ herausgegeben von Marianne Bretschneider

„Mond auf dem Wasser“ versammelt 14 Erzählungen von bekannten und weniger bekannten japanischen Autoren. Für Junichiro Tanizaki-Fans hält der Band aus den 70er Jahren die erste Erzählung des Enfant Terribles bereit: „Das Opfer“ (auch bekannt als „Tätowierung“ oder verfilmt als „Irezumi – Spider Tattoo“) das ist nicht nur eines, sondern nur das erste. Der Tätowiermeister Seikichi ergötzt sich an den Schmerzen seiner Kunden. Doch ihn drängt es, eine bestimmte junge Frau ausfindig zu machen, der er ein wahres Meisterwerk tätowieren mag. Durch Zufall wird genau diese Frau, eine angehende Geisha, als Botin zu ihm geschickt. Er betäubt sie und tätowiert ihr eine Spinne auf den Rücken – ein Symbol für ihre Fähigkeit, Männer einzufangen und ausbluten zu lassen. Das erste Opfer findet die Schönheit im Tätowiermeister.

Shotaro Yasuokas Protagonist in „Die Glasschuhe“ verbringt einen ungewöhnlichen Sommer: Nachts arbeitet er als Wachdienst in einem Waffengeschäft, tagsüber verbringt er seine Zeit bei Etsuko, die das Haus eines Amerikaners hütet. Die Stimmung zwischen den beiden ist losgelöst, etwas verrückt und sicherlich naiv – doch die Sommerferien des Amerikaners neigen sich zu Ende und damit die unschuldige Zeit des Paares.

Seiichi Funabashis „Die Distelwolke“ ist mehr als tragisch: Der Witwer Ichimatsu verliebt sich in eine weitläufige Verwandte seiner verstorbenen Ehefrau. Das junge Mädchen Chika hat sich jedoch bereits mit einem Soldaten verlobt, der in den Pazifikkrieg zieht. Auch sie fühlt sich zu dem Witwer hingezogen, obwohl die Familie von Ichimatsu eine Beziehung der beiden verurteilt. Doch Ichimatsu ist mehr als vorbildlich: Obwohl sich mehrere Möglichkeiten bieten, rührt er Chika nicht an. Er will warten, ob Chikas Verlobter lebend aus dem Krieg zurückkehrt und dann Chika vor eine Entscheidung stellen. Doch leider kommt schließlich alles anders.

Kyoshi Takehama erzählt in „Ikaruga-monogatari“ von Omichi, die sich unglücklich in einen Mönch verliebt.

Ryunosuke Akutagawas Erzählung „Kesa und Morito“ handelt von einem Verbrechen, das in zwei Selbstgesprächen geführt wird. Morito ist ein alter Verehrer von Kesa. Doch sie hat einen anderen geheiratet und hat ihre Schönheit über die Jahre eingebüßt. Morito vergeht sich bei einem Wiedersehen an Kesa, will sie sogar dazu überreden, gemeinsam Kesas Ehemann umzubringen. Doch Kesa hat andere Pläne.

Shusei Tokuda zeichnet mit „Der Orden“ das Bild einer unglücklichen Ehe. Kanoko geht erst eine Ehe ein, als sie vom Berufsleben enttäuscht wurde. Doch auch ihr Ehemann ist eine Enttäuschung: Er kann nicht mit Geld umgehen, macht Spielschulden, schert sich kaum um seine Ehefrau und ist obendrein noch unfruchtbar. Mehrfach versucht Kanoko sich von ihm zu lösen, doch scheitert sie jedes Mal erneut.

Kafu Nagais Erzählung „Geliebtes Gesicht“ spielt – wo auch sonst – in den Freuden- und Vergnügungsvierteln Tokios. Zwei Taxi-Chauffeure verbringen die Nacht vor den Toren Yoshiwaras. Toyo beginnt in einer rührseligen Stimmung seinem Kollegen Tame von seiner verstorbenen Ehefrau und deren Ebenbild, einer Tänzerin aus Asakusa, zu erzählen.

Auch Fumiko Hayashis „Tokio“ ist eine tragische Liebesgeschichte: Ryo verkauft im ausgebombten Tokio der Nachkriegsjahre Tee. Die verheiratete Frau wartet auf die Rückkehr ihres Ehemanns, der in Sibirien in Kriegsgefangenschaft ist. Doch während ihrer Verkaufstour von Baracke zu Baracke lernt sie Tsuruishi kennen und lieben. Leider ist den beiden kein Happy End vergönnt.

Mit „Mond auf dem Wasser“ lässt Yasunari Kawabata Kyoko an ihren verstorbenen Ehemann denken. Von seiner Krankheit schwer geschwächt, war dem Mann Kyokos Handspiegel ein Fenster zur Welt. Doch auch seinen eigenen Verfall konnte er damit beobachten.

„Im Wiederaufbau“ befindet sich ein Hotel, in dem sich Ogai Moris Protagonist Watanabe mit einer Europäerin trifft, mit der er einst intim war. Die Sängerin tourt mit ihrem Pianisten Kosinski durch die Welt und vielleicht auch durch die Betten. Ob der Wiederaufbau der Beziehung der Europäerin mit Watanabe gelingen wird?

Shimei Futabateis Ich-Erzähler wird sich während seines Studiums des eigenen „Mittelmaß“ bewusst. Er quartiert sich bei entfernten Verwandten ein, die ihn primär als Diener behandeln. Er schluckt die Demütigung herunter, hat er sich doch in die Tochter des Hauses Yukie verliebt.

Masuji Ibuses Protagonisten wird der „Besuch einer Frau“ angekündigt – sehr zum Missfallen seiner frischgebackenen Ehefrau. Denn es handelt sich bei der Frau um Aiko, die vor Jahren den Heiratsantrag des Ich-Erzählers abgelehnt hatte.

„Eine Glocke aus Fukagawa“ klingelt in Matsutaro Kawaguchis Erzählung, wenn der Ich-Erzähler seine Nächte mit der Witwe O-ito verbringt. Der Protagonist hat sich über dem Sushi-Lokal von O-ito eingemietet, um Literatur zu schaffen und ein bedeutender Autor zu werden. Um nicht von seiner brotlosen Kunst abhängig zu sein, trägt er sich mit dem Gedanken, O-ito zu ehelichen. Doch als der Ich-Erzähler die ersten Früchte seines literarischen Engagements erntet, entschließt sich O-ito anders.

In „Manazuru“ von Naoya Shiga macht ein Junge seine erste Erfahrung mit dem Gefühl der Liebe und geht einen ersten Schritt Richtung Erwachsenwerden.

Zwar sollen die Erzählungen in „Mond auf dem Wasser“ „Moderne japanische Liebesgeschichten“ sein, doch trifft dies nicht unbedingt auf alle der versammelten Werke zu. So sind die Protagonisten in Ryunosuke Akutagawas „Kesa und Morito“ eher von Abscheu getrieben; Junichiro Tanizaki spielt in seiner ersten Erzählung bereits mit den sadomasochistischen Fantasien, die sich auch durch sein späteres Werk ziehen.

Bibliographische Angaben:
Bretschneider, Marianne (Hrsg.): „Mond auf dem Wasser“, Volk & Welt, Berlin 1978

Montag, 4. Februar 2013

Shusei Tokuda

Shusei Tokuda
Der Autor Shusei Tokuda wurde 1871 in Kanazawa in der Präfektur Ishikawa geboren und entstammte einer Adelsfamilie. Seine naturalistischen Werke behandelten meist gefühlsbetonte Frauenschicksale. Mit dem Niedergang des Naturalismus wendete sich Shusei Tokuda der Ich-Erzählung zu. Viele seiner Werke wurden verfilmt.

1943 starb der Autor.

Shusei Tokuda wurde 1947 ein Gedenkstein am Eingang einer Aussichtsplattform auf dem Berg Utatsu gewidmet. Die Inschrift, ein Zitat des Autors, lautet:

„Wenn man drei Tage zubringt, ohne ein Buch zu lesen, kann das Gesicht dreckig werden...“

Interessante Links:

Ins Deutsche übersetzte Erzählungen und hier rezensiert:

Sonntag, 3. Februar 2013

„Das rote Kostüm“ von Tetsuo Miura

Wenn man sich das Buchcover von Testuo Miuras „Das rote Kostüm“ so anschaut, kommt es einem auf den ersten Blick recht unschuldig, irgendwie süß vor. Doch auf den zweiten Blick erkennt man, dass dem keinesfalls so ist. Das Schicksal von Ryosakus Schwester Hide wird hier schon vorweg genommen.

Ryosaku ist dem Landleben entflohen und macht in der Stadt Nahori eine Lehre als Schiffszimmermann. Ohne mit einem Besuch seiner Schwester zu rechnen, macht er ihr brieflich den Vorschlag, ihn besuchen zu kommen. Obwohl Hide mit der Pflege der kranken Mutter betraut ist, macht sich die 18-Jährige frei und fährt ärmlich bekleidet mit dem Zug nach Nahori. Nachdem sie zum ersten Mal Makrelenhecht in einem Restaurant mit Ryosaku isst, möchte er ihr einen Wunsch erfüllen und gibt ihr das Geld, sich westliche Kleidung – einen roten Minirock – kaufen zu können. Doch statt mit jugendlicher Euphorie in die Heimat zurückzukehren, macht Hide eine ganz andere Erfahrung.

Dank des Nachworts von Hanae Komachi erfährt der Leser, dass „Das rote Kostüm“ der Serie „Mitternachtszirkus“ entstammt, die Tetsuo Miura in der Zeitschrift Shosetsu Shincho veröffentlichte. Alle Erzählungen der Serie spielen in der fiktiven Stadt Nahori und beleuchten die Schicksale von „kleinen Leuten“. Die Titel der einzelnen Erzählungen machen Lust auf mehr: „Klage der Zirkusmusik“, „Kunststück eines Zwergs“ oder „Durch den Flammenring“. Bleibt zu hoffen, dass sich ein Verlag erbarmt und alle Geschichten ins Deutsche übersetzt.

Bibliographische Angaben:
Tetsuo Miura: „Das rote Kostüm“, Wehrhahn Verlag, Hannover 2011, ISBN 978-3-86525-180-0

Samstag, 2. Februar 2013

Tetsuo Miura

Tetsuo Miuras Familiengeschichte liest sich wie ein tragisches Drama – die Selbstmordrate ist enorm. Tetsuo Miura war das sechste Kind seiner Eltern und wurde 1931 in Hachinohe, in der Präfektur Aomori als Nachzügler geboren. Zwei seiner Schwestern waren Albinos. An seinem sechsten Geburtstag beging seine zweite Schwester Selbstmord, indem sie sich von einer Fähre in die Tsugaru-Meerenge warf, nachdem sie bei einer Aufnahmeprüfung durchgefallen war. Im selben Jahr verschwand einer seiner Brüder spurlos. Im Jahr darauf starb eine seiner Albino-Schwestern an einer Überdosis Schlaftabletten.

1949 ging Tetsuo Miura zum Studium der Wirtschaftswissenschaften an die Waseda-Universität nach Tokio. Als bald darauf auch der zweite Bruder spurlos verschwand, der Tetsuo Miuras Studium finanzierte, musste er von der Universität abgehen und sich als Hilfslehrer durchschlagen. Von den sechs Geschwistern begingen also vier Selbstmord; nur Tetsuo Miura und einer seiner Albino-Schwestern sollte es vergönnt sein, alt zu werden.

Während seiner Lehrertätigkeit begann Tetsuo Miura zu schreiben. 1953 konnte er sein Studium fortsetzen, jedoch schrieb er sich nun für Romanistik ein. Zusammen mit Kommilitonen gab er eine Literaturzeitschrift heraus; bald wurde Masuji Ibuse auf ihn aufmerksam. 1960 begann er, in einer PR-Agentur zu arbeiten. 1961 erhielt er den Akutagawa-Preis für eine Liebesgeschichte, die später verfilmt wurde. Daraufhin veröffentlichte er zahlreiche Werke, die auf seinen persönlichen Erfahrungen oder historischen Geschehnissen basierten.

2010 starb Tetsuo Miura.

Ins Deutsche übersetzte Erzählungen und hier rezensiert:

Freitag, 1. Februar 2013

„Meine Mutter“ von Yasushi Inoue

In drei Erzählungen porträtiert Yasushi Inoue die letzten Lebensjahre seiner Mutter, ihren physischen Verfall, ihre Altersdemenz und schließlich ihren Tod.

In „Unter den Blüten“ ist seine Mutter 80 Jahre und bereits dement. Außenstehenden mag dies nicht auffallen; doch die Familienmitglieder, die viel Zeit mit ihr verbringen, hören sich dieselben Geschichten immer wieder an, als wäre der Gesprächsstoff der Mutter eine hängen gebliebene Schallplatte. Darüber hinaus erinnert sie sich gern an Geschehnisse aus ihrer Kindheit, insbesondere an ihren Schwarm Shumma. Ihren verstorbenen Ehemann erwähnt sie dagegen so gut wie nie. Selbst einen Grabbesuch an seinem Todestag verweigert sie. Das Notizbuch, in das sie die Kondolenzgeschenke anlässlich seines Todes notiert hatte, studiert sie jedoch mit einer Obsession bei jedem neuerlichen Todesfall, als wolle sie niemandem etwas schuldig bleiben und erst von der Welt abtreten, wenn sie das letzte Geschenk zurückerstattet hat.

Fünf Jahre später, im Jahr 1969, schreibt Yasushi Inoue mit „Der Glanz des Mondes“ eine weitere Erzählung über seine Mutter, die inzwischen 85 Jahre alt ist. Die Mutter lebt zunächst bei ihrer allein stehenden Tochter Kuwako in Tokio und raubt ihr mit den immerwährenden Wiederholungen ihrer Erzählungen den letzten Nerv. Schließlich nimmt sich die ältere Tochter Shigako ihrer Mutter an. So lebt die Mutter wieder im Haus ihrer eigenen Kindheit und löscht die Jahre in ihrem Gedächtnis, in denen sie die 40er überschritten hat. Es hat den Anschein, dass sie sich ihrer Kindheit auch emotional nähert. Ihren eigenen Bruder, der aus dem Ausland zurückgekehrt ist, erkennt sie nicht mehr, sondern nennt ihn nur den „Herrn Amerikaner“. Auch ihre anderen Verwandten behandelt sie mehr und mehr wie Fremde.

89-jährig stirbt die Mutter schließlich. In „Die Schneedecke“ lässt Yasushi Inoue ihre letzten Jahre Revue passieren. Sie wird immer verwirrter, geistert nachts mit einer Taschenlampe durchs Haus und erschreckt die Familienmitglieder, wenn sie ihnen ins Gesicht leuchtet, dass sie aus dem Schlaf aufschrecken. Den Verwandten bleiben bloß Vermutungen über die Gründe ihres Verhaltens. Doch schließlich stirbt sie von einem Tag auf den anderen.

„Meine Mutter“ ist eher nüchtern und dokumentarisch verfasst. Da der Autor die Pflege primär seinen Schwestern und kurzzeitig seiner Tochter überlässt, schimmern die zerrissenen Gefühle der Damen nur flüchtig durch: Einerseits lieben sie die (Groß-)Mutter, andererseits werden sie wieder und wieder von ihr verletzt, wenn sie sie in ihrer Verwirrtheit beispielsweise als Dienstmädchen betrachtet. Und auch die Scham der Mutter, wenn sie hin und wieder ihre eigene Unzulänglichkeit bemerkt, wird nur gestreift. Ein bisschen schade, denn gerade diese psychologischen Beobachtungen hätten die Erzählungen sicherlich bereichert.

Bibliographische Angaben:
Inoue, Yasushi: „Meine Mutter“, Suhrkamp, Frankfurt am Main 1990, ISBN 978-3-518-38275-2