Labels

Montag, 30. Januar 2012

„Schweigen“ von Shusaku Endo

Schweigen breitet sich über das Japan des 17. Jahrhunderts – das Schweigen Gottes zum Märtyrertum der zum katholischen Glauben übergetretenen Japaner, die im Meer gekreuzigt werden; die kopfüber mit offenen Wunden hinter der Ohren in Gruben gehängt werden, um dort elendig zu verbluten; die mit kochendem Wasser gefoltert werden; die bewegungsunfähig im Meer versenkt werden. Doch auch die japanischen Christen schweigen – aus Angst vor Verfolgung.

Shusaku Endo erzählt die Geschichte zweier europäischer Priester in Japan nach, die im 17. Jahrhundert tatsächlich zur Mission nach Japan gingen: Pater Ferreira und Pater Chiara, der bei Shusaku Endo dem Leser jedoch als Pater Rodriguez begegnet. Nachdem Rodriguez im europäischen Heimatland davon erfahren hat, dass Pater Ferreira unter japanischer Folter vom Glauben abgefallen sei, begibt er sich mit zwei gleich gesinnten Priestern auf den Weg nach Japan. Die Strapazen auf See sind groß, doch schließlich treffen sie mehr oder weniger wohlbehalten in Macao ein. Da der Dritte im Bunde schwer an Malaria erkrankt ist, können sich nur Pater Rodriguez und Pater Garpe auf die letzte Etappe machen. Da die Einreise nach Japan für katholische Priester verboten ist, finanzieren sie eine illegale Überfahrt und nehmen dabei einen Japaner mit an Bord, der vor Ort als Verbindungsmann dienen soll.

Die Priester werden von den katholischen Bauern in Japan freudig empfangen. Doch Gefahr ist jederzeit in Verzug: Japanische Beamte kontrollieren permanent die Bevölkerung, ob Katholiken im Geheimen den verbotenen Glauben praktizieren. Darüber hinaus befindet sich ein Judas unter den Bekannten der Priester – der Verrat ist vorprogrammiert.

Shusaku Endo zeichnet nicht nur die Geschichte der Christenverfolgung in Japan nach. Er sinniert in „Schweigen“ auch über den Erfolg von katholischer Missionstätigkeit: War Japan nicht ohnehin ein Sumpf für den Katholizismus – die Wurzeln trafen auf keinen fruchtbaren Boden, sondern waren dazu verdammt, zu verfaulen? Und verehrten die konvertierten Japaner nicht ohnehin einen Gott, der nicht dem der katholischen Kirche entsprach, sondern der kulturell bedingt modifiziert wurde? Aufgrund dieser umstrittenen Thesen provozierte Shusaku Endos Roman „Schweigen“ Teile der japanischen Christen und sorgte für erhebliche Entrüstung.

Sonntag, 29. Januar 2012

„Der Hai von Shinjuku – Sodom und Gomorrha“ von Arimasa Osawa

„Der Hai von Shinjuku“, das ist Oberkommissar Samejima, der im härtesten Stadtviertel Tokios bei den Yakuza berühmt berüchtigt ist. Denn Samejima gilt wie der Hai als Einzelgänger und schlägt – im wörtlichen und im übertragenen Sinne – knallhart zu. Nachdem er zwischen politische Fronten geraten war, wurde der einstige Karrierepolizist Samejima nach Shinjuku abgeschoben, wo er sich im Eingreiftrupp mit Yakuzas, Drogendealern und Waffenhändler herumschlagen muss.

Als es ein Serienmörder auf Polizisten abgesehen hat, beginnt Samejima verstärkt nach dem homosexuellen Waffenbauer Kizu zu suchen, da bei den Morden eine ganz spezielle Waffe benutzt wurde, die nur aus Kizus Werkstatt stammen kann. Samejima begibt sich ins Tokioter Schwulenmilieu und legt seine Fallen aus, um Kizu aufzuspüren und den brutalen Serienmörder zu stoppen.

Die offizielle Sonderkommission gerät währenddessen mit den Ermittlungen ins Stocken – und Samejima macht sich mit seinen investigativen Erfolgen wieder einmal interne Feinde.

Arimasa Osawa schreibt mit „Der Hai von Shinjuku – Sodom und Gomorrha“ nicht nur einen spannenden, rasanten Krimi, sondern übt auch Kritik am Polizeiapparat: Die Polizisten und Yakuza verfolgen die Strategie leben-und-leben-lassen und bilden somit einen Klüngel, der ernsthafte Polizeiarbeit verhindert. Samejima, ein Mann, der sich allein der Gerechtigkeit verschrieben hat, befindet sich also sowohl im Kampf mit den internen Feinden bei der Polizei als auch den externen Feinden der Yakuza.

Der Autor Arimasa Osawa hat sich für seine Figur des Samejima von Raymond Chandlers Philip Marlowe inspirieren lassen. Anfangs, muss ich zugeben, kam mir der knallharte Cop Samejima recht pseudo-cool daher. Doch je weiter sich die Geschichte spinnt, desto menschlicher erscheint auch der Protagonist, der nicht nur um sein eigenes Leben bangen muss.

Mittwoch, 25. Januar 2012

Arimasa Osawa

Der Krimiautor Arimasa Osawa, der 1956 in Nagoya geboren wurde, wollte ursprünglich Dichter werden. Auf der Mittelschule begann er, sich mehr für Krimis zu interessieren und veröffentlichte in einer Schülerzeitung seinen ersten Roman. Als er 1979 einen Preis für Nachwuchsautoren gewann, schmiss er die Uni, um sich ganz der Schriftstellerei zu widmen. Die Romane, die er anschließend verfasste, waren nur mäßig erfolgreich. Der Durchbruch gelang ihm erst 1990 mit dem Roman „Der Hai von Shinjuku“, den Arimasa Osawa zur Serie ausbaute, die inzwischen neun Folgen umfasst. 1991 gewann Arimasa Osawa den Eiji Yoshikawa-Preis und den Preis des Verbands der japanischen Kriminalschriftsteller. 1993 folgte der Naoki-Preis.

Arimasa Osawa gilt als einer der führenden Krimiautoren Japans, der von amerikanischen Schriftstellern wie Elmore Leonard, Raymond Chandler und Dashiell Hammett beeinflusst wurde. Seine Kriminalromane haben einen sozialkritischen Anspruch. 

Interessante Links:

Ins Deutsche übersetzte Romane und hier rezensiert: 

Montag, 23. Januar 2012

„Feuerwagen“ von Miyuki Miyabe

Knapp 400 Seiten umfasst „Feuerwagen“ von Miyuki Miyabe. Die sind auch nötig, bis Homma, ein wegen Krankheit beurlaubter Inspektor, dem Verschwinden der Verlobten eines Verwandten auf die Spur kommt. Shoko Sekine ist der Name der Vermissten, die über Nacht wie vom Erdboden verschwunden ist, kurz nachdem ihr Verlobter ihre geheim gehaltene Privatinsolvenz aufgedeckt hatte. Doch was als Suche nach Shoko beginnt, entwickelt sich plötzlich in eine ganz unvermutete Richtung: Denn Shokos Anwalt erkennt auf dem Foto der Verlobten nicht seine Klientin wieder. Doch wer ist dann die Verlobte von Hommas Verwandtem? Hat diese sich eine fremde Identität zu Eigen gemacht? So hat Homma plötzlich die Suche nach gleich zwei vermissten Personen auf dem Hals: Die nach der echten Shoko und die nach der falschen. Schritt für Schritt öffnet Homma die Türen, die ihn zur Lösung des Rätsels um die Identitäten und Vergangenheiten der beiden Frauen führen.

Doch Homma ist bei seiner Suche nicht auf sich allein gestellt. Sein Kollege Ikari, sein Haushälter Isaka und dessen Frau Hisae, ein Schulfreund der echten Shoko und nicht zu vergessen Hommas 10-jähriger Sohn Satoru stehen ihm mit Rat und Tat zur Seite. Typisch für Miyuki Miyabe ist dabei die ausführliche Charakterisierung der Akteure inklusive Illustrierung des jeweiligen bisherigen Lebenslaufs. So wächst dem Leser das kleine, provisorische Ermittlerteam regelrecht ans Herz.

„Feuerwagen“ ist ein fesselnder Krimi mit überraschenden Wendungen, der aber auch gesellschaftliche Probleme anspricht und ausführlich thematisiert: Wie kommt es, dass so viele Menschen in die Schuldenfalle tappen und sich durch den Druck der Geldeintreiber sogar genötigt sehen, Selbstmord zu begehen oder bei Nacht und Nebel zu fliehen? Und wie hängt damit der unzureichende Datenschutz der Behörden zusammen? Wieso sind die Menschen denn überhaupt so süchtig nach Konsum? Und da wir alle dem Konsum nicht auskommen: Darf man sich dann überhaupt ein Urteil über Menschen erlauben, die sich verschuldet haben?

Miyuki Miyabes erster ins Deutsche übersetzte Roman ist damit ein Page-Turner ganz besonderer Art: Spannend bis zur allerletzten Seite und doch mit sozialkritischem Anspruch. Der Erfolg gibt der Autorin Recht – „Feuerwagen“ liegt in Japan bei einer Auflage von zwei Millionen verkauften Exemplaren.

Sonntag, 22. Januar 2012

Miyuki Miyabe

Miyuki Miyabe (geboren 1960, in Fukagawa/Tokio) besuchte die Sumidagawa-Oberschule. Statt zu studieren absolvierte sie eine Fachschule für Stenographie. Mit 23 Jahren begann sie zu schreiben. Während sie in einer Anwaltskanzlei arbeitete, besuchte sie einen zweijährigen Abendkurs für kreatives Schreiben, der vom Kodansha-Verlag angeboten wurde. 1987 debütierte sie mit ihrer ersten Kurzgeschichte. Seit ihrem 29. Lebensjahr ist Miyuki Miyabe Vollzeit-Autorin. Zwischenzeitlich hat sie einige Dutzend Romane veröffentlicht, die unter anderem mit dem Yamamoto Shugoro-Literaturpreis  (für „Feuerwagen“) und dem Naoki-Preis ausgezeichnet wurden. Sie schreibt Krimis, Thriller, Fantasy-Geschichten und Science Fiction. Insbesondere in die Krimis, die in der Gegenwart spielen, flicht sie gerne gesellschaftliche Probleme ein.

Interessante Links:

Ins Deutsche übersetzte Romane und hier rezensiert:

Freitag, 20. Januar 2012

„Spiegelhölle“ von Edogawa Rampo

Der Band „Spiegelhölle“ von Edogawa Rampo enthält insgesamt acht Erzählungen des japanischen Krimiautors – teilweise Kriminalgeschichten, aber auch recht bizarre Erzählungen.

„Zwei Versehrte“ treffen sich in einem Kurort und erzählen sich ihre Lebens- und Leidensgeschichte. Saito ist vom Krieg entstellt und berichtet von seinen Erlebnissen an der Front. Iharas Geschichte ist die eines Mordes. Doch wird Iharas Deutung der Geschehnisse durch Saito in Frage gestellt.

Die „Zwillinge“ könnten nicht unterschiedlicher sein: Ein ernsthafter Erstgeborener (wenn auch nur um wenige Sekunden) und ein verschwenderischer Zweitgeborener. Als der Jüngere sein Erbe verprasst hat, schmiedet er einen teuflischen Plan, um den Platz seines Bruders einzunehmen.

In „Der psychologische Test“ hat Kogoro Akechi, Japans Sherlock Holmes, einen Auftritt. Ihm obliegt die Deutung eines Tests, der einen von zwei Studenten des Mordes überführen soll.

„Das rote Zimmer“ ist ein Ort, an dem sich gelangweilte Männer treffen und sich gegenseitig mit obskuren Geschichten unterhalten. Ein Neuzugang in der illustren Runde schockiert die Herren: Er habe schon fast hundert Menschen getötet ohne nur ein einziges Mal des Mordes bezichtigt zu werden. Seine Methoden sind raffiniert…

Bizarr ist die Geschichte „Der Sesselmann“. Ein Sesselmacher gibt sich einer ganz besonderen Obsession hin: Er fertigt einen Sessel, in dessen Inneres er hineinkriechen kann und so – nur getrennt durch die Lederbespannung – auf Tuchfühlung mit den Personen geht, die auf dem Sessel Platz nehmen.

Auch der tragische Held der „Spiegelhölle“ hängt einer Besessenheit nach: Er ist fasziniert von Spiegeleffekten und Linsen. Was zunächst als harmlose Spielerei in Form von Zaubertricks beginnt, endet im Wahn.

„Die Raupe“ ist eine Erzählung, die Gänsehaut und Beklemmungen verursacht: Tokiko pflegt seit drei Jahren ihren Ehemann, der im Krieg mehrfache Verletzungen erlitten hat. Arme und Beine mussten amputiert werden. Von den Gliedmaßen sind nur noch kleine Stummel vorhanden. Zudem ist er taub und kann sich nicht mehr artikulieren. Während Tokiko nach außen hin wie die aufopferungsvolle Ehefrau wirkt, hegt sie ihrem Mann gegenüber mehr und mehr sadistische Gefühle und liebt es, ihn zu quälen. Neben der geradezu entsetzlichen Situation des verkrüppelten Soldaten wird in „Die Raupe“ zudem geschildert, wie wenig der „Soldatenruhm“ von Bestand ist. Aufgrund dieser kritischen Handlung war „Die Raupe“ während des zweiten Weltkriegs in Japan verboten.

„Auf der Klippe“ sitzt ein Ehepaar und spricht sich aus: Die Ehefrau erzählt von dem niederträchtigen Spiel ihres Ex-Ehemannes, der versucht hatte, durch Mord an ihr Vermögen zu kommen. Doch wie verhält es sich in dieser Intrige mit der Rolle ihres neuen Partners?

Während Edogawa Rampos Kriminalgesichten in „Spiegelhölle“ alle um anscheinend perfekte Morde kreisen und harmlose Unterhaltung sind, fesseln die bizarren Erzählungen „Spiegelhölle“, „Der Sesselmann“ und insbesondere „Die Raupe“ viel mehr. Letztere hallt geradezu nach und verursacht selbst nach der Lektüre noch beklemmende Gänsehaut.

Montag, 16. Januar 2012

Edogawa Rampo

Edogawa Rampo (manchmal auch: Ranpo), der eigentlich Taro Hirai hieß, benannte sich in Anlehnung an den von ihm verehrten Edgar Allan Poe mit diesem Pseudonym. 1894 als Sohn einer wohlhabenden Familie in Nabari geboren, studierte er Wirtschaftswissenschaften an der Waseda Universität. Nach seinem Abschluss ging er den unterschiedlichsten Arbeitstätigkeiten nach, z.B. Soba-Verkäufer, Cartoon-Zeichner etc.

1923 debütierte Edogawa Rampo mit seiner ersten Kriminalgeschichte in einer Literaturzeitschrift. Damit gilt er als erster Kriminalautor Japans, auch wenn andere japanische Autoren vor ihm bereits Elemente des Krimis verwendet hatten. Viele weitere Geschichten folgten, unter anderem mit dem Protagonisten Kogoro Akechi, der als japanische Variante von Sherlock Holmes bekannt ist.

Nach dem zweiten Weltkrieg, den Edogawa Rampo unterernährt überlebte, widmete er sich der Förderung von Kriminalgeschichten: Er gründete die Zeitschrift Hoseki, die sich mit Krimis befasste, und einen Club für Krimiautoren. Viele von Edogawa Rampos Werken wurden nun verfilmt.

1965 starb Edogawa Rampo an einer Gehirnblutung.

Seit 1955 wird mit dem Edogawa Rampo-Preis jährlich ein japanischer Krimi-Schriftsteller ausgezeichnet. Unter den Preisträgern befinden sich Autoren wie Masako Togawa, Keigo Higashino und Natsuo Kirino.

Interessante Links:

Ins Deutsche übersetzte Erzählungen und hier rezensiert:

Sonntag, 15. Januar 2012

„Naomi oder eine unersättliche Liebe“ von Junichiro Tanizaki

Joji, ein Mann Ende 20, lebt und arbeitet in Tokio. Da er vom Land stammt, hat er Minderwertigkeitsgefühle, was seine Umgangsformen auf dem gesellschaftlichen Parkett betrifft. Daher meidet er es, mit Gleichaltrigen durch die Kneipen zu ziehen und sucht stattdessen öfters das Café Diamond auf. Dort trifft er auf die 14-jährige Serviererin Naomi, die ihn mit ihrem melancholischen, eurasischen Aussehen in den Bann zieht.

Joji beschließt, aus Naomi eine Frau zu machen, die seinem westlich-orientierten Ideal entspricht und sie schließlich zu heiraten. Doch Joji zieht sich mit Naomi nicht die beste aller Ehefrauen heran, sondern eine Femme Fatale, der er nicht gewachsen ist. Naomi wickelt Joji um den kleinen Finger, wenn es darum geht, dass sie Geld für Kleider, Accessoires und edles Essen aus dem Restaurant benötigt. Er lässt sich vor ihren jüngeren männlichen Freunden vorführen und kann sich trotz aller Demütigungen nicht aus Naomis Fängen befreien.

Selbst als Joji treffend feststellen muss, dass Naomi die „geborene Hure“ ist, ist seine verhängnisvolle Liebe zu ihr sehr viel stärker als sein Stolz und sein Gefühl für Ehre und Anstand.

Neben dem typischen und hier vorherrschenden Junichiro Tanizaki-Motiv der Femme Fatale zeigt „Naomi oder eine unersättliche Liebe“ auch eine Phase in der japanischen Geschichte auf, die von der Begeisterung und der Nachahmung von westlichen Lebensstilen und Umgangsformen geprägt war: Gesellschaftstanz, Modern Girls, englische Konversation, westliche Kleidung und amerikanische Filme begeistern die Protagonisten.

Samstag, 14. Januar 2012

„Wenn der Morgen kommt, werde ich traurig“ von Shungiku Uchida

Shizukos Leben wird zur Hölle auf Erden, als ihre Mutter mit Shizuko und Shizukos jüngerer Schwester Chie mit einem neuen Partner zusammenzieht, den die Mädchen Vater nennen sollen. Dieser Vater, der unter den eigenen Minderwertigkeitskomplexen leidet, hat ein Faible für einen Ratgeber, der die spartanische Erziehung anpreist. Insbesondere Shizuko ist den Schikanen des Stiefvaters ausgesetzt. Jeder Widerspruch wird drakonisch bestraft; wenn sie nicht die Beste ihres Schuljahrgangs ist, kann sie sich zu Hause auf ein Donnerwetter gefasst machen. Lob dagegen gibt es nie. Psychische und physische Grausamkeiten schaukeln sich auf  und schließlich tut der Stiefvater Shizuko auch noch sexuelle Gewalt an.

Shizuko findet noch nicht einmal Hilfe bei ihrer Mutter – sogar im Gegenteil: Die Mutter ist dem Stiefvater absolut hörig und drängt Shizuko dazu, die monatliche Vergewaltigung über sich ergehen zu lassen. Dies alles geschehe doch nur zu Shizukos Bestem. Der Verrat der eigenen Mutter wiegt fast noch schwerer, als die Gewalt des Stiefvaters.

„Wenn der Morgen kommt, werde ich traurig“ ist die entsetzliche Biographie der Autorin Shungiku Uchida. Der Titel der englischen Übersetzung „Father Fucker“ ist um einiges reißerischer, doch wird er dem Thema eher gerecht:

„Ich hatte völlig vergessen, dass ich einmal eine Hure war. Bis gestern. Die Bordellmutter hat mich bis zu meinem sechzehnten Lebensjahr erzogen, sie war auch meine wirkliche Mutter, und mein Freier war ihr Liebhaber, mein Stiefvater.“ (S. 8)

Nur gute 150 Seiten umfasst der dünne Roman von Shungiku Uchida und doch ist er so voller Schmerz, Angst und Verzweiflung, dass man den Buchdeckel nur fassungslos schließen kann. Ein wahrlich mutiges Buch, das nicht nur die japanische Gesellschaft aufrüttelte.

Freitag, 13. Januar 2012

Shungiku Uchida

Shungiku Uchida (manchmal auch „Shungicu“ geschrieben) wurde 1958 in Nagasaki geboren. Ihr Vater verließ die kleine Familie, die neben Shungiku Uchida aus ihrer Mutter und ihrer jüngeren Schwester bestand, als Shungiku Uchida im Grundschulalter war. Der neue Partner ihrer Mutter missbrauchte sie mit Billigung der Mutter mehrfach. Diese Erfahrung verarbeitete Shungiku Uchida später mit dem autobiographischen Roman „Wenn der Morgen kommt, werde ich traurig“, der sehr viel Aufmerksamkeit erregte und zum Bestseller wurde.

In der Oberstufe ging Shungiku Uchida von der Schule ab und schlug sich mit diversen Jobs in Nagasaki durch. Schließlich ging sie nach Tokio. 1984 veröffentlichte sie erfolgreich ihre ersten Mangas. In den folgenden zehn Jahren erschienen mehr als 60 Bücher von Shungiku Uchida, unter anderem auch drei Essaysammlungen.

Zudem verdingt sich Shungiku Uchida als Sängerin und Schauspielerin.

Interessante Links:

Ins Deutsche übersetzte Romane/Erzählungen und hier rezensiert:

Montag, 9. Januar 2012

„Mord am Fujiyama“ von Shizuko Natsuki

Über die Neujahrsfeiertage wird die US-Amerikanerin Jane Prescott in die Villa des Pharma-Millionärs Yohei Wada eingeladen. Sie soll die Diplomarbeit seiner Großnichte Chiyo, mit der sich Jane während des Studiums angefreundet hat, Korrektur lesen. Jane ist neben Wadas Leibarzt die einzige Person, die nicht zu den Verwandten der Wadas zählt. Zu neunt sollen die nächsten Tage in der Villa am Fujiyama verbracht werden. Doch noch am Tag von Janes Ankunft geschieht das Unglück: Chiyo soll ihren Großonkel Yohei in Notwehr erstochen haben, der sie vergewaltigen wollte. Um den Ruf der Familie zu schützen und aus Sympathie zu der beliebten, zerbrechlichen Chiyo beschließen die Gäste, die Polizei auf eine falsche Fährte zu locken. Es soll so aussehen, als ob ein Einbrecher Yohei erstochen hat.

Zunächst scheint der Plan der Familie aufzugehen. Doch kleine Indizien locken die Ermittler auf Chiyos Fährte. Doch je mehr Details die Polizei in Erfahrung bringt und je mehr auch Jane die Geschehnisse aus einem anderen Blickwinkel sieht, desto größer wird das Komplott, das sich in der Villa von Yohei Wada ereignet hat.

Shizuko Natsuki, die als japanische Agatha Christie gilt, präsentiert mit „Mord am Fujiyama“ einen spannenden Kriminalroman, der den Leser bis zum Schluss zittern lässt: Zunächst, dass die zarte Chiyo doch ohne Strafe davonkommen möge. Schließlich, dass die ganze Verschwörung aufgedeckt werden kann.

Sonntag, 8. Januar 2012

„Die Berg-Azaleen auf dem Hira-Gipfel“ von Yasushi Inoue

Eine Abbildung der Berg-Azaleen auf dem Hira-Gipfel hatte in dem damals 24-jährigen Shuntaro den Wunsch geweckt, genau den abfotografierten Teil des Berges zu besuchen. Nun sitzt er mit knapp 80 Jahren in dem Gasthof Reihokan am Fuße des Hiras und hadert mit seinem Schicksal: Für seine Familie gilt der alte Mann nur noch als Last, er fühlt mangelnden Respekt für das Alter und ihm läuft die Zeit weg, sein wissenschaftliches Lebenswerk „Arteriensystem des Japaners“ zu vollenden. Um seiner Familie einen gehörigen Schrecken einzujagen, ist er ohne jemandem Bescheid zu geben in den Gasthof eingekehrt und sinniert unter anderem über seine vorhergehenden Besuche dort: Als er 25 Jahre alt war, wollte er sich im See am Hira-Gipfel ertränken – jedoch ließen seine inneren Dämonen doch noch von ihm ab.

Als sein verstoßener Sohn mit der schwangeren Freundin in den Liebesselbstmord ging, erfuhr Shuntaro im Reihokan von dem tragischen Vorfall. Mit dem halsstarrigen Shuntaro ging dessen Ehefrau ins Gericht: Das einzige, was ihn seit jeher interessiere, sei seine medizinische Forschung.

Ein weiterer Besuch mit der Schwester seiner Schwiegertochter zum Rudern auf dem See während der Kriegszeit verlief idyllisch. Doch Shuntaro muss auch an den Tod seiner damaligen Begleiterin denken, der nur wenige Zeit nach dem gemeinsamen Ausflug eintrat.

Shuntaro erinnert sich an den Wunsch im Alter von 24 Jahren: Er hätte doch so gern einmal den Hira-Gipfel bestiegen. Doch nun ist er zu alt dafür. Seine einzige Aufgabe, die er nun noch bewältigen kann, ist die Vollendung seiner wissenschaftlichen Abhandlung.

Der Autor Yasushi Inoue zeichnet in „Die Berg-Azaleen auf dem Hira-Gipfel“ das Bild eines Mannes, der mit traditionellen japanischen Werten aufgewachsen ist und sich als Vater und Großvater mit veränderten Wertvorstellungen konfrontiert sieht. Daher kann er sich nur an seine Wissenschaft und seinen Status als Gelehrter klammern.

Und hier noch ein Tipp für Buchkäufer: Während „Die Berg-Azaleen auf dem Hira-Gipfel“, die im Insel-Verlag erschienen sind, nur die gleichnamige Erzählung enthält, finden sich in der Ausgabe aus dem Suhrkamp-Verlag drei weitere Erzählungen.

Samstag, 7. Januar 2012

„Feuer im Grasland“ von Shohei Ooka

„Mit diesen sechs Kartoffeln erschöpfte sich die Fürsorge meines Vaterlands für mich, der ich bereit war, mein Leben für eben dieses Vaterland zu opfern.“ (S. 9)
Der tuberkulosekranke Schütze Tamura und Ich-Erzähler bekommt diese sechs Kartoffeln und den Rat, sich notfalls mit seiner Handgranate in die Luft zu sprengen, falls er nicht wieder im Lazarett aufgenommen wird. Zur kämpfenden Truppe soll er jedenfalls bloß nicht zurückkehren, sondern sich ab sofort auf der philippinischen Insel Leyte gegen Ende des Pazifikkriegs allein durchschlagen.

Weil ihm ohnehin nichts anderes einfällt, begibt sich Tamura zum Lazarett und wird wie erwartet nicht aufgenommen, da ihm die Nahrungsmittelvorräte zur Bestechung der Ärzte fehlen. Vor dem Lazarett kampieren bereits Soldaten, denen es genauso erging. Als das Lazarett bombardiert wird, fliehen die Soldaten in alle Richtungen.

Ab sofort ist Tamura auf sich allein gestellt. Das Glück ist ihm hold und er findet einen Acker, auf dem noch Süßkartoffeln wachsen. Für einige Tage ist Tamura bestens versorg, auch wenn er die Kartoffeln roh verspeisen muss. Denn ein Feuer könnte die Aufmerksamkeit der amerikanischen Soldaten oder der philippinischen Guerilleros auf ihn lenken. Der Glanz eines Kreuzes auf einem Kirchendach und ein Traum lassen ihn seinen Unterschlupf verlassen. Dies ist der Auftakt für Tamuras Irrweg über die Insel Leyte, der ihn verwesende Leichen passieren und auf Kannibalen treffen lässt. Halb verhungernd und ohne Hoffnung auf eine gesunde Heimkehr nach Japan, versucht er mehr schlecht als recht von Tag zu Tag zu überleben und verfällt mehr und mehr dem Wahnsinn. Von einem Mann, der sein Leben nach Notwendigkeiten richtete, wird ein Mann, der nur noch an den Zufall glauben kann.

Mit „Feuer im Grasland“ verarbeitete der Autor Shohei Ooka die eigenen Erfahrungen im Pazifikkrieg. Trotz der brutalen Kriegshandlungen wendet der Ich-Erzähler immer wieder seinen Blick auf die wunderschöne Landschaft der Pazifikinsel und insbesondere auf die Feuer, die ihren senkrechten Rauch über das Grasland in den Himmel schicken.

Freitag, 6. Januar 2012

Shohei Ooka

Shohei Ooka (geboren 1909 in Tokio) machte sich schon als Kind mit Literatur vertraut. Seine Eltern stellten ihm gar einen Literaturkritiker als Tutor zur Seite. Auf der Schule lernte er französisch und studierte schließlich Literatur an der Kyoto Universität. Nach seinem Abschluss arbeitete er zunächst als Journalist für die Zeitung Kokumin Shimbun. Um sich mehr der Übersetzung europäischer Literatur (insbesondere Stendhal) ins Japanische widmen zu können, kündigte er bei der Zeitung und nahm, um sich ein Zubrot zu verdienen, 1938 eine Stelle als Übersetzer in Kobe an.

1944 wurde Shohei Ooka ins Militär eingezogen. Nach nur drei Monaten Grundausbildung wurde er an die Front auf die philippinische Insel Mindoro geschickt. Anfang des Jahres 1945 wurde er vom amerikanischen Militär gefangen genommen. Ende des Jahres wurde er nach Japan zurückgeschickt.

Auf Anraten seines Tutors begann Shohei Ooka, seine Kriegserfahrungen literarisch zu verarbeiten. Sein erstes Werk „Furyoki“ über die Kriegsgefangenschaft erhielt den Yokomitsu Riichi Literaturpreis. „Feuer im Grasland“ erhielt 1951 Yomiuri Preis. 1959 wurde der Roman von Kon Ichikawa verfilmt. Neben Romanen und Übersetzungen schrieb Shohei Ooka auch Biographien.

Zwischen 1953 und 1954 weilte er zu Forschungszwecken an der Universität Yale, später hielt er zeitweilig Vorlesungen für französische Literatur an der Meiji Universität in Tokio.

1971 sollte Shohei Ooka an der japanischen Akademie für Künste aufgenommen werden, was neben der Ehre auch mit einer lebenslangen Rente verbunden gewesen wäre. Shohei Ooka lehnte dies jedoch ab:

„Ich war früher Kriegsgefangener, deswegen verspüre ich keinerlei Neigung, eine nationale Ehrung entgegenzunehmen. Ich war in Gefangenschaft. Das ist ein Schandfleck auf meinem Lebenslauf, denn damals hieß es ja staatlicherseits: Kämpft! Lasst Euch unter keinen Umständen gefangen nehmen! Wie peinlich wäre es da, wenn ich nun Akademiemitglied würde, Geld vom Staat erhielte und vor den Kaiser treten müsste!“
(Nachwort von Irmela Hijiya-Kirschnereit in „Feuer im Grasland, S. 188)

1988 starb Shohei Ooka im Alter von 79 Jahren.

Interessante Links:

Ins Deutsche übersetzte Romane/Essays und hier rezensiert:

Sonntag, 1. Januar 2012

„Das nackte Auge“ von Yoko Tawada

Die jugendliche Vietnamesin und Ich-Erzählerin wird als vietnamesische Abordnung zu einem Kongress in die DDR geschickt. In Ost-Berlin trifft sie auf den aus Bochum stammenden Jörg, der ihr penetrant von der westlichen Freiheit erzählt und sie schließlich nach West-Deutschland entführt. Den unfreiwilligen Westaufenthalt will sie beenden und die Bahn nach Moskau nehmen, um von dort aus nach Vietnam zurück zu kehren. Doch der Zug führt in die entgegengesetzte Richtung und die Protagonistin findet sich in Paris wieder. Ohne Geld und ohne Visum schlägt sie sich durch: Sie lebt bei der Prostituierten Marie, findet Unterschlupf bei einer Landsfrau, anschließend bei einem Landsmann, um schließlich doch wieder bei Marie im Keller zu leben.

„Das nackte Auge“ von Yoko Tawada behandelt das Thema des Fremd-Seins: Ohne einen sprachlichen Zugang zu ihrer Umwelt, kann sich die Protagonistin nur auf ihr Auge verlassen. Deswegen sucht sie im Kino ihre Geborgenheit. Insbesondere die Filme einer gewissen französischen Schauspielerin haben es ihr angetan. So vermischen sich die Erlebnisebenen: Traum, Wirklichkeit und Film ergeben ein psychedelisches, literarisches Potpourri, das fernab einer dramatischen Schilderung des Lebens als Illegale angesiedelt ist.

Die 13 Kapitel von "Das nackte Auge" tragen als Überschriften die Titel der Filme der französischen Schauspielerin und führen so unter anderem nach Indochina, in die Prostitution, in die Vampirwelt und in die UdSSR. Die Protagonistin unterhält sich in einem inneren Monolog mit der Schauspielerin, ohne (zunächst) auf Antwort hoffen zu können