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Donnerstag, 27. Dezember 2012

„Wanderjahre“ von Koreya Senda

1975 veröffentlichte Koreya Senda in Japan seine „Geschichte des Shingeki – ganz anders betrachtet“. Kapitel 6 und 7 wurden ins Deutsche übersetzt und als „Wanderjahre“ publiziert. „Wanderjahre“ umfasst primär die Jahre 1927 bis 1932 und damit Koreya Sendas Zeit in Berlin, wo er sich mit linkem, proletarischem Theater befasste. Während in Japan die proletarische Bewegung bereits starker Überwachung ausgesetzt war, findet Koreya Senda in Deutschland noch günstigere Bedingungen für die politische Bewegung wieder. Doch zunächst findet die Frohnatur Senda in Berlin Gefallen an anderen Aktivitäten: Im Café Victoria, wo sich die den japanischen Gästen zugetanen Berliner Fräuleins aufhalten, wird so manche Reichsmark vertrunken – und Koreya Senda zieht sich gleich noch eine Geschlechtskrankheit zu, deren Heilung sein durch den Alkoholkonsum ohnehin strapaziertes Budget noch weiter belastet. Gut, dass ihm ein Statistenjob beim Film angetragen wird. In dem Streifen „Natur und Liebe“ soll er sich zuerst nur im Lendenschurz bekleidet zeigen – und schließlich verlangt der Regisseur gar, dass seine letzte Hülle zu fallen hat.

Doch schließlich wendet sich Koreya Senda doch dem Studium des Theaters zu, weswegen er nach Deutschland gekommen war. Mit den Aufführungen der Piscator-Bühne kann er sich weniger anfreunden. Koreya Senda macht unter anderem die Bekanntschaft von Lu Märten, Gustav von Wangenheim, Arthur Pieck und Maxim Vallentin und verschreibt sich daraufhin Agitproptruppen, tritt in die deutsche KP ein. Zudem engagiert sich der umtriebige Japaner für diverse internationale Theaterverbandsarbeit.

In Berlin lernt Koreya Senda auch seine erste Ehefrau Irmgard Kliem kennen, die ihn bei seiner Rückkehr nach Japan über Moskau im Jahr 1931 begleitet. Wie auch in den Erinnerungen der gemeinsamen Tochter Momoko Nakagawa, die sie in „Der japanische Vater“ niederschrieb, hinterlässt Irma auch in „Wanderjahre“ einen besonders starken Eindruck. Unverblümt, liebenswert und unbekümmert schreitet die politisch engagierte Frau auch in Japan zur Tat. Sie möbelt die heruntergekommene Bleibe auf, kümmert sich aufopfernd um den zeitweilig inhaftierten Koreya Senda und ist durch ihr offenes Wesen gleich allseits beliebt.

In Japan wird das Klima für politisches Theater immer schlechter: Schauspieler werden gar direkt von der Bühne wegverhaftet. Berufsschauspieler haben kein Auskommen mehr und müssen sogar soweit gehen und sich prostituieren, um Geld zum Überleben zu beschaffen. Interne Streitigkeiten tun ein Übriges, um die Situation noch weiter zu Erschweren.

Sicherlich ist „Wanderjahre“ primär für Leser interessant, die ein Faible für linkes Theater und die proletarische Bewegung haben. Insbesondere, wer sich für proletarische Literatur begeistert, trifft in „Wanderjahre“ auf alte Bekannte: In Moskau begegnet Koreya Senda der Schriftstellerin Yuriko Miyamoto, die dort heimlich die Bekanntschaft von KP-Politikern macht und sich schließlich der proletarischen Bewegung zuwendet. Einen Umzug kann sich Koreya Senda nur leisten, nachdem ihm ein Verlag für die Übersetzung von Sunao Tokunagas „Straße ohne Sonne“ einen Vorschuss gegeben hatte. Zusammen mit Trude Eschenbach übersetzt er wenig später Takiji Kobayashis „Der 15. März 1928“.

Doch Koreya Sendas Erzählstil macht einfach auch Spaß; die Frohnatur kam während des Klassenkampfes sichtlich auch auf seine Kosten. Sicherlich mag dies durch den zeitlichen Abstand von mehr als 40 Jahren von Niederschrift zu den Geschehnissen resultieren und für etwas Verklärung sorgen  – ein Aufenthalt im japanischen Gefängnis war bestimmt kein Zuckerschlecken.

Bibliographische Angaben:
Senda, Koreya: „Wanderjahre“, Henschelverlag, Berlin 1985

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