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Dienstag, 30. Oktober 2012

„Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede“ von Haruki Murakami

Auch dem Buchrücken von Haruki Murakamis „Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede“ steht bereits so treffend „Für Leser und Läufer: Murakamis persönlichstes Buch“. Das sollte man eher als Vorwarnung als als Beschreibung verstehen: Wer sich nicht für die Sportphilosophie eines Marathonläufers interessiert oder als Murakami-Fan nicht mehr über den Autor erfahren will, für den wird das Buch eventuell enttäuschend ausfallen. In „Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede“ gibt es keinen spannenden Plot oder überraschende Wendungen, sondern primär Reflektionen des Autors über sich, seine Eigenschaften und warum ihm Sportarten, die seine Zähigkeit herausfordern, besonders liegen. Und weil Haruki Murakami gerne seine Grenzen auslotet, ist er wohl auch der Schriftsteller, der er ist:

„Sich selbst bis an seine persönlichen Grenzen verausgaben ist die Essenz des Laufens und eine Metapher für das Leben überhaupt (und für mich auch für das Schreiben).“ (S. 76)

Ich gebe zu, dass ich als Sportniete mit den Beschreibungen der sportlichen Aktivitäten (vom Marathon nach Marathon, Ultramarathon und Triathlon) nicht besonders viel anfangen konnte. Die Analogie des Sports zum Schreiben fand ich umso interessanter. In „Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede“ wird insbesondere geschildert, wie aus dem Barbesitzer Murakami der Autor (und Sportler) Murakami wurde. Dass er ein passionierter Schallplattensammler ist und gerne schwimmt – genauso wie viele seiner männlichen Protagonisten.

Insofern sei „Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede“ wirklich nur Haruki Murakami-Liebhabern ans Herz gelegt. Der als eher scheu bekannte Autor gibt hier Einblick in seinen (sportlichen) Alltag und seine Lebensphilosophie, was sicherlich nicht für jeden spannend ist. Zwar werden immer wieder nette Anekdoten eingestreut, doch seitenweise berichtet der Autor nur von seinen Trainingsfortschritten und Marathonläufen.

Bibliographische Angaben:
Murakami, Haruki: „Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede“, btb, München 2010, ISBN 978-3-442-73945-5

Sonntag, 28. Oktober 2012

„Die drei Metamorphosen der Tsuruko“ herausgegeben von Stephan Köhn

„Die drei Metamorphosen der Tsuruko“ enthält 15 Erzählungen unterschiedlichster Autoren, deren Werke bisher (fast) nicht ins Deutsche übersetzt wurden. Das Spektrum reicht von Science-Fiction über Kriminalgeschichten, Familienporträts bis hin zu einfach schrägen Erzählungen. Letzteres gilt für mein persönliches Highlight dieses Bandes: „Kullerauges Rachefeldzug – gnadenlos und unerbittlich“ von Kenji Otsuki ist die herrlich komisch erzählte Geschichte um ein gehänseltes Mädchen namens Michiko aka Kullerauge. Ihre Mutter hat Selbstmord begangen, ihr Vater ist über das Drama ausgetickt und glaubt an eine Weltverschwörung von bizarrem Ausmaß:

„Das waren die Regierung und das konspirative Pack, das hinter deren Rücken ihr Unwesen treibt! Juden, Freemason, der CIA, der Rockefeller-Konzern, dazu noch die Klingonen und zu guter Letzt… Michael Jackson.“ (S. 177)

Dummerweise wird der Vater, als er im Wahn mit einer Lanze herumfuchtelt, von der Polizei erschossen. Michiko wird zum Opfer der übelsten Hänseleien – doch sie schwört Rache in einer besonders heimtückischen Form…

Auch in Yoko Yamaguchis „Kirschblüten-Tintenfisch“ geht es etwas abstrus zu. Da kommt der Ehemann ins Zimmer der Ehefrau und findet einen Studenten in deren Bett – offensichtlich der Liebhaber seiner Frau. Der Student zeigt ihm ganz neue Charakterzüge der Ehefrau auf.

„Die Wachsleiche“ von Masaki Yamada reiht sich direkt ins Abstrusitäten-Kabinett ein: Step-by-step verschwinden alle Verwandten aus dem Leben des Ich-Erzählers. Sie verpuffen regelrecht. Als er in die Wohnung, in der er aufgewachsen ist, zurückkehrt, findet er ein Heimatgefühl an einem recht absonderlichen Ort – und in absonderlicher Begleitung.

Die Protagonistin in Shungiku Uchidas „Schritte in der Nacht“ wird von seltsamen Träumen gequält: Einmal verspürt sie unglaubliche Lust, ihren eigenen Fuß abzutrennen und zu verspeisen. Ein anderes Mal wird ihr zum Snack das Bein eines Fremden gereicht, das ihr besser als Hühnchen schmeckt. Ob dies mit Veränderungen ihres eigenen Körpers zu tun hat?

Gespenstisch geht es in Senji Kurois „Eine Tür im Haus“ zu. In einem Haus, das nur mit Schiebetüren versehen ist, erklingt öfters das Geräusch eines europäischen Türscharniers. Wird mit der Tür etwas ein- oder ausgesperrt?

Einen Blick hinter eine familiäre Tragödie gewährt Ryuichiro Utsumis „Rückkehr in die Heimat“. Jahrzehntelang ist der Familienvater nicht an seinen Geburtsort zurückgekehrt. Weder seine Ehefrau noch seine Söhne haben die dort lebende Großmutter oder den Onkel je kennen gelernt. Als nun doch der Heimatbesuch ansteht, werden die Gründe für das Fortbleiben offenbar.

Eine weitere Katastrophe geschieht in „Die Mondsichel“ von Seiko Tanabe: Ein Erdbeben. Glücklicherweise übersteht ein Ehepaar in den 60ern das Beben körperlich unversehrt. Doch die Ehefrau kann es ihrem Ehemann nicht verzeihen, sich allein in Sicherheit gebracht zu haben, ohne sich um sie gekümmert zu haben.

Auch in „Das Liebesnest“ von Takashi Atoda wird das Eheleben eines Paares skizziert. Kurz nach der Heirat verbringt das paar glückliche Jahre in der Provinz. Zurück in Tokio beginnt die Ehefrau erneut zu arbeiten, etabliert ihre Unabhängigkeit und distanziert sich damit vom Ehemann.

Auch die Ehe von Tsuruko in Tsumao Awasakas Erzählung steht leider unter keinem günstigen Stern. Der Ehemann stirbt bei einem Tauchunfall. „Die drei Metamorphosen der Tsuruko“ verwundern ihre Bekannten: Tsuruko wird immer schöner, je öfter ein Schicksalsschlag eintritt.

Um einen Film und einen gealterten Zeichner homoerotischer Illustrationen geht es in „Der Fluss“ in Hiroko Minakawas Erzählung, die genauso konstant fließt wie ein Fluss. Hier mag weniger die Handlung, aber mehr die Erzählstruktur bezaubern.

Amüsant wird es in Misa Yamamuras „Angestellte im Greisenalter“ – eine Autorin beschäftigt eine alte Dame, die immer verwirrter wird und im Haushalt einigen Unfug anstellt.

Umso tragischer ist das Schicksal eines Angestellten in „Die Eidechse auf der Palme“ von Kaoru Takamura. Im Ausland wird er Opfer eines Rebellenangriffs.

Shinichi Hoshis Protagonist wird von seinem Chef gequält – und „Der Quälgeist“ von Chef will dazu auch einfach nicht sterben.

Eine Kostprobe japanischer Science Fiction-Literatur gibt Hiroyuki Moriokas „Ein richtiges Kind“: Dieses Kind ist die Attraktion einer Schule – ist es doch das einzig richtige Kind, das dort unterrichtet wird. Die anderen Schüler sind Erwachsene, die in die Körper von Kindern schlüpfen, um als Entertainment erneut die Schulbank zu drücken.

„Von Herrchen und Tierchen“ handelt die Science Fiction-Erzählung von Yusaku Kitano: Dem Erzähler läuft ein putziges Haustierchen zu, dem er fortan sein Leben verschreibt.

„Die drei Metamorphosen der Tsuruko“ bietet damit ein vielfältiges Panoptikum japanischer Unterhaltungsliteratur, das einerseits Spaß macht, andererseits aber auch zum Nachdenken anregt. Stephan Köhn präsentiert eine tolle Auswahl an in Deutschland eher unbekannten Autoren, von denen hoffentlich noch das eine oder andere Werk übersetzt wird.

Bibliographische Angaben:
Köhn, Stephan (Hrsg.): „Die drei Metamorphosen der Tsuruko“, Iudicium, München 2002, ISBN 3-89129-085-3

Freitag, 26. Oktober 2012

„Ein Gast“ von Yoko Tawada

Wer ist denn „Ein Gast“ in Yoko Tawadas Kurzroman? Ist es die Ich-Erzählerin selbst, eine Japanerin, die wie die Autorin in Deutschland lebt? Oder ist es die Frauenstimme, die sich von Zeit zu Zeit im Kopf der Erzählerin eingenistet hat?

So langsam habe ich mich ja schon als Yoko Tawada-Fan geoutet und nun ist es wohl vorhersehbar, wenn ich erneut ein Loblied auf die Autorin anstimme. Auch in „Ein Gast“ darf der Leser den leicht verqueren und doch so treffenden Gedankengängen einer Ethnologin, die keine sein mag, folgen, wenn es um europäische Eigenarten geht. Am Beispiel der Geburtstagsfeiern fragt sie sich, was man denn da überhaupt feiert. Dass man wieder ein Jahr überstanden hat, ohne zu sterben? Und warum werden erwachsene Frauen an ihrem Geburtstag von ihren Müttern so stürmisch umarmt, als seien sie gerade erst auf die Welt gekommen?

Aber freilich hat auch das Thema der (Fremd-)Sprachlichkeit seinen Platz: Im Ohr, mit dem die Erzählerin einem mäßig interessanten Hörbuchs lauscht, hat sich vielleicht ein Floh eingenistet – oder ist es eine Mittelohrentzündung, die ihr Beschwerden bereitet? Die Worte der Vorleserin nehmen ein Eigenleben an und strömen permanent durch den Kopf der Erzählerin. Einerseits mag diese die Stimme endlich loswerden, andererseits fehlt sie, wenn sie verstummt ist. Auch auf das Lese- und Schreibvermögen wirkt sich die Stimme der Vorleserin aus. Wie hängen Schreiben, Lesen und Hören nur zusammen?

Bedrohlicher als die Stimme wirkt der Nachbar Z: Der ehemaligen Psychologiestudent mag Frauen therapieren, die nach der geführten Meditation jedoch aussehen, als hätte man ihnen einen Knochen gebrochen.

Wie immer beim Konkursbuchverlag hat man auch bei „Ein Gast“ auf die optische Gestaltung wert gelegt. Daher werden die Seiten immer wieder mit Motiven des Organs der passiven Spracherfahrung geziert – dem Ohr.

Bibliographische Angaben:
Tawada, Yoko: „Ein Gast“, Konkursbuchverlag, Tübingen 1993, ISBN 3-88769-069-9

Dienstag, 23. Oktober 2012

„Der Tag der Auferstehung“ von Sakyo Komatsu

Der Titel von Sakyo Komatsus apokalyptischem Roman impliziert bereits einen Hoffnungsschimmer: „Der Tag der Auferstehung“ wird kommen. Doch zunächst wird die Menschheit fast ausgerottet. Der kalte Krieg hat seinen Zenith fast überschritten, Abrüstungsverhandlungen über die Atomwaffen sollen bald geführt werden. Dennoch forschen Wissenschaftler an gefährlichen biologischen Waffen. Ein gefährliches Virus wird aus einem geheimen, englischen Forschungslabor entwendet. Beim Transport wird die Katastrophe heraufbeschwört: Das Flugzeug, mit dem das Virus außer Landes geschafft werden soll, stürzt ab – der Kampfstoff wird freigesetzt und wütet ungebremst auf der ganzen Welt.

Im Labor, in dem das Virus hergestellt wurde, ist nicht aufgefallen, dass die Probe entwendet wurde. Keiner kann den Zusammenhang zwischen der gefährlichen Grippe, die weltweit grassiert, und dem biologischen Kampfstoff herstellen.

Eine kleine Gruppe Forscher hält sich zeitgleich in der Antarktis auf. Dank der niedrigen Temperaturen dringt das Virus nicht bis die Kältezone vor. Den Forschern bleibt nichts anderes übrig, als aus der Ferne das Massensterben zu beobachten. Doch auch sie sind in Gefahr: Die Atomwaffen der USA und der Sowjetunion sind noch immer scharf.

Sakyo Komatsus Roman ist für unsereiner freilich kein futuristischer Science Fiction mehr. Das 1964 in Japan erschienene Werk spielt Ende der 60er und zieht sich in die 70er hinein. Wissenschaftlich fundiert liefert Sakyo Komatsu Hintergrundinfos aus der Biologie und Virologie, die stellenweise jedoch ein bisschen zäh wirken. Obwohl bereits durch den Prolog klar ist, dass die Menschheit bis auf die Antarktis-Gruppe untergehen wird, ist der Roman spannend bis zur letzten Seite.

Bibliographische Angaben:
Komatsu, Sakyo: „Der Tag der Auferstehung“, Heyne, München 1987, ISBN 3-453-00961-4

Montag, 22. Oktober 2012

Sakyo Komatsu

Der 1931 in Osaka geborene Science Fiction Autor Sakyo Komatsu (eigentlich: Minoru Komatsu) studierte italienische Literatur an der Kioto Universität. Nach seinem Abschluss verdingte er sich unter anderem als Zeitungsredakteur, Fabrikvorarbeiter und Comedy Skriptautor. Bereits Ende der 40er Jahre publizierte er unter dem Pseudonym Minoru Mori Mangas. Anfang der 60er begann Sakyo Komatsu, unter anderem inspiriert durch Kobo Abe, Science Fiction-Geschichten zu schreiben. Seine erste Erzählung „Friede auf Erden“ wurde mit einem Science Fiction-Literaturpreis ausgezeichnet und setzte den Start in eine erfolgreiche Karriere als Science Fiction-Autor. Durch die gemeinsame Heimat und freundschaftlich verbunden galten Sakyo Komatsu, Taku Mayumura und Yasutaka Tsutsui als die „Osaka-Bande der japanischen SF“.

Als sein bekanntester Roman gilt der Bestseller „Japan sinkt“, der die Ereignisse aus dem Jahr 2011 vorweg nahm: Durch die Verschiebung von tektonischen Platten wird Japan von Vulkanausbrüchen und Tsunamis heimgesucht. Nach 3/11 schrieb der Autor laut New York Times in seinem vierteljährlich erscheinenden Magazin:

“I had thought I wouldn’t mind dying any day. But now I’m feeling like living a little bit longer and seeing how Japan will go on hereafter.”

Dieser Wunsch wurde Sakyo Komatsu jedoch nicht erfüllt: Im Juli 2011 starb der Autor, der als einer der bekanntesten japanischen Science Fiction-Schriftsteller gilt, an einer Lungenentzündung.

Interessante Links:

Hier rezensiert:

Sonntag, 21. Oktober 2012

„Guten Tag, meine Damen“ von Chinatsu Nakayama

Chinatsu Nakayamas sozialkritischer Erzählband „Guten Tag, meine Damen“ erschien im japanischsprachigen Original im Jahr 1980.

Drei Erzählungen umfasst das Werk. „Hinter dem Wasserfall“ ist ein Blick hinter die Kulissen: Ein namenloses Mädchen, ein Kinderstar unter den Schauspielern einer Schauspieltruppe in Tokio, ist weder bei seinen Mitschülerinnen noch bei den erwachsenen Kollegen anerkannt. Nur auf der Bühne kann sie völlig aus sich herausgehen. Doch Karriere machen vor allem die Schauspielerinnen, die mit dem Autor des Stücks anbandeln.

„Die Kranich-Braut“ ist Tsuru. Mit ihrem ehemaligen Professor zwischenzeitlich verheiratet, verliebt sich die junge Ehefrau in einen Studenten. Während ihr der Ehemann ein sicherer Hafen ist, fegt sie die Liebe zu dem Studenten regelrecht hinweg. Doch der Ehemann legt ihr eine 3-monatige Abstinenz von dem Studenten auf, bevor er in die Scheidung einwilligt. Wird die junge Liebe dies und das Geschwätz der Leute überleben?

„Guten Tag, meine Damen“ ist die dritte und lesenwerteste Erzählung in Chinatsu Nakayamas Band: Die Reality-Serie „Guten Tag, meine Damen – Auf der Suche nach Liebe“ erzielt beste Einschaltquoten. Doch Kritiker sehen die Privatsphäre der teilnehmenden Kandidaten verletzt: Das Erfolgsrezept der Sendung basiert darauf, dass verlassene Ehemänner einen Appell an die durchgebrannten Ehefrauen richten, doch bitte zurück zu kehren. Die Detektei des Fernsehsenders spürt die Frauen auf und filmt das Zusammentreffen des betrogenen Mannes mit der Ehefrau – Handgreiflichkeiten sind nicht ausgeschlossen und gut für die Quote. In einer darauf folgenden Live-Sendung werden die Parteien dann erneut vorgeführt, indem sie von so genannten Experten hinsichtlich ihrer weiteren Lebensplanung beraten werden. Doch nicht nur Kritiker prangen dieses Sendeformat an – selbst die eigenen Mitarbeiter haben Skrupel und verabscheuen die Mittel und Wege, die der Sender verfolgt, um Einschaltquoten zu generieren.

Chinatsu Nakayamas Erzählungen mögen heutzutage zwar nicht mehr irrsinnig prickelnd wirken, doch zeigen sie ein für uns ungewöhnliches Bild der japanischen Ehe. So soll die betrügerische Ehefrau eine Abfindung an den gehörten Ehemann zahlen, um eine Einwilligung in die Scheidung zu erhalten – wie eine Sklavin, die sich loskaufen muss. In „Die Kranich-Braut“ wird der europäische Leser mit dem japanischen Ehrbegriff konfrontiert. Und in „Hinter dem Wasserfall“ wird das Schicksal einer betrogenen und langmütigen Quasi-Ehefrau angerissen.

Bibliographische Angaben:
Nakayama, Chinatsu: „Guten Tag, meine Damen“, Rowohlt, Reinbek 1991, ISBN 3-499-13085-8

Donnerstag, 18. Oktober 2012

Chinatsu Nakayama

Über Chinatsu Nakayama lässt sich leider nur wenig in Erfahrung bringen: Die Autorin und Schauspielerin wurde 1948 in Kumamoto geboren. In den 70er Jahren war sie mit dem Komponisten Masahiko Sato verheiratet. Von 1980 bis 1986 betätigte sie sich als Kongressabgeordnete. Chinatsu Nakayama setzt sich seit Jahren für die Abschaffung der Todesstrafe ein.

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Ins Deutsche übersetzte Erzählungen und hier rezensiert:

Montag, 15. Oktober 2012

„Die Zeit, die uns bleibt“ von Toshiki Okada

Zwei Erzählungen enthält Toshiki Okadas „Die Zeit, die uns bleibt“, die jeweils vom Leben junger Erwachsener in Tokio berichten:

„Fünf Tage im März“ erleben ein Mann und eine Frau statt eines One-Night-Stands. Sie lernen sich auf einer Performance in einem Club kennen. Die Mitmach-Diskussion wird von Ausländern initiiert und thematisiert schwere Kost: Die US-amerikanische Invasion im Irak steht kurz bevor, „Bowling for Columbine“ ist gerade angelaufen. Doch so richtig kommt die Performance nicht in Gang – die Japaner sind zu zurückhaltend. Die Stimmung wird immer träger. Doch zwei der Gäste gewinnen dem Abend doch noch etwas Positives ab: Sie verschwinden in ein Love Hotel, in dem sie sich fünf Tage einnisten und ausgiebig Sex haben. Statt Love & Piece zelebrieren die beiden Sex & War. Denn zwischenzeitlich hat der Krieg im Irak begonnen.

Wer sich heiße Sexszenen von „Fünf Tage im März“ verspricht, wird nur wenige, knappe und überhaupt nicht erotische Beschreibungen der Tollereien finden. Die Erzählung zeichnet ganz andere Bilder: Die Japaner sind am Krieg kaum interessiert. Diskussionen überlassen sie lieber Ausländern; Protestmärsche haben nur verschwindend kleine Ausmaße und wenn überhaupt, gerät man nur zufällig in eine Demonstration. Die jungen Menschen kommen sich nicht so recht nahe. Sex oder eher lapidares Miteinander-Gehen ist da schon häufiger.

„Der Plural meiner Orte“ ist die zweite Erzählung. Sie handelt von einer jungen Ehefrau, die ihren Call-Center-Job schwänzt, während der Ehemann nach seiner Nachtschicht ein Nickerchen in einem Café hält, bevor er zu seinem Zweitjob aufbricht. Die Frau befindet sich in der schimmligen Erdgeschosswohnung des Ehepaars. Etwas Besseres als das feuchte Apartment können sich die beiden nicht leisten. In der letzten Nacht hat die Frau in privaten Blogs gestöbert und ist auf den einer frustrierten Call-Center-Mitarbeiterin gestoßen. So beginnen sich die Realitätsebenen zu verwischen: Ist die Ehefrau mit der Bloggerin gleichzusetzen? Und wer ist die Frau, die den im Café schlafenden Ehemann beobachtet.

„Der Plural meiner Orte“ ist eine trostlose Erzählung: Trotz eines Kunststudiums hat es die Ehefrau nur zu einem Call-Center-Job gebracht. Der Ehemann reibt sich in zwei Jobs auf und dennoch lebt das Ehepaar in einer Bude, die mehr muffige Höhle als Wohnung ist. Im Umgang der Eheleute fehlt zwischenmenschliche Wärme.

Einfach zu lesen sind beide Erzählungen nicht. Bandwurmsätze und Umgangssprache ohne Punkt und Komma reihen sich aneinander. Die Trost- und Perspektivlosigkeit, die die Protagonisten erleben, wirken ziemlich deprimierend. Doch sicherlich hat „Die Zeit, die uns bleibt“ den Kenzaburo Oe-Literaturpreis, mit dem der Band ausgezeichnet wurde, verdient, legen die Erzählungen doch den Finger in die Wunde des Prekariats: Japans junge Leute sehen keine Zukunft für sich.

Bibliographische Angaben:
Okada, Toshiki: „Die Zeit, die uns bleibt“, S. Fischer, Frankfurt am Main 2012, ISBN 978-3100540171

Sonntag, 14. Oktober 2012

Toshiki Okada

Der Theaterregisseur und Autor Toshiki Okada wurde 1973 in Yokohama geboren. Er studierte Wirtschaftswissenschaften an der Keio Universität. 1997 gründete er das Theaterprojekt Chelfitsch (abgeleitet von einem falsch ausgesprochenen „selfish“). Für seine Stücke erhielt er diverse Auszeichnungen.

Seine Erzählungen in „Die Zeit, die uns bleibt“, mit denen Toshiki Okada 2007 als Prosa-Autor debütierte, wurden 2008 mit dem Kenzaburo Oe-Literaturpreis ausgezeichnet.

In seinen Werken thematisiert er unter anderem die verzweifelten und desillusionierten Jugendlichen und jungen Erwachsenen Japans.

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Ins Deutsche übersetzte Erzählungen und hier rezensiert:

Samstag, 13. Oktober 2012

„Kiharu – Memoiren einer Geisha“ von Kiharu Nakamura

Im Jahr 1982 beginnt die inzwischen knapp 70-jährige ehemalige Geisha Kiharu Nakamura ihre Memoiren zu verfassen. Nachdem ihr erstes Buch, das ihre zehnjährige Karriere als Geisha im Shimbashi der 30er Jahre beschreibt, zum Bestseller wird, schreibt sie noch zwei weitere Bücher, die ihr Leben im Nachkriegsjapan und ihren weiteren Lebensweg in den USA illustrieren. Alle drei Bücher sind in der deutschen Ausgabe „Kiharu – Memoiren einer Geisha“ zusammengefasst.

Die Memoiren sind hier auch wirklich als Erinnerungsfragmente zu verstehen; eine stringente Handlung wird nicht verfolgt. Stattdessen sinniert Kiharu Nakamura über dies und jenes, schwenkt einer Eingebung folgend dann auf ein anderes Thema über und berichtet von allerlei Personen, die kurz vorgestellt werden und zumeist später kein zweites Mal erwähnt werden.

So begleitet der Leser sie auf diversen Geisha-Festivitäten, auf denen sie unter anderem Babe Ruth und Charlie Chaplin kennen lernt. Als ihre Jungfräulichkeit an einen ältlichen Minister verkauft werden soll, beschwatzt sie den Alten so lange, bis er sich lieber nur mit ihr unterhält und ihr schließlich und endlich sogar eine damals sehr teure Schreibmaschine schenken will. Heimlich lernt Kiharu englisch, was ihr insbesondere in der Nachkriegszeit sehr zu Gute kommen soll. Als die Polizei sie drängt, künftig als Spitzel zu fungieren, beschließt sie, ihre Geisha-Karriere zu beenden und heiratet einen Diplomaten – gegen den Willen von dessen Familie. Zusammen mit ihrem Ehemann geht sie nach Kalkutta, wo sie sich als eine kleine, japanische Mata Hara betätigt. Mit Ausbruch des zweiten Weltkriegs wird das Ehepaar zusammen mit anderen Japanern interniert und schließlich nach Japan zurückgeschickt.

Buch zwei schildert Kiharu Nakamuras Leben in Japan während des Kriegs. Da ihr Mann nach Burma versetzt wurde, hat sie allein für den gemeinsamen Sohn und die eigene Mutter und Großmutter zu sorgen. Mit allerlei Jobs schlägt sie sich durch, da ihr von ihrem Mann und dessen Familie keinerlei Unterstützung zu Teil wird. Nach Kriegsende blüht das „Blumen- und Weidenviertel“ – das Geisha-Viertel – wieder auf; viele amerikanische Gäste tummeln sich dort. Da Kiharu Nakamura englisch spricht, wird sie gebraucht und hat in den schwierigen Nachkriegszeiten ein gutes Auskommen. Schließlich kehrt ihr Ehemann nach Hause. Doch statt ein freudiges Wiedersehen zu feiern, erlebt Kiharu Nakamura ein böses Erwachen: Ihr Mann hat zwischenzeitlich eine andere geheiratet und hat mit der neuen Ehefrau bereits zwei Kinder. In Japan beginnt sich Kiharu Nakamura immer unwohler zu fühlen. Als Ex-Geisha hat sie mit vielen Ressentiments zu kämpfen.

Buch drei setzt ein, als Kiharu Nakamura in die USA geht. Zunächst war geplant, dass sie nur wenige Monate in New York leben soll – doch schließlich bleibt sie in Amerika. Hier fühlt sie sich frei und als Ex-Geisha akzeptiert. Nur ihre eigenen Landsleute machen ihr deswegen noch das Leben schwer. Die Amerikaner sind von der Japanerin, die grundsätzlich Kimonos trägt, fasziniert. Wie ein Tausendsassa übernimmt sie diverseste Tätigkeiten und zieht innerhalb der USA einige Male um. Doch schließlich kehrt sie nach New York zurück.

Wer von „Kiharu – Memoiren einer Geisha“ allzu viele Informationen über das Geisha-Leben erwartet, wird sicherlich enttäuscht. Noch nicht einmal ein Drittel des Buchs ist diesem Thema gewidmet. Vielmehr zeichnen Kiharu Nakamuras Erinnerungen ein Porträt einer Frau, die wie eine Katze selbst nach tiefem Fall immer wieder auf die Füße kommt. Trotz allen Schicksalsschlägen strahlt sie einen unumstößlichen Optimismus aus und lässt sich nie unter kriegen.

Bibliographische Angaben:
Nakamura, Kiharu: „Kiharu – Memoiren einer Geisha“, Europaverlag, München/Wien 1997, ISBN 3-203-80500-6

Freitag, 12. Oktober 2012

Kiharu Nakamura

Kiharu Nakamura wurde 1913 als Kazuko Yamamoto und Tochter eines Arztes auf Hokkaido geboren. Ihre Familie zog bald nach Tokio. Als die junge Kazuko beschloss, als freie Geisha in Shimbashi zu arbeiten, nahm sie den Namen Kiharu (= Frühling) an. In den 30er Jahren heiratete sie den Diplomaten Shintaro Ota und ging mit ihm nach Kalkutta. Nach Ausbruch des zweiten Weltkriegs wurden die beiden interniert und später zurück nach Japan geschickt. Während des Krieges wurde Shinataro Ota nach Burma versetzt; Kiharu blieb zusammen mit dem gemeinsamen Sohn Masakatsu in Japan. Nach Kriegsende kehrte Shintaro mit einer Armenierin als (zweiter) Frau und zusammen mit zwei gemeinsamen Kindern nach Japan zurück. Daraufhin trennte sich Kiharu von ihrem Ehemann. Sie ging Mitte 30 eine zweite Ehe mit dem Fotografen Masayo Nakamura ein. Doch auch diese Ehe scheiterte.

Schließlich ging Kiharu Nakamura nach New York und wurde eine gefragte Geisha-Expertin. Unter anderem beriet sie die Darstellerinnen von „Madame Butterfly“; Arthur Golden interviewte sie, um Hintergrundinformationen für seinen Roman „Die Geisha“ zu sammeln. Sie publizierte mehrere Autobiographien und autobiographische Romane. Ihre Memoiren wurden in Japan fürs Fernsehen verfilmt.

2004, im Alter von 90 Jahren verstarb Kiharu Nakamura in Jackson Heights, Queens.

Interessante Links:

Ins Deutsche übersetzte Werke und hier rezensiert:

Samstag, 6. Oktober 2012

„Der lange Weg zurück zur Erde“ von Taku Mayumura

„Der lange Weg zurück zur Erde“ von Taku Mayumura enthält neben Science Fiction-Geschichten auch phantastische Erzählungen; insgesamt 15 an der Zahl.

Einen „Befehl zur Einstellung der Bauarbeiten“ soll Tsutomu Sugioka Baurobotern geben. Deren oberstes Ziel ist jedoch die Fertigstellung einer Retortenstadt im südamerikanischen Urwald – und sie dulden keine Störung ihres Programms.

„Die Affen sind da!“ zeichnet die Geschichte eines in völliger Abgeschiedenheit lebenden Beamten, der auf einer Beobachtungsstation in den Bergen die Witterungsverhältnisse aufzeichnen soll. Als er sich nach einer Weile in ein Dorf wagt, wartet dort eine Überraschung auf ihn.

„Pi“ ist der Name einer Katze, deren Herrchen verstirbt. „Der Schulhof“ ist der Schauplatz einer phantastischen Fischereierfahrung. „Auf dem Schlachtfeld“ landet ein Weltkriegsveteran durch eigenartige Fähigkeiten. „Der Verkäufer“ preist eine Traummaschine an. Und „Der Reisende auf Platz C“ hat gar ungewöhnliche Eigenschaften.

Die folgenden Geschichten drehen sich allesamt um außergewöhnliche Amouren und Ehefrauen: „Das Mädchen aus Suma“ lernt Professor Kurita bei einer Radioshow kennen. Die junge Frau übt eine außerordentlich Betörung auf ihn aus. „Die Frau aus dem Innern des Hida-Gebirges“ ist von enormer Schönheit und Fachkundigkeit hinsichtlich ihrer Reiseführung, die sie Koji Abe anbietet. Doch je näher der Abend rückt, desto seltsamer benimmt sich die hübsche Frau. „Torokin“ ist ein Medikament, das ein Salaryman seiner Ehefrau unbedingt aus der Stadt mitbringen soll. Doch nicht nur die eigene Frau hat das Mittel dringend nötig. „Eine seltsame Ehefrau“ hat Kohei. Als er arbeitslos wird, hat sie eine unkonventionelle Idee, eine neue Einnahmequelle zu erschließen.

Abschließend finden sich in dem Band vier klassische Science Fiction-Erzählungen: Der „Ideenfinder im untersten Rang“ wird als Problemlöser auf den Merkur geschickt. Erst laufen die Forschungsarbeiten dort reibungslos – bis Arbeitsroboter verschwinden. „Die Hölle der Gravitation“ erleben zwei Weltraumreisende, als sie auf einem Planeten mit erhöhter Gravitation notlanden müssen. „Wie die Kurve der Tangensfunktion“ nimmt das Wissen der Einwohner des Planeten Pogu zu. Und „Der lange Weg zurück zur Erde“ hat für zurückkehrende Siedler von Alpha Centauri einige Überraschungen parat.

Taku Mayumuras Science Fiction-Erzählungen sind eher mäßig spannend und überraschend. Da haben es mir die phantastischen Geschichten wie „Das Mädchen aus Suma“ schon sehr viel mehr angetan. Hier vermischt sich der japanische Geisterglaube mit modernen Lebensläufen.

Bibliographische Angaben:
Mayumura, Taku: „Der lange Weg zurück zur Erde“, Heyne, München 1983, ISBN 3-453-30917-0

Freitag, 5. Oktober 2012

Taku Mayumura

Taku Mayumura gilt als einer der bekanntesten japanischen Science Fiction-Autoren. 1934 in Osaka geboren, begeisterte er sich als Teenager für Comics und – interessante Mischung – Haikus. Er studierte Wirtschaftswissenschaften an der Osaka Universität und begann zunächst den klassischen Werdegang eines „Salarymans“. Währenddessen schrieb er jedoch bereits literarische Werke. Anfang der 60er Jahre wurden einige seiner Erzählungen veröffentlicht und er erhielt einen Literaturpreis. Daher schied er 1963 aus seinem Beruf aus und wurde Vollzeitautor. Die Themen seiner Geschichten drehen sich oftmals um Konflikte zwischen Individuum und Organisationen. Neben Science Fiction schrieb Taku Mayumura auch Jugendromane, die oft fürs Fernsehen oder als Mangas adaptiert wurden.

Als seiner Ehefrau eine tödliche Krebserkrankung diagnostiziert wurde, beschloss Taku Mayumura, ihr zur Aufheiterung eine tägliche Kurzgeschichte zu schreiben. Ursprünglich war seiner Frau nur eine Lebensdauer von einem Jahr prognostiziert worden. Doch sie überlebte fünf Jahre – und starb, als Taku Mayumura 1778 Geschichten beendet hatte. Diese Kurzgeschichten wurden 2002 veröffentlicht. Das Leben von Taku Mayumura und seiner Ehefrau wurde daraufhin verfilmt.

Interessante Links:

Ins Deutsche übersetzte Erzählungen und hier rezensiert:

Donnerstag, 4. Oktober 2012

„Die Straße ohne Sonne“ von Sunao Tokunaga

Rund um „Die Straße ohne Sonne“ in Tokio tummeln sich die Wellblechhütten der Ärmsten der Arbeiter, die vornehmlich in den Fabriken des reichen Kapitalisten Okawa arbeiten. Der hat vor kurzem die Arbeiter einer ganzen Abteilung entlassen – ihre 3.000 Kollegen haben aus Solidarität einen Streik ausgerufen. Und so wird der Leser Zeuge eines Arbeitskampfs in den 20er Jahren, der auch in der Realität so – oder so ähnlich – stattgefunden hat. Denn der Autor Sunao Tokunaga verarbeitet in seinem Roman seine eigenen Erlebnisse als Streikender.

Takae ist eine der zentralen Figuren: Die emanzipierte Frau steht hundertprozentig hinter dem Streik und opponiert damit gegen den Vater. Sie und ihre jüngere, schwangere Schwester O-Kayo werden verhaftet und für einige Zeit inhaftiert. Hagimura ist ein Stratege, der sich in der Streikleitung engagiert. Auch er lebt gefährlich: Die Polizei und die Werksfaschisten haben es auf ihn abgesehen. Miyaji gehört einer Geheimabteilung der Streikenden an. Als er sich der Polizei freiwillig stellt, wird er gefoltert und altert innerhalb von Tagen um Jahre. Hin und wieder wechselt die Perspektive auf die wohlhabende Gegenseite und illustriert die Weltfremdheit des Kronprinzen und die Kaltherzigkeit der Kapitalisten.

Sunao Tokunaga appelliert mit „Die Straße ohne Sonne“ an den Zusammenhalt der Arbeiter gegen die unterdrückende Oberschicht. Durch Intrigen und Bestechungen gelangen die Kapitalisten doch an ihr Ziel: Die Solidarität zerfällt und der Streik wird zu den Bedingungen der Arbeitgeber beendet. Interessant ist dabei vor allem, dass Sunao Tokunaga den diversen Einzelschicksalen ein Gesicht gibt. Einige überleben den Arbeitskampf nicht, andere verrotten in Gefängnissen, Frauen prostituieren sich, um eine neue Einnahmequelle zu erschließen.

Freilich entbehrt „Die Straße ohne Sonne“ nicht einer gewissen Polemik, was z.B. die Glorifizierung der roten Fahne betrifft. Dennoch ist der Roman gegen Ende mehr als spannend und fordert Respekt für die Arbeitergeneration heraus, für die der Begriff „Arbeitskampf“ noch wörtlich zu verstehen war.

Bibliographische Angaben:
Tokunaga, Sunao: „Die Straße ohne Sonne“, Dietz, Berlin 1960

Mittwoch, 3. Oktober 2012

Sunao Tokunaga

Sunao Tokunaga kam 1899 als Sohn eines landlosen Pachtbauers zur Welt. Wie viele andere Bauernsöhne dieser Zeit ging er in die Stadt, um in verschiedensten Anstellungen Geld zu verdienen. So machte er eine Druckerlehre, arbeitete in einer Zigarettenfabrik und einem Elektrizitätswerk. Sunao Tokunaga interessierte sich sehr für Literatur, gründete mit anderen Arbeitern einen literarischen Studienzirkel und versuchte sich an ersten Novellen. 1922 ging er nach Tokio, um dort als Drucker zu arbeiten.

Den Stoff für seinen ersten proletarischen Roman „Die Straße ohne Sonne“ aus dem Jahr 1926 lieferten seine Erfahrungen des misslungenen Streiks in der Kyodo-Druckerei. Unter Druck des Gesetzes zur Aufrechterhaltung des öffentlichen Friedens und den damit einhergehenden Repressalien schrieb Sunao Tokunaga konformistischer.

Nach dem Ende des zweiten Weltkriegs trat Sunao Tokunaga in die Kommunistische Partei und für die Förderung von Arbeiterliteratur ein. 1958 erlag er einem Magenkrebsleiden.

Interessante Links:

Ins Deutsche übersetzt und hier rezensierte Romane:

Montag, 1. Oktober 2012

„Battle Royale“ von Koushun Takami

Koushun Takami zeichnet ein düsteres Japanbild aus einer parallelen Realitätsebene: Japan hat sich von der Welt abgekapselt und wird von einem faschistischen Diktator regiert. Per Zufallsprinzip werden jedes Jahr Klassen von Neuntklässlern für „das Programm“ ausgewählt: Die Jugendlichen werden in abgeschiedenen Gegenden ausgesetzt und mit Waffen versorgt – sie sollen sich gegenseitig töten, bis nur noch ein Sieger lebendig zurückbleibt.

Shuya und seine Klassenkameraden denken nichts Böses, als sie auf Klassenausflug fahren. Doch der harmlos anmutende Ausflug entpuppt sich als Horrortrip. Auf der Busfahrt werden sie eingeschläfert und beim Aufwachen mit der grausamen Nachricht konfrontiert: Sie sind für das Programm ausgewählt und sollen sich auf einer evakuierten Insel gegenseitig niedermetzeln. Per Zufallsprinzip erhält jeder der Schüler eine Waffe – von der Automatikpistole bis zur Gabel – ausgehändigt und wird hinaus in die Nacht geschickt.

Shuyas bester Freund wird das menschenunwürdige Spiel gar nicht erst beginnen können: An ihm statuieren die überwachenden Soldaten ein Exempel und erschießen ihn, als er sich dem Spielleiter widersetzt. Shuya beschließt, die ebenfalls von den Soldaten angeschossene Noriko unter seine Fittiche zu nehmen, und „das Programm“ gemeinsam zu durchlaufen.

Aus den Blickwinkeln der unterschiedlichen Schüler beschreibt Koushun Takami die Geschehnisse: Einige wenige Schüler verweigern sich dem Spiel und dem Töten. Einige andere werden zu Einzelkämpfern und metzeln frontal oder mit Heimtücke nieder. Wenige versuchen, gegen die staatliche Gewalt auf der Insel anzugehen. Alle menschlichen Beziehungen werden mit Misstrauen überzogen – wer will einen töten, wer meint es ehrlich, wem kann man noch vertrauen? Das kleinste Missverständnis kann eine Welle der Gewalt auslösen.

„Battle Royale“ ist definitiv nichts für zart Besaitete. Nicht umsonst ist das Buch genauso wie die Verfilmung sehr kontrovers diskutiert worden. Konsumiert man den Roman als pure Action, so saugt einen die Handlung sofort ein. Bis zur allerletzten Seite bleibt er so spannend, dass man die Nacht durchlesen kann, ohne dass einem die Augen zu fallen. Doch wirft „Battle Royale“ auch die Frage auf, wie man selbst in einer derartigen Situation handeln würde. Wäre man fähig, auf die Loyalität der anderen völlig zu vertrauen oder wäre einem nur das eigene Leben lieb und teuer?

Nachdem der Heyne-Verlag „Battle Royale“ im September diesen Jahres endlich neu aufgelegt hat, ist der Roman auch wieder zu einem vernünftigen, nicht überteuerten Preis zu erstehen.

Bibliographische Angaben:
Koushun, Takami: „Battle Royale“, Heyne, München 2012, ISBN 978-3-453-43721-0