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Samstag, 30. Juni 2012

Amy Yamada

Amy Yamada (oder auch: Eimi/gebürtig: Futaba) wurde 1959 in Tokio geboren, doch die Arbeit ihres Vaters verlangte der Familie mehrere Umzüge ab. Amy Yamada begeisterte sich bald für Literatur, insbesondere für die Werke von Francois Sagan und James Baldwin. An der Meiji Universtiät schrieb sie sich für japanische Literatur ein, schmiss jedoch bald ihr Studium, um sich als Manga-Autorin zu verdingen. 1980 wechselte sie zur Belletristik. Sie verfolgte die Strategie, über das zu schreiben, was sie selbst erlebte. Konsequenterweise versuchte sie viel zu erleben – und arbeitete als Hostess, Nacktmodell und Domina. Ihre Beziehung zu einem afroamerikanischen US-Soldaten verarbeitete sie in „Nächte mit Spoon“, das mit dem Bungei-Literaturpreis ausgezeichnet wurde. Weitere Preise folgten, unter anderem 1987 der Naoki-, 2000 der Yomiuri- und 2005 der Tanizaki-Preis.

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Ins Deutsche übersetze Romane/Erzählungen und hier rezensiert:

Freitag, 29. Juni 2012

„Die Rote Bande von Asakusa“ von Yasunari Kawabata

„Asakusa ist ein einziges großes Irrenhaus.“ (S. 136)

Sagt das Alter Ego des Autors Yasunari Kawabata über den Stadtteil Asakusa, in dem sich die Rote Bande herumtreibt. Er begleitet die Gruppe aus jugendlichen Herumsträunern, die sich vornehmlich um die verrückte Yumiko scharen, die auch schon mal ein paar Kügelchen Arsen schluckt – damit ihr Teint die richtige Farbe bekommt – und sich allerlei Verkleidungen ausdenkt, um die Leute an der Nase herumzuführen.

Doch nicht nur die Rote Bande bevölkert Asakusa: Bettler, Obdachlose, Ausreißer, Varieté-Tänzerinnen, Artisten, Prostituierte, Betrüger, vergnügungssüchtiges Volk tummeln sich in dem Stadtviertel, das sein europäisches Äquivalent im Pariser Montmartre findet. Westliche Einflüsse treffen hier auf japanische Traditionen – und doch ist die Rote Bande einem alt-ehrwürdigen Ehrenkodex verhaftet.

Der Erzähler setzt unwillkürlich ein Spotlight auf ein Plätzchen in Asakusa und berichtet dann von den eigenwilligen Machenschaften von Yumiko, Kurzhaar-O-Soundso, Silberkatzen-Umeko oder Linkshänder-Hiko. Überhaupt wird mit den Begriffen „links“ und „rot“ gern gespielt, jedoch ohne dass „Die Rote Bande von Asakusa“ als linke Literatur begriffen werden kann. Stakkatohaft werden die Eindrücke teilweise wiedergegeben, unter anderem wenn der Erzähler aus Programmheften und Anschlägen abliest. So ist wohl auch das Tempo generell rapide in Asakusa.

„Die Rote Bande von Asakusa“ liest sich ungewöhnlich, fragmentarisch. Doch wie soll man dem Kaleidoskop Asakusa auch besser gerecht werden? Hat man sich erst ein bisschen eingelesen, lässt einen die Faszination für Asakusas 20er/30er Jahre nicht mehr los. Welch ein turbulentes Lesevergnügen!

Fans von Yasunari Kawabatas Klassikern wie „Schneeland“ wird „Die Rote Bande von Asakusa“ jedoch eher enttäuschen – der Erzählstil könnte fast nicht gegensätzlicher sein.

Bibliographische Angaben:
Kawabata, Yasunari: „Die Rote Bande von Asakusa“, Insel Verlag, Frankfurt am Main 1999, ISBN 978-3-458-16969-7 

Donnerstag, 28. Juni 2012

„Die letzte Geisha – Eine wahre Geschichte“ von Sayo Masuda

Die kleine Sayo erlebt eine furchtbare Kindheit: Eine Schule sieht sie als Kind nicht von innen. Stattdessen muss sie vor allem den Säugling eines Großgrundbesitzers hüten und allerlei anfallende Arbeiten erledigen. Zu essen bekommt sie maximal Reste und von einer richtigen Schlafstatt kann auch nicht die Rede sein. Noch nicht mal ihren richtigen Namen kennt die Kleine. Sie wird primär „He, du da!“ gerufen und erhält immerhin den Spitznamen Tsuru.

Als Teenager wird sie in ein Geisha-Haus in einem Kurort verkauft. Dort wird sie einem extremen Drill unterworfen. Wenn sie beim Tanz oder beim Shamisen-Spiel Fehler begeht, wird sie geschlagen. Auch die Geisha-Mama kennt mit niemandem ein Erbarmen: Bei Ungehorsam werden schon einmal Zigaretten an den Körpern der Mädchen ausgedrückt. Als Sayo einer ihrer älteren Geisha-Schwestern zu Hilfe eilen will, als diese von der Mama brutal traktiert wird, wird sie von dieser eine Treppe hinunter gestoßen und erleidet einen Oberschenkelbruch. Da Sayo viel zu spät ins Krankenhaus eingeliefert wird, entgeht sie nur knapp einer Amputation. Doch immerhin erfährt sie im Hospital endlich ihren richtigen Namen. Als sie von ihrem Gönner, einem Yakuza, freigekauft wird, gerät Sayo in die nächste Abhängigkeit. Aufgrund einer Liebesaffäre verstößt der Yakuza die ehemalige Geisha. Sayo ist nun frei, aber ohne Geld und Auskommen hilflos. Fortan muss sie sich alleine durchschlagen.

„Die letzte Geisha – Eine wahre Geschichte“ zeigt ein ganz anderes Bild des Geisha-Lebens als Mineko Iwasakis „Die wahre Geschichte der Geisha“. Doch die beiden Geishas könnten kaum unterschiedlicher sein. Mineko Iwasaki kommt als Nachfolgerin einer Geisha-Mama ins Geisha-Haus, wird von dieser adoptiert und hat in der Hierarchie einen hohen Rang inne. Sayo Masuda ist ein uneheliches, verstoßenes Kind, wird für eine bestimmte Zeit eingekauft und hat den geringsten Status im Haus. Während Mineko Iwasaki in Kioto sich als Künstlerin fühlen kann und sich mit reichen Gönnern trifft, die ihre künstlerischen Darbietungen zu schätzen wissen, ist Sayo Masuda als Kurort-Geisha eher Prostituierte und muss Yakuzas und Mittelständlern dienen. Während Mineko Iwasaki von sich behaupten kann, ihren Körper nicht verkauft zu haben und so nach Beendigung der Geisha-Karriere mit Männern normale Beziehungen eingehen kann, so fühlt sich Sayo Masuda befleckt und wagt es nicht, zu heiraten, da sie sich der Gefahr bewusst ist, von ihrem Mann davongejagt zu werden, sobald er von ihrer Vergangenheit erfährt.

Sayo Masuda, die kaum schreiben gelernt hat, verfasste in den 50er Jahren mit „Die letzte Geisha – Eine wahre Geschichte“ ein eindrückliches Porträt. Die Schwächen im Plot muss man unter diesem Gesichtspunkt mehr als verzeihen. Was allerdings ein bisschen schade ist, ist der reißerische Titel, den der Verlag dem Buch gegeben hat. Denn warum war Sayo Masuda denn die „letzte“ Geisha? Das mag vielleicht gut klingen (à la „Das letzte Einhorn“, „Der letzte Kaiser“, „Der letzte Mohikaner“ etc.), ist aber doch schlichtweg irreführend.

Zudem wären meiner Meinung ein paar mehr Fußnoten angebracht gewesen. Wer sich nicht bereits ein bisschen mit dem Geisha-Leben befasst hat, der kann nur mühsam aus dem Zusammenhang erahnen, was hinter Begriffen wie Zashiki und Kenban steckt.

Trotzdem: Sayo Masudas Autobiographie sollte man auf jeden Fall lesen, wenn man sich für Geishas und deren Schicksale interessiert.

Bibliographische Angaben:
Masuda, Sayo: „Die letzte Geisha – Eine wahre Geschichte“, Insel Verlag, Berlin 2012, ISBN 978-3-458-35851-0

Mittwoch, 27. Juni 2012

Sayo Masuda

Die Geisha und Autorin Sayo Masuda wurde als uneheliches Kind im Jahr 1925 in der Präfektur Nagano geboren. Ihre ersten Lebensjahre verbrachte sie bei einem Onkel, wurde aber bald als Babysitter und Haushaltshilfe zu einem Großgrundbesitzer gegeben. Als Teenager wurde sie in ein Geisha-Haus verkauft, wo sie ihren Dienst tat, bis sie von einem Yakuza freigekauft wurde.

In den 50er Jahren reichte sie ihre niedergeschriebene Lebensgeschichte bei einem Wettbewerb einer Frauenzeitschrift ein. 1957 veröffentlichte ein Verlag ihre Autobiographie. Mit diversen Jobs hielt sie sich im Anschluss über Wasser, bis sie schließlich ein eigenes Restaurant eröffnen konnte.

2008 starb Sayo Masuda an Leberkrebs, der unter anderem auf jahrelangen Alkoholmissbrauch zurückzuführen war.

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Ins Deutsche übersetzte Autobiographien und hier rezensiert:

Dienstag, 26. Juni 2012

„Hinter der Glastür“ von Soseki Natsume

„Hinter der Glastür“ an seinem Arbeitsplatz verbringt Soseki Natsume einige Wochen und erholt sich von einem Magenleiden. In dieser Zeit entstehen kleine Prosaskizzen von drei bis vier Seiten Umfang, die vom 13.01. bis 23.02.1915 als tägliche Kolumne in der Asahi Shimbun erschienen. Kurz vor seinem Tod im Jahr 1916 reflektiert hier der Autor über das Sterben, seine Verwandten, seinen Umgang mit den Menschen und den der Menschen mit ihm.

Der Leser begegnet aber auch seinen Haustieren: Hund Hektor wird seinem Namensgeber aus der griechischen Mythologie so gar nicht gerecht – er ist ein ziemlicher Hasenfuß und wird eines Tages tot in einem Nachbarstümpel aufgefunden. Soseki Natsumes erste Katze, die der Familie zugelaufen kam, wurde gewissermaßen nach der Veröffentlichung von „Ich, der Kater“ zu einer kleinen Berühmtheit.

Soseki Natsume gibt zudem einen Einblick in seine etwas verworrene Kindheit: Als Nachzügler geboren wird er erst zu einer Pflegefamilie gegeben, von einer anderen Familie adoptiert und schließlich von seinen leiblichen Eltern zurückgeholt. Der Junge war erst einmal so verwirrt, dass er seine Eltern Großvater und Großmutter nannte – nicht ungewöhnlich, da seine Mutter mit ihm im Alter von 40 Jahren schwanger wurde.

Interessant sind vor allem auch seine Erfahrungen als bekannter Autor: Ein Zeitschriftenreporter versucht Soseki Natsume für ein Foto partout zum Lächeln zu bringen – und retuschiert schließlich die Bilder des ernsten Intellektuellen. Ein ihm unbekannter Herr terrorisiert ihn mit Wünschen nach Kalligraphien. Seine Vorträge werden (scheinbar) nicht verstanden. Und eine Frau, die eine Liebestragödie hinter sich hat, bittet ihn zunächst, ihr trauriges Schicksal in Romanform zu gießen.

Doch immer wieder kommt er auf den Tod zu sprechen – sind doch schon einige seiner Verwandten, Freunde und Bekannten von ihm gegangen. Und auch er leidet immer wieder an seinen Magenproblemen und wundert sich, warum gerade er noch lebt.

39 Episoden umfasst „Hinter der Glastür“, das leider viel zu schnell ausgelesen ist. Soseki Natsume gewährt einen sehr persönlichen Einblick in seine Vergangenheit und seinen Alltag. Mal ist der Inhalt ernst, mal kann man sich ein Grinsen nicht verkneifen.

Bibliographische Angaben:
Natsume, Soseki: „Hinter der Glastür“, Angkor Verlag, Frankfurt am Main 2011, ISBN 978-3-936018-80-6

Montag, 25. Juni 2012

„Das Fabrikschiff“ von Takiji Kobayashi

Wer auf einem Fabrikschiff anheuert, der begibt sich auf direktem Weg in die Hölle. Gehaust wird in Kabinen, die nicht zu Unrecht als Jauchefass bezeichnet werden. Wasser zum Waschen wird so streng rationiert, dass man sich nur wenige Male im Monat säubern kann. Wanzen und Läuse piesacken die Matrosen, Arbeiter und Fischer. Doch am schlimmsten ist der Aufseher, der nichts als Profit im Kopf hat, und seine Untergebenen notfalls sadistisch halb tot foltert. Ein Menschenleben zählt nichts auf See, denn:

„Ein Krabbenfangschiff ist eben weder ein Schiff, das unter dem Schutz des Seerechts steht, noch eine Fabrik, deren Arbeiter das Recht auf Arbeitsschutz genießen. Ein Krabbenfangschiff steht außerhalb aller Gesetze, es ist vogelfrei.“ (S. 28)

Daher riskiert der Aufseher Asagawa permanent die Leben der Besatzung: Selbst bei Sturmwarnung werden die ahnungslosen Fischer in ihren kleinen Booten aufs Meer geschickt, Kranke werden zum Arbeitseinsatz getrieben und ohnehin muss bis zur völligen Erschöpfung durchgearbeitet werden. Muckt einer auf, drohen die drakonischsten Strafen. Ein toter Arbeiter macht nichts aus – stehen doch im Hafen bestimmt schon wieder zehn Bewerber auf die Stelle bereit. Und selbst wenn ein Schiff sinken sollte – dagegen ist die Fischfanggesellschaft bestens versichert.

Takiji Kobayashi nimmt den Leser mit auf Krabbenfang mit der Hakkomaru –  eine Fahrt, die manche Fischer und Arbeiter nicht überleben werden. Damit prangerte der Autor die brutale und schonungslose Ausbeutung der Arbeiter an – und bezahlte sein Engagement schließlich selbst mit dem Leben, als er 1933 im Polizeigewahrsam zu Tode gefoltert wurde. Der Kurzroman ist auch heute noch brisant. Als Leser atmet man regelrecht auf, dass man nicht in diese Zeit hineingeboren wurde, als eine Organisation der Arbeitnehmer unterbunden und deren Rechte schlichtweg inexistent waren.

„Das Fabrikschiff" erschien ins Deutsche übersetzt 1958 bereits unter dem Titel „Krabbenfischer" im Volk und Welt-Verlag.

Sonntag, 24. Juni 2012

Takiji Kobayashi

Takiji Kobayashi
(Creative Commons-Lizenz)
Takiji Kobayashi gilt als einer der wichtigsten und bekanntesten Vertreter der proletarischen Literaturbewegung. 1903 wurde er als Sohn eines armen Bauers in der Präfektur Akita geboren. Dank seines Onkels konnte er in Hokkaido Wirtschaftswissenschaften studieren. Bereits während seines Studiums begann er zu schreiben. Besonders begeisterte er sich für den Autor Naoya Shiga.

Nach seinem Studium begann er 1924 bei der Hokkaido Takushoku Bank zu arbeiten, engagierte sich aber für die Arbeiterbewegung. Nachdem er die Brutalität der Polizei gegenüber den „Linken“ erlebt hatte, schrieb er die Erzählung „Der 15. März 1928“ und wurde seitdem von der Polizei beobachtet. Sein Kurzroman „Das Fabrikschiff“, der die Grausamkeit gegenüber den Arbeitern, Fischern und Matrosen anprangerte, wurde kurz nach der Veröffentlichung 1929 verboten.

Takiji Kobayashi wurde von der Bank entlassen und ging 1930 nach Tokio. Wegen Majestätsbeleidigung und Störung der öffentlichen Ordnung durch die Publikation von „Das Fabrikschiff“ wurde er zu mehreren Monaten Gefängnis verurteilt. Nach seiner Freilassung trat er der kommunistischen Partei bei und ging in den Untergrund. 1933 verriet ihn ein Polizeispitzel. Im Polizeigewahrsam wurde Takiji Kobyashi zu Tode gefoltert.

In den deutschsprachigen Übersetzungen älterer Natur wird der Autor auch als Takidji Kobajaschi oder Takisi Kobayashi geführt.

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Ins Deutsche übersetzte Romane/Erzählungen und hier rezensiert:

Samstag, 23. Juni 2012

„SF aus Japan“ herausgegeben von Ken Okura, Peter Wilfert & Werner Zillig

In „SF aus Japan“ findet der Leser literarische Kostproben einiger der bekanntesten Science Fiction-Autoren Japans.

Mit Aritsune Toyoda geht es in „Ein anderes Japan“: Der Japanologe Ken Douglas ist auf dem Weg nach Japan. Und zwar in geheimer Mission für die amerikanische Regierung. Er soll herausfinden, was in dem Land vor sich geht, das einst auf dem Weg war, die größte Wirtschaftsmacht zu werden und sich nun aber in völlige Abschottung begeben hat. Am Flughafen von Tokio angelangt, ist Ken irritiert: Alles wirkt überzogen pseudo-traditionell. Was es damit nur auf sich hat?

Den Protagonisten von Akira Horis „Die Hand des kosmischen Affen“ zieht es ins Weltall. Am besten immer weiter weg von der Erde ins Outer Space. Als er den Auftrag erhält, einen mächtigen Funktionär zu einem der letzten Außenposten des Sonnensystems zu begleiten, erfährt er von der Hand des kosmischen Affen.

Yasutaka Tsutsuis Held aus „Man spricht über mich“ kann es nicht glauben: Über seinen Alltag wird plötzlich in den Massenmedien berichtet. Ist er verrückt geworden oder spielt ihm da jemand einen ganz bösen Streich?

„Der Zeitwirbel“ von Shinichi Hoshi legt sich über das Weltgeschehen: Ab dem Tag 0 wird jeden Tag aufs Neue auf Reset gedrückt. Die Zigaretten, die man gestern geraucht hat, sind wieder im Päckchen; das Essen, das man am Tag zuvor verspeist hat, liegt wieder unberührt im Kühlschrank. Als dann auch noch ungewöhnlicher Besuch ins Haus steht, ist die Erstaunung erst recht groß…

„Der Sake“ ist der Grund, warum Ryo Hanmuras Erzähler so gerne auf der Erde weilt. In einem Monolog klärt er den Sohn seines toten Freundes über dessen Herkunft auf.

Nur „Das Nachbild“ bleibt zurück, wenn sich Murashima mit seiner Ex-Frau Yu trifft. Wie mag das Beziehungsleben der Zukunft aussehen, das der Autor Masami Fukushima hier skizziert?

In „Das Pastorale“ von Tensei Kono bekommt ein Familienvater sehr zerstreuten Besuch: Ein junger Mann steht unversehens in der Wohnung und spricht in Rätseln.

Shinji Kajo erzählt von den „Perlen für Mia“: In einem sensationellen Vorhaben wird ein junger Mann in eine Zeitkapsel gesteckt, in der während eines Tags nur die Zeit von einer Sekunde vergeht. Der Ich-Erzähler und Verwalter findet eines Tages eine junge Frau vor der Apparatur, die wehmütig und traurig zum Versuchskaninchen blickt. Welch tragische Liebesgeschichte mag sich zugetragen haben?

Nach einem Autounfall wird der Ich-Erzähler „Ein erfolgreicher Mann“. Doch irgendwo muss ein Haken in Taku Mayumuras Kurzgeschichte sein…

Eine „Friede auf Erden“-Stimmung scheint für Japan weit entfernt zu sein. Denn der Tenno verkündet im August 1945 nicht die Kapitulation. Der Kampf in Japan geht weiter und lässt Teenager in einen aussichtslosen Krieg ziehen. Doch hat in Sakyo Komatsus Erzählung nicht irgendjemand ganz böse Intrigen gesponnen?

„SF in Japan“ ist weit weniger außerirdisch, als die Illustration des Buchcovers vermuten lässt. Vielmehr spielen die Erzählungen mit dem Phantastischen. Yasutaka Tsutsuis charmantes Gedankenspiel „Man spricht über mich“ ist gar mehr Slapstick-Fiction als Science-Fiction. Das Cover sollte daher nicht abschrecken: „SF in Japan“ bietet eine tolle Themenmischung mit unvermuteten Wendungen fernab von Aliens und Kriegen im Weltall.

Donnerstag, 21. Juni 2012

„Unter dem Regenmond“ von Akinari Ueda

Mit „Unter dem Regenmond“ liegen Erzählungen von Akinari Ueda vor, die als seine besten Geistergeschichten gelten. Die 1776 erschienenen Erzählungen spielen jeweils von Mitte Juni bis Mitte Juli, einer Zeit, in der laut japanischem Aberglauben Geister besonders gern den Menschen erscheinen, und basieren teilweise auf chinesischen Geschichten, teilweise auf historischen Ereignissen, die sich in Japan zugetragen haben.

Die Treue einer Ehefrau wird in „Das Haus im Schilfgras“ thematisiert. Nach jahrelanger Abwesenheit kehrt der Ehemann zurück und muss sein vom Krieg gebeuteltes Heimatdorf (fast) verlassen wieder finden.

Wer „Die Liebe einer Schlange“ erhält, dem widerfahren ungute Dinge, muss der junge Toyo-o feststellen. Dieser wird von einem Dämon verfolgt, der eine bezaubernde Frauengestalt angenommen hat.

Geschichtlich wird es in „Begegnung auf dem Berg Shiramine“, als der Geist des brutalen Kaisers Sutoku erscheint und Zwiesprache mit einem Lebenden hält. Ähnliches widerfährt zwei Wanderern in „Der Vogel der drei Buddhaschätze“.

Um Betrug, Eifersucht und Rache dreht es sich in „Der Wasserkessel von Kibitsu“. Shotaro ist der Schlingel, der sich mit einer anderen Frau aus dem Staub macht und seine Ehefrau im Stich lässt. Doch die Rache der Ehefrau bleibt nicht aus.

Anlässlich einer „Verabredung zum Chrysanthemenfest“ hat Samon eine Begegnung mit einem Geist und erfährt, was wahre Freundestreue ist.

In „Geträumte Karpfen“ erlebt ein besonders tierlieber Mönch als Belohnung für seinen Einsatz für die Fauna eine ganz erstaunliche Verwandlung.

„Die blaue Kapuze“ handelt von einem Zen-Meister, der es mit einem wahnsinnigen Widersacher aufnimmt, der die Nachbarschaft terrorisiert.

„Eine Unterhaltung über Armut und Reichtum“ führt ein Ritter mit dem Geist des Geldes.

Ein bisschen mühselig lesen sich die Erzählungen mit geschichtlichem Hintergrund. Man müsste etwas bewanderter bezüglich der Aufstände und Kriege im 12. und 16. Jahrhunderts sein, um diesen Geschichten gerecht zu werden. Dagegen lassen Erzählungen wie „Geträumte Karpfen“ und „Die blaue Kapuze“ keine Langeweile aufkommen. „Unter dem Regenmond“ bedient ein großes Spektrum von phantastischen Erlebnissen und gibt einen schönen Einblick in den Volksglauben. Wer hätte gedacht, dass Geister keinen Sake mögen?!

Dienstag, 19. Juni 2012

Akinari Ueda

Akinari Ueda wurde vermutlich 1734 als unehelicher Sohn einer Geisha in Osaka geboren. Als Kleinkind wurde er von seiner Mutter ausgesetzt und glücklicherweise von dem wohlhabenden Händler Mitsuyoshi Ueda adoptiert. Durch eine Pockeninfektion verkrüppelten seine Hände und er erlitt eine Gehirnhautentzündung, unter der er Zeit Lebens litt.

Nach dem Tod es Adoptivvaters übernahm er einige Jahre dessen Geschäft. Seine ersten Werke datieren in diese Zeit. Durch einen Brand wurde der Ueda’sche Ladens zerstört. Daraufhin widmete sich Akinari Ueda mit Eifer dem Schreiben von Gedichten, Geschichten und philologische Abhandlungen. Zudem studierte er chinesische Medizin. Bis ins Jahr 1788 arbeitete er als Arzt. 1809 starb Akinari Ueda.

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Hier rezensiert:


Weitere ins Deutsche übersetzte Erzählungen:
  • Erzählungen beim Frühlingsregen

Montag, 18. Juni 2012

„Die Wildgans“ von Ogai Mori

Es ist im Jahr 1880 als die schöne, tugendhafte, aber arme Otama durch geschickte Verhandlungen die Zweitfrau des Wucherers Suezo wird. Sie wird zusammen mit einem Dienstmädchen in einem Haus in Muenzaka einquartiert, wo sie den lieben langen Tag nichts anderes zu tun hat, als sich für ihren Herrn Suezo hübsch zu machen und auf dessen Besuch zu warten. Tagein, tagaus blickt sie auf die Straße, wo die jungen Studenten flanieren. Einer davon gefällt ihr besonders gut. Es ist Okada, der beste Freund des Ich-Erzählers. Okada ist die personifizierte Mustergültigkeit und Otama träumt davon, von ihm aus ihrem Schicksal als Zweitfrau befreit zu werden. Otama schmiedet bereits Pläne, wie sie sich dem begehrten Okada am besten nähern soll, als doch alles anders kommt als erwartet.

Ogai Mori präsentiert mit „Die Wildgans“ einen Ausschnitt der japanischen Gesellschaft auf dem Weg in die Moderne: Otama gleicht zwar noch dem demütigen, klassischen Frauenbild, doch die Saat für den Ausbruch aus dem goldenen Käfig ist schon gesät. Die Studenten geben sich bereits weltmännisch-kosmopolitisch und streben internationale Karrieren an. Auch Suezos patriarchalische Rolle schwankt bedenklich: Seiner Ehefrau muss er seine Schattenfrau verschweigen und für diese rühren sich die ersten zärtlichen Gefühle.

„Die Wildgans“ gilt als der große Klassiker aus der Feder Ogai Moris und erlaubt, in ein Japan einzutauchen, das so nicht mehr existiert.

Sonntag, 17. Juni 2012

„Ich, Tochter eines Yakuza“ von Shoko Tendo

Shoko Tendo erzählt mit „Ich, Tochter eines Yakuza“ ihre traurige und doch faszinierende Lebensgeschichte. Shoko Tendos Vater ist zunächst Yakuza-Boss und pflegt einen auffälligen, prahlerischen Lebensstil. Doch als der Vater ins Gefängnis geht, beginnt der Abstieg der Familie: Die Schulden werden immer erdrückender und die Kinder werden in der Schule von den Mitschülern gehänselt. Shoko und ihre ältere Schwester stürzen in ein Jugendbanden-Milieu ab: Klebstoff wird geschnüffelt, die Schule geschwänzt, geprügelt… Shoko landet schließlich in einer Besserungsanstalt. Währenddessen sind dem Vater die Schulden endgültig über den Kopf gewachsen, Geldeintreiber belagern das Familienanwesen. Die verzweifelte Lage ausnutzend macht sich ein Yakuza-Kollege an Shoko ran: Er macht sie abhängig von Speed, schläft mit ihr und prügelt sie. Doch auch, als der eklige Kerl stirbt, hat sie kaum Glück mit ihren Männern: Sie wird Geliebte oder gerät erneut an gewalttätige Yakuza.

Shoko unternimmt zwei Befreiungsschläge: Der erste liegt darin, sich zu ihrer Abstammung von einem Yakuza zu bekennen, indem sie sich nach Yakuza-Manier tätowieren lässt. Den Rücken ziert eine Kurtisane, die ein Messer zwischen den Lippen hält. Nach und nach wird die Tätowierung erweitert, bis Shokos Körper vom Nacken bis zu den Hand- und Fußgelenken komplett bedeckt ist (das Buchcover zeigt übrigens niemand anderen als Shoko Tendo). In einem Interview auf Arte gibt die Autorin an, dass zwischenzeitlich kein Yakuza mehr mit ihr daten will, zeigt doch die Größe von Shokos Tätowierung, dass sie sehr viel mutiger ist, als der Yakuza selbst.

Der zweite Befreiungsschlag besteht in der Entscheidung, ihre Lebensgeschichte als Buch zu veröffentlichen. Shoko beendet ihren Job als Hostess und bringt ihr Leben mit „Ich, Tochter eines Yakuza“ zu Papier.

Freilich zeichnet sich die Autobiographie nicht gerade über einen geschliffenen Sprachstil oder ausgefeilten Aufbau aus. Dennoch übt sie eine dunkle Faszination aus, dass man trotz einiger übler Gewaltszenen unbedingt wissen muss, wie diese Lebensgeschichte bloß enden mag.

Freitag, 15. Juni 2012

Shoko Tendo

Shoko Tendo wurde 1968 als Tochter eines Yakuza-Chefs in Osaka geboren. Als Kind wurde sie wegen ihres Gangster-Vaters gehänselt. Als Teenager geriet auch sie selbst auf die schiefe Bahn und musste achte Monate in einem Erziehungsheim verbringen. Mit 34 begann sie, ihre Lebensgeschichte mit „Ich, Tochter eines Yakuza“ niederzuschreiben, die vor allem ihre Erfahrungen mit vielen gewalttätigen Liebhabern beinhaltet. Im Jahr 2004 wurde „Ich, Tochter eines Yakuza“ veröffentlicht. Entgegen erster Befürchtungen reagierte die Yakuza sogar positiv auf Shoko Tendos Autobiographie.

Derzeit verdingt sich Shoko Tendo als Autorin und Zeitungsredakteurin und absolviert eine Ausbildung zur Schnitzerin.

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Ins Deutsche übersetzte Werke und hier rezensiert:

Donnerstag, 14. Juni 2012

„Träume fischen“ von Minako Oba

Minako Obas „Träume fischen“ ist ein etwas eigenwilliges Gespinst aus Vergangenheit, Gegenwart, Traum und Mythos. Die zentrale Figur ist Mayuko, die zusammen mit den Nachbarssöhnen Ton und Haku aufgewachsen ist. In Rückblenden erinnert sich Mayuko an Szenen aus der gemeinsamen Kindheit, in denen das Dreiergespann japanische Mythen nachspielt. Mayuko erhält freilich die Rolle der Prinzessin, die gerettet werden muss.

Obwohl man vermuten könnte, Mayuko würde einen der Nachbarssöhne ehelichen, kommt es anders: Die Männer erwählen sich ihre Ehefrauen (eine Schauspielerin bzw. eine Bardame) selbst, während Mayuko eine vernünftig wirkende, arrangierte Ehe eingeht. Haku zieht schließlich zusammen mit seiner Ehefrau in das Haus seiner Eltern, während Mayuko als einzige Tochter ohnehin zusammen mit dem Ehemann im Elternhaus wohnt. So werden beide wieder zu Nachbarn. Doch auch ihre jeweiligen Ehepartner finden zueinander: Nach einem Busunfall mit Todesfolge wird offenbar, dass Mayukos Ehemann und Hakus Ehefrau eine Affäre hatten. Einer Annäherung von Mayuko und Haku steht nun nichts mehr im Wege.

In zweiter Generation wächst währenddessen Mayukos Tochter mit Hakus Sohn auf. Die beiden nehmen den direkten Weg und werden ein unzertrennliches Liebespaar.

Ohne wirklichen Höhepunkt verschränken sich die Rückblenden mit der Gegenwart, in die Mayukos Träume eingebunden werden. Noch nicht einmal der Tod der untreuen Ehepartner löst großmächtig negative Gefühle aus. Und auch Mayukos Haltung, was ihre (finanzielle) Unabhängigkeit betrifft, ist nicht so recht nachvollziehbar. Ich habe mir recht schwer getan mit „Träume fischen“, auch wenn die Autorin Hinweise im Klappentext zur Deutung gibt: Die Welt ist geprägt von Einsamkeit und Verlassenheit. Träume haben die Funktion, die Verflechtungen der Welt herzustellen. Deswegen gilt es für die Menschen, möglichst viele dieser Träume zu „fischen“.

Doch irgendwie hat man nicht den Eindruck, dass die Träumerin Mayuko ihre Einsamkeit so recht reduzieren kann...

Mittwoch, 13. Juni 2012

„Des Grases Blumen“ von Takehiko Fukunaga

„Denn alles Fleisch, es ist wie Gras
und alle Herrlichkeit des Menschen
wie des Grases Blumen.
Das Gras ist verdorret
und die Blume abgefallen.“

Diese Passage aus dem ersten Petrusbrief stand Pate für Takehiko Fukunagas Roman „Des Grases Blumen“. Bezeichnenderweise verwendete Brahms dieses Bibelzitat auch in „Ein deutsches Requiem“, während Takehiko Fukunaga mit seinem Werk eine Totenfeier für seinen gestorbenen Helden Shiomi ausrichtete:

Der Ich-Erzähler, der ebenso wie der Autor Sanatoriumspatient ist, lernt Shiomi kennen, der sich zu einer geradezu selbstmörderischen Lungenoperation entschließt. Shiomi überlebt den Eingriff nicht. Doch er hinterlässt dem Ich-Erzähler zwei Hefte, in denen er die tragischen Geschichten seiner zwei großen Lieben beschreibt.

Mit 18 verliebt sich Shiomi in seinen Klassenkameraden Fujiki. Doch der fühlt sich nicht wohl, ob der Avancen. Denn Shiomi überhöht das Ideal der Liebe im Platon’schen Sinne und Fujiki ist überfordert mit dem Anspruch, dass die gemeinsame, wahre Liebe ins reine Land der Ideen führt.

Mitte 20 erlebt Shiomi die zweite große Liebe, die ebenfalls enttäuscht wird. Shiomi verliebt sich in Fujikis Schwester Chieko. Zunächst scheint sich das zarte Liebespflänzchen tatsächlich entwickeln zu wollen. Doch Shiomi und Chieko huldigen beide in geradezu extremer Weise unterschiedlichen Göttern: Shiomis Götze ist die eigene Einsamkeit, Chieko verehrt den Gott des Christentums. Eine Versöhnung der Gegensätze scheint unrealisierbar.

Zwar klingt die Thematik sehr düster, doch kurz vor der fatalen Operation erklärt Shiomi

„Die Krankheit ist nicht das Problem! Leben bedeutet etwas vollkommen anderes, mit gesund oder krank hat das nichts zu tun. Es ist eine Art rauschhaftes Gefühl, ein Zustand, bei dem alles in dir – Vernunft, Emotionen, Intellekt, Leidenschaft – brodelt und brennt und jederzeit überquellen kann, das ist Leben!“ (S. 28f.)

… und singt damit ein Loblied auf die ekstatische, kompromisslose Liebe, die eben das Leben ausmacht. Mag sein, dass sich „Des Grases Blumen“ in Japan insbesondere deswegen als Jugendroman besonderer Beliebtheit erfreut.

Doch leider verdorrt das Gras und die Blumen fallen ab – der Tod ist unabwendbar.

„Des Grases Blumen“ würde ich als einen wahren Geheimtipp der japanischen Literatur bezeichnen. Der Roman präsentiert nicht nur tragische Liebesgeschichten, sondern lädt diese auch noch intellektuell auf. Bleibt zu hoffen, dass bald mehr von Takehiko Fukunagas Werke ins Deutsche übersetzt werden.

Dienstag, 12. Juni 2012

Takehiko Fukunaga

Takehiko Fukunaga gilt als einer der wichtigsten Nachkriegsautoren Japans. Er wurde 1918 in Chikushino in der Präfektur Fukuoka geboren. Im Alter von sechs Jahren verlor er seine Mutter. Über diesen Verlust kam Takehiko Fukunaga kaum hinweg.

Nach dem Studium der Romanistik an der Universität Tokio begründete er 1942 zusammen mit Shuichi Kato und Shinichiro Nakamura den Literaturzirkel „Matinée Poetique“. Er übersetzte unter anderem Werke von Sartre und Baudelaire ins Japanische. Aufgrund seines angeschlagenen Gesundheitszustandes wurde er im Krieg nicht eingezogen, was in ihm ein Gefühl des Verrats seiner Generation gegenüber auslöste. Aus der Ehe mit der Dichterin Akiko Harajo ging 1945 der gemeinsame Sohn Natsuki Ikezawa hervor, der später ebenfalls Autor wurde. Da Takehiko Fukunaga an Tuberkulose erkrankt war, verbrachte er die Jahre 1946 bis 1953 in Sanatorien.

Takehiko Fukunagas Werke sind vom französischen Symbolismus beeinflusst und beschreiben die Innenwelt mit einer Vermischung aus Gegenwart und Vergangenheit, Traum und Realität, Liebe und Tod. Doch der Autor schrieb auch Kriminalromane unter dem Pseudonym Kada Reitaro (Anagramm aus „Tare daro ka“ = „Wer wird es wohl sein?“) und als Funada Gaku (Anagramm aus „Fukunaga da“ = „Das ist Fukunaga!“) verfasste er Science-Fiction-Erzählungen.

1977 ließ sich Takehiko Fukunaga taufen. 1979 starb der Autor.

Nach seinem Tod erschien eine 20-bändige Gesamtausgabe der Werke Takehiko Fukunagas.

Interessante Links:

Ins Deutsche übersetzte Romane und hier rezensiert:

Montag, 11. Juni 2012

„Der kluge Regenbaum“ von Kenzaburo Oe

Der Band „Der kluge Regenbaum“ enthält vier Erzählungen des Literaturnobelpreisträgers Kenzaburo Oe. Kernstück bildet darin „Der Sündenbock“ mit rund 110 Seiten Umfang: „Der Sündenbock“ und Ich-Erzähler ist auf der Flucht. Denn er mag seinem Schicksal als Sündenbock entfliehen, das ihm in seinem japanischen Heimatdorf zugeschrieben wurde. Deswegen taucht er in Mexiko City unter. Als er auf einen japanischen Professor in der Fremde trifft, erzählt er ihm seine Lebensgeschichte, die man dem Protagonisten abnehmen oder in Zweifel ziehen kann. Interessant ist an „Der Sündenbock“ vor allem die Erzählweise als Monolog, der auch die Beobachtung des Verhaltens des Professors und des Rotlichtmilieus von Mexiko City einschließt.

„Der kluge Regenbaum“ ist die kurze Geschichte über eine Party auf Hawaii. Teilnehmer eines internationalen Symposiums werden in eine Villa geladen, die als Sanatorium für psychisch Kranke konzipiert wurde. Doch irgendetwas geht an diesem Abend nicht mit rechten Dingen zu…

„Angui, das Himmelsungeheuer“ war Kenzaburo Oes erste Erzählung, die die Behinderung eines Neugeborenen thematisierte und erschien sechs Monate nach der Geburt von Kenzaburo Oes behindertem Sohn Hikari (auch enthalten in dem Erzählband „Das verhasste Alter“): Nach dem Tod seines anscheinend behinderten Kindes fällt ein Komponist in eine schwere Depression und in den Wahn, ein Wesen aus dem Himmel namens Angui komme ihn hin und wieder besuchen. Der Ich-Erzähler, ein Student, ergattert den einträglichen Nebenjob, mit dem Komponist durch die Stadt zu streifen und Erledigungen für ihn zu übernehmen. Er wird dabei Zeuge eines dieser dubiosen Besuche und kommt dem Komponisten langsam auf die Schliche, was es mit den Erscheinungen auf sich haben könnte.

„Vom Flusspferd gebissen“ wurde ein vager Bekannter des Ich-Erzählers, als er in Uganda weilte. Dies liest der Erzähler in einer Zeitung und lässt seine Gedanken schweifen, wie er Briefkontakt zu diesem Bekannten aufgenommen hatte, der sich in der links-radikalen Szene bewegte – und eine bestimmte Nähe zur Funktion der Flusspferde im Ökosystem hatte…

Der Erzählband „Der kluge Regenbaum“ umfasst ein ganzes Spektrum der Themen Kenzaburo Oes: Behinderung, Depression, die dörfliche Gemeinschaft und Auseinandersetzung mit Extremismus. Meine Lieblingserzählung bleibt jedoch „Angui, das Himmelsungeheuer“, die trotz des schweren Themas eine fantastisch anmutende Leichtigkeit ausstrahlt.

Sonntag, 10. Juni 2012

„Fremde Familie“ von Nobuo Kojima

Der weitaus autobiographische Roman „Fremde Familie“ von Nobuo Kojima setzt ein, als es in der Familie Miwa zur Gewohnheit geworden ist, dass der junge US-amerikanische Soldat George im Haushalt ein und aus geht. Der Hausherr Shunsuke steht den einstmaligen Kriegsgegnern positiv gegenüber, insbesondere da er selbst bereits einen Aufenthalt in den USA hinter sich hat. Doch Georges Anwesenheit untergräbt Shunsukes Autorität als Oberhaupt der Familie – insbesondere als Shunsuke durch die Haushälterin erfährt, dass seine Ehefrau Tokiko und George ein Techtelmechtel eingegangen sind.

Und so offenbart sich ein Blick hinter die zerrüttete Ehe von Shunsuke und Tokiko: Tokiko mangelt es an Respekt für ihren Ehemann, von dem sie ein klassisch männliches Verhalten erwünschen würde. Doch Shunsuke wirkt in ihren Augen wie ein Schwächling, der sich hinter seinen Übersetzungsarbeiten versteckt und so gar nicht resolut agiert.

Auf Tokikos Drängen soll die Familie einen Neubeginn in einem neuen Haus im westlichen Stil wagen. Doch Shunsukes Wunsch, im Wohnzimmer einen Sammlungspunkt für die Familienmitglieder zu schaffen, scheitert in dem weitläufigen Gebäude. Und als Tokiko Brustkrebs attestiert wird, kommt ohnehin alles anders als geplant.

„Fremde Familie“ liest schon allein wegen der Themen alles andere als leicht: Krebskrankheit, Selbstzweifel, Respektlosigkeit, Geschlechterrollen, die nicht erfüllt werden können und eine Selbstentblößung des Autors, die geradezu schmerzhaft ist. Doch auch Nobuo Kojimas Schreibstil trägt dazu bei, dass man beim Lesen schlecht vorwärts kommt. Sprecherrollen, die nicht eindeutig zugewiesen werden können, und abrupte Szenenwechsel lassen den Lesefluss immer wieder kurz stocken. Daher müht man sich als Leser mindestens genauso ab wie der arme Shunsuke, der Harmonie sucht und doch immer wieder zurückgeworfen wird.

Freitag, 8. Juni 2012

Nobuo Kojima

Der 1915 geborene Nobuo Kojima begann sich schon sehr früh für japanische und westliche Literatur zu interessieren. Als Student der Anglistik schrieb er für Zeitungen und Zeitschriften und gehörte einem Literaturzirkel an, aus dem unter anderem Autoren wie Shinichiro Nakamuro hervorgingen. Nach dem Studium lehrte er an einem Gymnasium, bis er eingezogen und nach Nord-China geschickt wurde. 1946 nahm er zunächst eine Lehrtätigkeit in Gifu an, unterrichtete dann an der Meiji-Universität Literatur.

Obwohl Nobuo Kojima bereits früh mit dem Schreiben begonnen hatte, gelang ihm der Durchbruch erst 1954 mit der Kurzgeschichtensammlung „Amerikanische Schule“, für die er mit dem Akutagawa-Literaturpreis ausgezeichnet wurde. Mit einem Stipendium der Rockefeller Foundation verbrachte er 1957 ein Jahr in den USA, wo er sich mit US-amerikanischen Autoren beschäftigte und einige Werke ins Japanische übersetzte. Als bedeutendster Roman Nobuo Kojimas gilt „Fremde Familie“, für den er 1965 den Tanizaki-Literaturpreis erhielt. 2006 erschien sein letztes Buch kurz vor seinem Tod im selben Jahr.

Interessante Links:

Ins Deutsche übersetzte Romane/Erzählungen und hier rezensiert:

Donnerstag, 7. Juni 2012

„Talisman“ von Yoko Tawada

In Yoko Tawadas „Talisman“ versammeln sich 17 Texte, von denen sich „Das Fremde aus der Dose“ und „Talisman“ auch in dem Büchlein „Das Fremde aus der Dose“ finden lassen. Der Leser darf die Autorin bei einem Ausflug nach Rothenburg ob der Tauber begleiten, wo sie auf rätsel- und bretzelhafte Brote trifft. Dort liefert Yoko Tawada auch eine Erklärung für das Phänomen der alles fotografierenden, japanischen Touristen: Der japanischen Sage nach sollen Wanderer im Gebirge, die in der Einsamkeit und Weite der Landschaft das Gefühl bekommen haben, sich selbst zu verlieren, durch einen mit den Händen gebildeten Ring geblickt haben, um sich ihrer selbst zu versichern. Völlig überfordert mit europäischen Altstädten hätte diese Funktion nun der Fotoapparat übernommen.

Yoko Tawada bereist auch den Bauch des Gotthards, doch weder Como noch Locarno können sie begeistern; es zieht sie ausgerechnet nach Göschenen, denn der Klang des Namens erinnert so schön an Stein. Auf den Lofoten lässt sie ihre Gedanken von der norwegischen Kirche (= Kirke) zur Kirke der griechischen Mythologie wandern.

Doch in „Lektüre in einer S-Bahn“ erfährt der Leser auch mehr über Yoko Tawadas Heimatland Japan: Die S-Bahn ist der bevorzugte Platz für die Buch-Lektüre und wer neben einem Lesenden einschläft, soll im Traum der Hauptfigur aus dessen Buch begegnen. In „Das Tor des Übersetzers oder Celan liest Japanisch“ wird auf amüsante Weise illustriert, wie Celan in Ideogramme übersetzt werden kann.

Mit „Das Wörterbuchdorf“ entführt Yoko Tawada gar in eine völlig fantastische Welt, die einem Wörterbuch entsprungen ist. Dieses „Buch im Buch“ ist sowohl im japanischen Original als auch in der deutschen Übersetzung abgedruckt und wie vom Konkursbuchverlag gewohnt besonders liebevoll gestaltet.

Damit illustriert „Talisman“ eine schönen, abwechslungsreichen Strauß der verschiedenen Ansätze der Autorin: Fremdheit im Ausland, eine außergewöhnliche Beobachtungsgabe des für Einheimische „Normalen“, Lautmalereien, Sprachspiele, Fantastik und sogar ein bisschen Übersetzungstheorie.

Montag, 4. Juni 2012

„Tagebuch. Das Jahr 1937“ von Kafu Nagai

Wer wollte nicht schon einmal in den Alltag eines hauptberuflichen, berühmten Schriftstellers hineinschnuppern? Mit „Tagebuch. Das Jahr 1937“ erhält man die einmalige Gelegenheit den Autor Kafu Nagai zu begleiten. Mit 1937 hat sich die Übersetzerin Barbara Yoshida-Krafft ein ganz besonderes Jahr im Leben des passionierten Tagebuchschreibers Kafu Nagai ausgesucht: Sein Roman „Romanze östlich des Sumidagawa“ ist gerade erschienen. Seine Mutter liegt im Sterben, was Erinnerungen an den Streit mit seiner Familie heraufbeschwört. Und das Grollen des Krieges wird immer lauter. Aus Protest lehnt Kafu Nagai offizielle Ehren ab. Doch auch ansonsten ist der Autor eher verschlossen: Selbst Privatleuten mag er die Bücher nicht signieren. Klingelt es an der Tür wird vorsichtshalber nicht aufgemacht, es könnte ja ein nerviger Journalist ein Interview machen wollen.

Viel wohler als zu Hause scheint sich Kafu Nagai zu fühlen, wenn er sich in Tokio herumtreibt. So besucht und fegt er die Gräber von Berühmtheiten und bekannten Prostituierten und macht Fotos seiner Stadt, die er selbst entwickelt. Ins Freudenviertel zieht es ihn sowohl privat als auch zur Recherche. Doch leider scheitert er an der Erzählung, die er gerne über das Rotlichtmilieu geschrieben hätte. Und dann gibt es noch ein, zwei Stammkneipen, in denen er sich mit seinen Bekannten regelmäßig trifft.

Mit geradezu distanzierten, knappen Worten beschreibt Kafu Nagai seine Tage. Meist beginnen die Einträge, die zur Veröffentlichung bestimmt waren, mit der Wetterbeschreibung. Auch wenn manche Tage so gar nichts Neues bringen, zieht Kafu Nagais Alltag den Leser in seinen Bann: Ein authentisches Stück Zeitgeschichte offenbart ein Tokio auf dem Weg in die Moderne.

Samstag, 2. Juni 2012

Kafu Nagai

Kafu Nagai (bürgerlich Sokichi Nagai, geboren 1879) stammte aus einer gut begüterten Samurai-Familie. Sein Vater betätigte sich unter anderem als Kaufmann. Im Alter von 17 begann er sich für chinesische Poesie zu interessieren. In diese Zeit fallen auch seine ersten Besuche des Rotlichtviertels von Tokio. 1898 nahm er sein Französisch-Studium auf und veröffentlichte erste Kurzgeschichten.

Sein Vater schickte ihn von 1903 bis 1908 ins Ausland: Er reiste durch die USA, arbeitete zeitweise in New York für eine japanische Bank, und kehrte nach Besuchen in Paris, Lyon und London nach Japan zurück. Unter Einfluss seiner Reiseerfahrungen publizierte er „Amerikanische Geschichten“ und „Französische Geschichten“.

Nach dem Tod seines Vaters im Jahr 1912 ließ er sich mehrmals scheiden, lebte mit Mätressen zusammen oder zog zwischenzeitlich gleich ganz in ein Geisha-Haus. Bedingt durch seinen unschicklichen Lebenswandel kam es zum Bruch mit der Familie.

Während der Kriegszeiten publizierte Kafu Nagai – unter anderem aus Gründen der Zensur – nur wenig, zeigte jedoch in leisem Protest seine Abneigung gegen die Regierung und ihre Institutionen.

Kafu Nagi starb 1959 in Folge seines jahrelangen Magenleidens.

Der Autor war fasziniert von dem alten Edo und stand der Modernisierung Tokios kritisch gegenüber, wobei er selbst ein Faible für westliche Kleidung und westlichen Lebensstil hatte. Seine Werke geben insbesondere Einblick ins Leben im Freudenviertel Tokios. Zudem war er ein passionierter Tagebuch-Schreiber.

Interessante Links:


Ins Deutsche übersetzte Romane/Kurzgeschichten/Tagebücher und hier rezensiert:

Freitag, 1. Juni 2012

„Liebesdurst“ von Yukio Mishima

Etsuko ist die Protagonistin in Yukio Mishimas Roman aus dem Jahr 1949, die den „Liebesdurst“ verspürt, der sich nicht stillen lässt: Ihr inzwischen verstorbener Ehemann hatte primär nur Spott für sie übrig. Spott, den sie für ihre Anhänglichkeit trotz seiner außerehelichen Affäre erntete. Erst als der Ehemann mit Typhus im Sterben liegt, scheint Etsuko die Ehe vollkommen. Endlich kann sie sich für den Mann aufopfern und hat gleichzeitig vollkommene Macht über seine letzten Tage.

Nach dem Tod des Ehemanns zieht die Witwe Etsuko aufs Land zu ihrem Schwiegervater. Der hat eindeutige Absichten: Die attraktive, jedoch distanzierte Etsuko soll seine Geliebte werden. Leicht angewidert lässt sie seine Annäherungsversuche zu und lebt angeödet und gelangweilt von Tag zu Tag. Wenn da nicht der junge Hausangestellte Saburo wäre. Der ist zwar ein rechter Dorftrampel, aber der durchtrainierte Körper des 18-Jährigen hat Etsuko in den Bann geschlagen.

Die weiteren Familienmitglieder im Haushalt zerreißen sich nun nicht mehr nur ihr Maul darüber, dass Etsuko den alten Herrn beglückt, sondern auch dass sie sich in den jungen Kerl verschossen hat. Der wiederum ist ein bisschen stupide und merkt nicht, wie er von seiner Herrin angehimmelt wird. Schließlich nimmt eine Tragödie ihren Lauf.

Analog zu Yukio Mishima, der die Ansicht vertrat, dass alles Handeln seinen Sinn erst im Tod findet, müsste man auch behaupten, dass jeder Roman vom Ende her zu beurteilen ist. Und leider liegt hier die Schwäche des Werks: Die Wendungen zum Schluss sind recht unnachvollziehbar und plötzlich. Da sollte wohl partout noch ein tragisches Ende her.

Trotzdem: Die Mishimas Charaktere werden so ausgefeilt illustriert, dass man sie geradezu bildlich vor Augen hat. Da ist der knochige alte Schwiegervater, der sich nach seinem Rückzug aus dem Berufsleben als Führungskraft in seiner Autorität untergraben fühlt. Sein ältester Sohn und dessen Ehefrau, die sich ganz als überlegene Intellektuelle fühlen, aber außer hohlen Reden nichts zustande bekommen. Die Landpomeranze Miyo, die von Saburo schwanger wird. Saburo selbst, der zwar ein Adonis vom Land ist, aber alles andere als helle wirkt. Und natürlich Etsuko mit dem ihr eigenen, psychopathischen Drang, den Liebesdurst zu stillen.