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Dienstag, 1. Mai 2012

„Ein Brief aus der Wüste“ herausgegeben von Siegfried Schaarschmidt

Neben Gedichten von Hiroshi Kawasaki und Makoto Ooka finden sich in dem von Siegfried Schaarschmidt herausgegebenen Band „Ein Brief aus der Wüste“ sechs Erzählungen namhafter japanischer Autoren. Abgerundet wird dies durch Kurzbiographien der vorgestellten Schriftsteller und einem 30-seitigen Nachwort des Herausgebers zur modernen japanischen Literatur (freilich ist dieses nicht aktuell bis zu den heutigen, populären Autoren, da der Band bereits in den 80er Jahren veröffentlicht wurde).

„Ein Brief aus der Wüste“ ist das Sujet von Yasushi Inoues kurzer Erzählung aus dem Jahr 1983: Den Protagonisten hat es in ein Örtchen irgendwo in der Wüste von Takla Makan verschlagen. Nachdem ihm ein Soldat angeboten hat, seine Briefe mitzunehmen, damit sie baldmöglichst in Japan ankommen, beginnt der Ich-Erzähler mit dem Schreiben. Doch den Brief braucht er nicht abzuschicken. Der Adressat ist H. F., ein verstorbener Jugendfreund, der dem Protagonisten mit einem Gedicht die Lust am Schreiben näher brachte.

Shinchiro Nakamuras Erzählung „Ferne Musik“ behandelt eine geradezu metaphysische Erfahrung eines Tempelbesuchs: Ein alter Mann erinnert sich unwillkürlich daran, diesen Tempel bereits als Kind aufgesucht zu haben. Seine Erinnerungen überlagern sich mit der Gegenwart, werden ergänzt durch halluzinatorische Wahrnehmungen.

 „Das Kaninchensyndrom“ erfasst eine Familie in der Nachkriegszeit. Shotaro Yasuoka erzählt hier die amüsante Geschichte, wie der Familienvater mit dem Verkauf von Angorawolle sein Einkommen verbessern will. Die zu diesem Zweck im Haus gehaltenen Angorakaninchen stellen den Haushalt gehörig auf den Kopf. Und der Familienvater wird den Kaninchen immer ähnlicher…

„Der Kirschbaum“ ist der Auslöser in Otohiko Kagas Erzählung, dass sich der Protagonist an einen verstorbenen Jugendfreund erinnert. Der Ich-Erzähler treibt sich im Stadtviertel, in dem er aufgewachsen ist, herum. Die alten Häuser haben bereits fast alle modernen Gebäuden weichen müssen. Doch ein Kirschbaum sieht so aus wie der, der auf dem Grundstück der Eltern seines Freundes stand. Dies ist der Anlass für den Protagonisten über die Kindheitsjahre nachzusinnen.

Unter Hiroshi Kawasakis Gedichten ist „Der Hilfsarbeiterausweis“ vielleicht das eindrücklichste: Wie man vom Beinahe-Kamikaze-Flieger zum Hilfsarbeiter auf einem US-amerikanischen Flugzeugträger wird.

Von Makoto Ooka sind vier Gedichte vertreten. Das längste unter ihnen namens „So sag’ doch was, ich bitte dich!“ thematisiert die Katastrophe der Atombombenabwürfe über Japan.

„Der Kommandeur“ von Makoto Oda ist die Geschichte dreier Generationen: Yamana hat sich während des zweiten Weltkriegs unter seinen Untergebenen den Ruf erarbeitet, ein Korporal des Teufels zu sein. Namba, dessen Vater Yamanas Kommandeur war, versucht einem rätselhaften Vorfall in seiner Kindheit auf die Spur zu kommen. Und dann ist da noch Yamanas Sohn, der von Namba an der Schule unterrichtet wird und sich während der Studentenunruhen der 60er Jahre gegen alle Autoritäten auflehnt.

Kenji Nakagamis „Der Bergasket“ handelt von der recht wunderlichen, von übersinnlichen Phänomenen begleiteten Wanderung des cholerischen Protagonisten zwischen zwei Dörfern. Ob er hier Läuterung erfahren wird?

Bemerkenswert an „Ein Brief aus der Wüste“ ist das Nachwort mit vielen interessanten Hintergrundinformationen zur japanischen Literatur ab ca. 1900. Ein bisschen irritiert jedoch die Biographie von Kenji Nakagami: Da wird verklausuliert und euphemistisch von einer „der ältesten ausgewiesenen Kultur“ und einer „’Sonderwelt’ innerhalb der allgemein japanischen“ (jeweils S. 126) gesprochen – und das Kind namens Burakumin, einer Diskriminierung ausgesetzter Minderheit, nicht beim Namen genannt.

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