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Sonntag, 1. April 2012

„Wogen“ von Taeko Tomioka

Die feministische Autorin Taeko Tomioka dreht klassische Verhaltensmuster und Geschlechterrollen mit ihrem Roman „Wogen“ um: Die Protagonistin und Ich-Erzählerin Kyoko geht fremd. Doch sie sucht weder eine Schulter zum Anlehnen, noch Verständnis, noch Sympathie – ihr geht es ausschließlich um Sex. Ihren Liebhaber, den sie nur „den Mann“ nennt, reduziert sie nach und nach auf sein Geschlechtsteil – Kommunikation ist mit ihm ohnehin nicht wirklich möglich.

„Der Mann“ namens Katsumi macht während der Liaison Erfahrungen, die in einem klassischen Geschlechterverhältnis eher den Frauen vorbehalten sind: Er fühlt sich inferior hinsichtlich seines Bildungsgrades, verdient weniger als seine Liebhaberin und muss sich von ihr mangels Geld einladen lassen, überlässt daher Kyoko Entscheidungen und ist der Anhänglichere der beiden. Im Gegensatz dazu führt Katsumi eine Ehe, die von einer klassischen Rollenverteilung und einem großen Sicherheitsbedürfnis geprägt ist.

Doch auch Kyokos Umfeld wird porträtiert. Wie in Wogen brechen neue Ereignisse auf die Figuren ein: Die allein stehende Kumiko sieht in Kyoko ihr Vorbild. Doch ist sie fähig, so unabhängig wie die Protagonistin zu leben? Yokos Ehemann zieht sich immer mehr von ihr zurück. Kann sie ihn weiterhin respektieren? Und Amiko lebt zunächst mit ihrem Mann und ihren Kindern in einer Familienidylle. Wird das Glück halten?

Das Thema der Wogen wird aber auch im Setting aufgenommen: Wie Wellen türmen sich die Hügel des gemeinsamen Wohnorts auf, in den immer mehr Einwohner geschwemmt werden. Genauso unstet wie das wogende Meer und die sich ständig verändernde Stadt verlaufen die Schicksale der Figuren: In der modernen Gesellschaft stehen die alten Rollenvorstellungen zur Disposition. Die alten Modelle funktionieren nicht mehr, doch ein neues verbindliches Muster ist nicht in Sicht. Die Ehe hat nicht mehr den Charakter einer Versorgungsgemeinschaft; Frauen können auch wirtschaftlich selbstständig agieren. Die neuen Optionen sind vielfältig, daher müssen sich die Menschen selbst verorten und ihr Verhalten neu aushandeln. Wie und ob sie auf dem eingeschlagenen Weg ihr Glück finden, ist offen.

Auch Taeko Tomiokas Erzählstil steht ganz im Zeichen der Wogen: Einzeln schwappen die Episoden über die Seiten, ohne auf einen bestimmten Höhepunkt zuzustreben. Gleichrangige Wellen reihen sich vielmehr aneinander.

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