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Montag, 31. Oktober 2011

Hisako Matsubara

Hisako Matsubara wurde 1935 als Tochter des obersten Shinto-Priesters von Kyoto geboren. Nach dem Abitur schlug sie eine akademische Laufbahn ein: Sie studierte an der International Christian University in Tokio Vergleichende Religions- und Literaturwissenschaft und erwarb den Bachelor of Arts. Anschließend ging sie in die USA an die Pennsylvania State University, wo sie mit dem Master of Arts abschloss. Nach Studienaufenthalten in Zürich, Marburg und Göttingen promovierte sie 1970 in Philosophie an der Ruhr Universität Bochum mit ihrer Arbeit „Diesseitigkeit und Transzendenz“.

Sie ließ sich in Köln nieder und verdingte sich als Journalistin und Übersetzerin. Die Beschäftigung mit Heinrich Heine weckte Hisako Matsubaras Interesse an der deutschen Literatur. 1969 übersetzte sie die japanische Sage „Die Geschichte vom Bambussammler und dem Mädchen Kaguya“ ins Deutsche, ihre Schwester Naoko Matsubara erstellte die Illustrationen für das Buch. Ihre wöchentliche Kolumne für Die Zeit wurde als „Blick aus Mandelaugen“ als Buch publiziert. In den 70er und 80er Jahren veröffentlichte sie mehrere Romane, die sie auf Deutsch geschrieben hatte.

Hisako Mitsubara ging Mitte der 80er Jahre zurück in die USA und lebt derzeit in Los Altos.

Interessante Links:

Hier rezensiert:

Auf Deutsch verfasste/ins Deutsche übersetzte Werke:
  • Die Geschichte vom Bambussammler und dem Mädchen Kaguya - Taketori Monogatari
  • Raumschiff Japan. Realität und Provokation

Sonntag, 30. Oktober 2011

„Die Brandung“ von Yukio Mishima

„Die Brandung“ von Yukio Mishima gilt als Adaption der antiken, griechischen Liebesgeschichte von „Daphnis und Chloe“, die unter Schäfern aufwachsen. Yukio Mishimas Protagonisten sind Shinji und Hatsue, ein Fischer und eine Taucherin. Damit verlegt Mishima die Handlung ins japanische Fischermilieu.

Als Hatsue, die fern ihres Elternhauses aufgewachsen ist, auf ihre kleine Heimatinsel zurückkehrt, verliebt sich der junge, arme Fischer Shinji auf den ersten Blick in die schöne und uneigennützige Hatsue. Auch Hatsue fühlt sich von dem ehrlichen, bodenständigen und sympathischen Shinji angezogen.

Doch auch Yasuo, Sohn reicher Eltern, hat sein Auge auf Hatsue geworfen und wähnt sich schon als deren zukünftiger Ehemann. Als Chiyoko, die wiederum in Shinji unglücklich verliebt ist, Yasuo davon berichtet, Shinji und Hatsue gemeinsam gesehen zu haben, bringt Yasuo das Gerücht unter die Leute, Shinji hätte Hatsue die Unschuld geraubt. Hatsues Vater ist daraufhin außer sich und lässt seine Tochter nicht mehr aus dem Haus.

Die beiden Konkurrenten Shinji und Yasuo werden auserkoren, auf einem Frachtschiff Dienst zu tun und sich hier zu beweisen.

Wie auch bei „Daphnis und Chloe“ kommt auch bei „Die Brandung“ der Schilderung der Natur und des naturverbundenen Arbeitens eine große Rolle zu. Das harte Dasein als Fischer wird als Bestimmung und nicht als Last empfunden. Dasselbe gilt für die Taucherinnen: Die körperliche Arbeit vereint die Frauen zu einer Gemeinschaft und gibt ihnen eine Aufgabe auch außerhalb des familiären Haushalts.

„Die Brandung“ spielt nach dem Koreakrieg in den 50er Jahren. Auf der Heimatinsel von Shinji und Hatsue sind die alten patriarchalischen Strukturen noch gefestigt und moderne Bequemlichkeiten wie ein Kinobesuch führen auf Schulausflügen in die Großstadt zu Verwunderung und Begeisterung. Zudem ist eine große Verbundenheit zu den Göttern spürbar: Die Götter werden schon dafür sorgen, dass Shinji und Hatsue ein Happy End vergönnt ist.

Freitag, 28. Oktober 2011

„1Q84“ von Haruki Murakami

Die Fitnesstrainerin Aomame geht einem gefährlichen Zweitjob nach: Sie ist Profi-Killerin und gerade auf dem Weg, einen Mann ins Jenseits zu befördern, als sie unversehens vom Jahr 1984 ins Jahr 1Q84 transportiert wird. Die Welt in dieser anderen Realitätsebene ähnelt der gewohnten sehr stark – doch am Himmel stehen zwei Monde und die illustre Sekte der Vorreiter treibt ihr Unwesen. Aomame wird beauftragt, dem gefährlichen und gut abgeschirmten Sektenführer das Leben zu nehmen.

Der zweite Erzählstrang wird aus der Sicht von Tengo erzählt, der den Auftrag erhält, als Ghostwriter den Erstlingsroman von Fukaeri zu überarbeiten. Fukaeri ist aus der Gemeinschaft der Vorreiter ausgebrochen und schreibt mit „Die Puppe aus Luft“ einen fantastischen Roman über zwergenhafte Gestalten namens „Little People“. Die Veröffentlichung des Romans wird wirtschaftlich zu einem großen Erfolg, doch reagieren die Vorreiter äußerst empfindlich. Sie setzen Ushikawa, einen unangenehmen Privatdetektiv auf Tengo an. Der Verleger der „Puppe aus Luft“ verschwindet spurlos und Fukaeri hält sich versteckt.

Knapp 1.600 Seiten umfassen die drei Bücher von „1Q84“, die in zwei Bänden veröffentlicht sind. Im dritten Buch erhält Ushikawa einen eigenen, dritten Erzählstrang. Ushikawa, der als Figur bereits in Haruki Murakamis Roman „Mister Aufziehvogel“ einen Auftritt hatte, verfolgt Aomame und heftet sich deshalb an Tengos Fersen, da er die äußerst private, romantische Verbindung der beiden aufdeckt.

Gemessen an der hohen Seitenzahl geschieht in „1Q84“ nicht allzu viel. Was in den ersten beiden Büchern nicht viel ausmacht, da jeder Exkurs interessant und typisch Murakami ist. Etwas zäh beginnt jedoch das dritte Buch mit einer Rekapitulation der vergangenen Geschehnisse und den vorerst redundanten Informationen, die Ushikawa in Erfahrung bringt. Zudem besteht das dritte Buch vor allem aus Warten: Tengo wartet am Krankenbett seines komatösen Vaters auf eine Änderung des Zustands des Patienten. Aomame wartet darauf, Tengo endlich wieder zu sehen. Und Ushikawa wartet in seinem Versteck, dass ihm Aomame in die Falle geht. Natürlich gibt es auch genügend spannende Momente, doch insgesamt zieht sich das dritte Buch doch sehr.

Und auch auf die Gefahr hin, für spitzfindig erklärt zu werden: Der sonst so genaue Haruki Murakami, der im dritten Buch sogar so weit geht, die Wirkungsweise eines Schwangerschaftstests zu erklären, begeht den Recherchefehler, die unbefleckte Empfängnis als Schwangerschaft ohne Geschlechtsverkehr zu halten. Unbefleckt ist die Empfängnis nicht aus Keuschheit, sondern weil die werdende Mutter selbst ohne Erbsünde geboren ist.

Leider empfand ich das Ende von „1Q84“ ein bisschen zu lapidar, was trotz der rührenden Liebesgeschichte zwischen Aomame und Tengo ein etwas schales Licht auf das 1.600-seitige Werk wirft. Zudem noch eine kleine Unterstellung: Das Thema rund um die „Little People“ und die Sekte der Vorreiter erinnert doch etwas arg an „Wilde Schafsjagd“. Eine mystische Macht nimmt Besitz von einem Menschen, um eine schlagkräftige Geheimorganisation aufzubauen. Mein Lieblings-Murakami „Kafka am Strand“ wird jedenfalls von „1Q84“ nicht abgelöst...

Samstag, 22. Oktober 2011

„Japanische Freuden“ von Akiyuki Nosaka

Japan in den 60ern: Subuyan macht Karriere als Pornograph. Begonnen hat er mit dem Verkauf von einzelnen Fotografien. Nun nimmt er mit seinem Kumpan Banteki heimlich Tonaufnahmen von kopulierenden Paaren auf. Und bald steigt er ins Filmgeschäft ein; zuerst als Händler, dann als Produzent. Der umtriebige Subuyan betätigt sich nebenzu noch als Zuhälter, Lehrer im U-Bahn-Grabschen und als Organisator von Orgien. Dummerweise ist gerade ihm ein ganz unsexuelles Schicksal beschieden: Nachdem er sich in seine minderjährige Stieftochter verliebt hat, scheint er impotent geworden zu sein. Ob da eine Sexpuppe – die neueste Erfindung aus den USA – Abhilfe schaffen kann? Und als hätte er nicht schon genug Probleme, kommt ihm dann auch noch die Polizei auf die Schliche…

Auf seinem Weg durchs Pornogeschäft vergrößert sich Subuyans Gefolgschaft: Hack, erfolgloser Schriftsteller altmodischer erotischer Literatur, wird als Drehbuchschreiber engagiert. Paul, der als Laiendarsteller in Pornos seines Ex-Chefs mitgewirkt hat, reißt zusammen mit Kabo Frauen für Subuyans Orgien auf. Und irgendwie haben sie alle ihre sexuelle Störung: Hack schreibt in Erinnerung an seine frigide Mutter und holt sich dabei einen runter. Kabo kann mit Frauen nichts anfangen, sobald sie kein unschuldiges Gesicht mehr ziehen. Und Banteki will mit seinen Pornofilmen Kunst machen.

„Japanische Freuden“ von Akiyuki Nosaka ist nicht nur in punkto Sex unkonventionell – insbesondere wenn man bedenkt, dass der Roman bereits in den 60er Jahren veröffentlicht wurde und sicherlich große Aufmerksamkeit erregte. Auch mit dem Tod wird durchaus pietätlos umgegangen: Als Subuyans Frau stirbt, wird zur Totenwache ein Pornofilm gezeigt – was wäre für die Frau eines Pornographens denn passender? Und der arme Hack, der bei der Selbstbefriedigung einen Herzinfarkt hatte, wird in Ermangelung eines Sarges in eine Teekiste gesteckt, auf deren Deckel zum Andenken an den leidenschaftlichen Mah-Jongg-Spieler Hack die ganze Nacht durchgespielt wird.

Japanische Freuden“ ist ein kleines, literarisches Feuerwerk an Facettenreichtum: Es ist bitterböse (eine kleine Vergewaltigung ist gut für jede Orgie), bizarr (Inzest mit zurückgebliebenen Angehörigen), Slapstick (armer, impotenter Subuyan) und zu Herzen gehend (Subuyans liebevolles Verhalten seiner im Sterben liegenden Frau gegenüber).

Freitag, 21. Oktober 2011

Akiyuki Nosaka

Der Autor, Sänger, Dichter und Politiker Akiyuki Nosaka wurde 1930 in Kamakura geboren. Der Tod begleitete seine Kindheit und Jugend: Seine Mutter starb bei seiner Geburt. Daher wurden er und seine Geschwister von einer Familie in Kobe adoptiert. Eine seiner Schwestern starb krankheitsbedingt. Seine Adoptiveltern wurden bei einem Bombenangriff 1945 getötet. Nicht viel später starb seine zweite Schwester an Unterernährung. Zwei Jahre trieb sich Akiyuki Nosaka herum und landete schließlich in der Besserungsanstalt.

Erst nach dem Tod seiner Adoptiveltern erfuhr er von seiner Adoption. Glücklicherweise überlebte sein leiblicher Vater den Krieg und machte politische Karriere. Dieser Umstand erlaubte Akiyuki Nosaka, ein Studium zu beginnen, das er aber bald aufgab. Er widmete sich daraufhin verschiedenen Gelegenheitsjobs (vom Hundewäscher bis hin zur bezahlten Blutspende).

1963 gelang ihm der literarische Durchbruch mit „Japanische Freuden“. Seine semi-autobiographische Erzählung „Das Grab der Leuchtkäfer“ über den Hungertod seiner jüngeren Schwester erhielt zusammen mit „Algen in Amerika“ im Jahr 1968 den Naoki-Literaturpreis und wurde 1988 als Anime verfilmt.

In den 70er Jahre startete Akiyuki Nosaka zudem eine politische Karriere. 2003 erlitt er einen Schlaganfall, schrieb aber weiter seine Kolumne für die Mainichi Shimbun. Im Dezember 2015 starb Akiyuki Nosaka im Alter von 85 Jahren in einem Krankenhaus in Tokio an Herzversagen.

Sein literarisches Werk gilt als provokativ und schwer zu übersetzen.

Interessante Links:
  • Interviewauszüge mit Akiyuki Nosaka aus Animerica über „Das Grab der Leuchtkäfer“ gibt es hier und hier

Ins Deutsche übersetzte Romane/Erzählungen und hier rezensiert: 

Sonntag, 16. Oktober 2011

„Die vierte Zwischeneiszeit“ von Kobo Abe

Kobo Abes „Die vierte Zwischeneiszeit“ beginnt als futuristischer Kriminalroman: Professor Katsumi hat eine Maschine konstruiert, die Daten aggregiert und aufgrund der Datenlage die Zukunft voraussagen kann. Doch schnell kommen er und seine Maschine, die „Moskwa 1“, in Verruf: Treffen die Voraussagen nur aufgrund einer selbsterfüllenden Prophezeiung zu? Und überhaupt: Die politischen Folgen der Voraussagen sind zu gravierend. Daher wird Katsumi nahe gelegt, er solle sich doch künftig auf Voraussagethemen ohne politischen Bezug begrenzen.

Damit beginnt Katsumis Suche nach einem Probanden, dem er die rein private Zukunft voraussagen will. Zusammen mit seinem Assistenten Tamomogi findet er in einem Café einen geeigneten Durchschnittsmenschen. Die beiden beschatten den ausgewählten Herrn und werden unvermutet Zeugen des Mordes an ihm. Da der Mordverdacht auch auf sie fallen kann, setzten die beiden Wissenschaftler die Voraussagemaschine auf den Fall an, um den Mörder zu fassen. Doch was zunächst als Mord aus Beziehungsmotiven aussieht, offenbart ein Komplott um abgetriebene und angekaufte menschliche Föten. Als Katsumis schwangere Ehefrau unter Drogen gesetzt wird und ohne Einverständnis bei ihr eine Abtreibung vorgenommen wird, gewinnt die Verschwörung auch persönliche Relevanz für Katsumi.

Kobo Abes Science Fiction ist ein apokalyptischer Endzeitroman vom Ende der vierten Zwischeneiszeit. Die „Moskwa 1“ erscheint zwar eher wie ein mehr als veraltetes Rechenmonster, das man heutzutage nur belächeln kann, doch die Verschwörung rund um die gekauften Föten ist spannend und überraschend eingefädelt.

Wie auch in „Das Gesicht des Anderen“ legt der Autor jedoch sehr viel Wert auf die Erläuterung des wissenschaftlichen Hintergrundwissens, was für den einen oder anderen Leser bestimmt ermüdend wirkt.

Samstag, 15. Oktober 2011

„Wilde Schafsjagd“ von Haruki Murakami

Der namenlose Ich-Erzähler von „Wilde Schafsjagd“ ist der klassische Haruki Murakami-Protagonist: Der Idealismus der Jugendjahre ist längst verpufft und weicht einer gewissen depressiven Lethargie. Die Ehefrau hat die Nase voll und wünscht die Trennung. Der Alltag ist unaufregend und wenn die „Wilde Schafsjagd“ nicht ihren Lauf genommen hätte, dann

„säße ich jetzt garantiert irgendwo in einer Bar, äße ein Omelette und tränke Whiskey dazu. Die richtige Jahreszeit, um zur rechten Stunde an einem soliden, aus einem Stamm gehauenen Tresen zu hocken, abends nach dem Regen, Whiskey mit frisch vom Block gehacktem Eis, Stunden, in denen die Zeit gemächlich fließt wie ein stiller Strom.“ (S. 251)

Als der Ich-Erzähler aber ein Schaf-Foto, das er von seinem verschollenen Freund Ratte erhalten hat, veröffentlicht, gerät er unversehens ins „Bandwurmuniversum“, in dem Verhalten und Kausalität einer anderen Logik unterworfen sind. Denn das Foto zeigt das geheimnis- und machtvolle Schaf, das einen Politiker eine gewaltige Organisation aufbauen hat lassen, indem es ihn als sein Werkzeug missbraucht hat. Seitdem das Schaf den Politiker verlassen hat, liegt er im Sterben. Dessen Assistent, ein gefährlich und unangenehm wirkender, schwarz gekleideter Mann, will den Ich-Erzähler zwingen, das Schaf für ihn ausfindig zu machen.

Doch der Protagonist will sich zunächst keinen fremden Willen aufzwingen lassen. Er hat nichts zu verlieren, hängt nicht an Besitz und lässt sich auch nicht mit dem Vorwurf der Mittelmäßigkeit reizen. Seine neue Freundin jedoch, die sich durch phantastische Ohren und Zukunftsvisionen auszeichnet, überredet ihn schließlich, gemeinsam auf „Wilde Schafsjagd“ zu gehen. Wo auf Hokkaido mag sich dieses machtvolle Schaf nur aufhalten? Und was hat sein Freund Ratte damit zu tun?

Der Leser begleitet den Ich-Erzähler durch das Bandwurmuniversum der „Wilden Schafsjagd“, die so wild gar nicht ist. Denn auch dies ist charakteristisch Murakami: Die eigentliche Handlung hätte sich auch in weniger als der Hälfte der Seiten unterbringen lassen können. Das Erzähltempo ist gemächlich, der Ich-Erzähler lässt seine Gedanken mal in diese oder jene Richtung abschweifen (z.B. zu Musik und Literatur), ist mit alltäglichen Dingen wie Kochen beschäftigt, lässt die Vergangenheit Revue passieren. Das ist ein Stil, auf den man sich als Leser erst einmal einlassen muss. Doch gerade die Nebensächlichkeiten machen „Wilde Schafsjagd“ so lesenswert: Wieso wird ein Kater auf den Namen Bückling getauft? Wie empfindet ein junger Ainu die Besiedelung des unwirtlichen Hokkaidos? Und warum sind Ohren so faszinierend?

Weitergeführt wird die „Wilde Schafsjagd“ in dem Roman „Tanz mit dem Schafsmann“. Ob er will oder nicht, der Ich-Erzähler muss das Tanzen lernen...

Dienstag, 11. Oktober 2011

„Zwei Fremde in der Dunkelheit“ von Shizuko Natsuki

Der Wissenschaftler Daigo, der aufgrund einer Tagung in Paris weilt, macht einen Ausflug in das Dorf Barbizon. Als er sich im Salon seines Hotels ein Glas Calvados gönnt, bemerkt er die Anwesenheit einer Landsfrau. Doch bevor er ihr Gesicht sehen kann, verursacht ein Gewitter einen Stromausfall. Im Dunkeln gestehen sich Daigo und die geheimnisvolle Frau, die sich Fumiko nennt, ihre geheimsten Gedanken: Fumiko wünscht sich den Tod einer Frau, die einen geliebten Menschen ermordet hat und nicht zur Rechenschaft gezogen wurde. Daigo würde am liebsten seinen Chef, den Universitätsprofessor Yoshimi, töten. Dieser vertuscht erfolgreich, dass die Konsumenten eines Lebensmittels an Krebs erkranken und nach einer langen Leidensphase sterben.

Zurück in Japan hängt Daigo immer noch in Gedanken der geheimnisvollen Begegnung in Barbizon nach. Doch die Realität holt ihn schnell ein: Er fühlt sich von seinem Chef gegängelt und soll an eine Universität in Alaska abgeschoben werden.

Als Yoshimi tot aufgefunden wird, fällt ein erster Verdacht auf Daigo. Doch der hat aufgrund von seltsamen Umständen ein wasserdichtes Alibi. Als eine mysteriöse Karte bei Daigo eingeht, versteht er: Fumiko hat Yoshimi für ihn getötet. Nun ist er am Zug und muss Fumikos Feindin an ihrer Stelle das Leben nehmen. Zudem begibt er sich auf die Suche nach Fumiko. Wer mag diese Frau, die einen falschen Namen benutzt, in Wirklichkeit sein?

„Zwei Fremde in der Dunkelheit“ der Krimi-Bestsellerautorin Shizuko Natsuki ist spannend bis zur letzten Seite. Einziger Wehrmutstropfen: Muss sich der Protagonist auf seiner Suche nach Fumiko denn gar so tölpelhaft verhalten?

Montag, 10. Oktober 2011

Shizuko Natsuki

1938 erblickte die Krimi-Autorin Shizuko Natsuki in Tokio das Licht der Welt. Durch den Einfluss ihres Bruders begann sie sich für Mystery-Literatur zu interessieren. Bereits als sie an der Keio Universität Anglistik studierte wurde sie für den Edogawa Rampo-Literaturpreis nominiert. Bis zu ihrer Heirat im Jahr 1963 arbeitete sie als Drehbuchautorin für den staatlichen Sender NHK. Mit „Die Engel verschwinden“ gelang ihr 1969 der endgültige Durchbruch als Romanautorin. In Japan genießt Shizuko Natsuki große Popularität, sie wird als die Agatha Christie Japans gehandelt. Mehr als 80 Veröffentlichungen verzeichnet die Autorin, die in die Handlungen geschickt die inneren Beweggründe der Protagonisten und soziale Kontexte einflicht.

Interessante Links:

Ins Deutsche übersetzte Romane/Erzählungen und hier rezensiert:

    Sonntag, 9. Oktober 2011

    „Das verhasste Alter“ von Fumio Niwa, Kenzaburo Oe, Masuji Ibuse etc.

    Der vom Volk und Welt Verlag herausgegebene Band „Das verhasste Alter“ aus der Spektrum-Reihe enthält sechs Erzählungen der japanischen Autoren Masuji Ibuse, Fumio Niwa, Shotaro Yasuoka, Kenzaburo Oe, Taeko Kono und Yoshikichi Furui.

    Masuji Ibuse beschreibt das „Leben bei Herrn Tange“. Herr Tange hat einen etwas nichtsnutzigen Diener, der hin und wieder gezüchtigt werden muss. Darüber hinaus geschieht in der kurzen Erzählung allerdings nicht allzu viel, sie gibt vielmehr einen kleinen Einblick in japanisches Alltagsleben zu Beginn des letzten Jahrhunderts.

    Fumio Niwas Erzählung „Das verhasste Alter“ steht Pate für den gesamten Erzählband. Der Autor skizziert die Schwierigkeiten mit der Versorgung demenzkranker Angehöriger in den Nachkriegsjahren; sowohl in der Stadt als auch auf dem Land. Die Verwandlung eines geliebten Menschen in eine Last wird eindrucksvoll dargestellt.

    „Die Frau des Pfandleihers“ von Shotaro Yasuoka erzählt von einem Studenten in den ersten Kriegsjahren, der das Leben genießen kann, solange er noch nicht eingezogen ist.

    Kenzaburo Oes „Angui, das Himmelsungeheuer“ ist für mich die lohnenswerteste unter den Erzählungen. Nach dem Tod seines anscheinend behinderten Kindes fällt ein Komponist in eine schwere Depression und in den Wahn, ein Wesen aus dem Himmel komme ihn hin und wieder besuchen. Der Ich-Erzähler, ein Student, ergattert den einträglichen Nebenjob, mit dem Komponist durch die Stadt zu streifen und Erledigungen für ihn zu übernehmen. „Angui, das Himmelsungeheuer“ enthält sehr komprimiert die wesentlichen Oe-Themen Behinderung, Depression und Selbstmord, die mit ein bisschen Phantastik angereichert werden.

    „Fleischbröckchen“ von Taeko Kono ist die skurrile Geschichte einer Trennung. Nachdem der Mann die Frau verlassen hat, verliert sie ihren Geschmackssinn. Während der Beziehung hatte sich noch so gerne mit ihrem damaligen Partner geschlemmt. Am liebsten würde sie nun alles verbrennen, das an den Mann erinnert: Seine zurückgelassenen Besitztümer, ihre Wohnung, ja gar sich selbst.

    Mit „Ehebande“ studiert Yoshikichi Furui das Beziehungsgeflecht zwischen den Ehepartnern Hisao und Reiko. Hisao fängt sich eine Sommergrippe ein und ist eine Woche krankgeschrieben. Dies gibt ihm die Gelegenheit, das Alltagsleben in seiner Wohnsiedlung von einer ungewohnten Seite zu erleben und seine Beziehung zu Reiko auf den Prüfstand zu stellen. Zieht sich denn schon ein Riss durch die Ehe?

    „Das verhasste Alter“ ist nur noch als Gebrauchtbuch erhältlich, dafür jedoch sehr preisgünstig. Die Anschaffung lohnt vor allem aufgrund Kenzaburo Oes Erzählung „Angui, das Himmelsungeheuer“ und Fumio Niwas „Das verhasste Alter“.

    Samstag, 1. Oktober 2011

    „Opium für Ovid“ von Yoko Tawada

    Yoko Tawada entnimmt Ovids „Metamorphosen“ 22 Frauengestalten und widmet ihnen eine einige Seiten Gegenwart in „Opium für Ovid“. So wird Thisbe zur Friseurin von Iphis. Limnaea sieht im Theater ein Tanzstück von Thetis. Yoko Tawada beschreibt zwar keine Metamorphosen im Sinne Ovids, jedoch den recht wunderlichen Alltag, die verschrobenen Gedankengänge und hin und wieder doch eine kleine Entwicklung in diese oder jene Richtung.

    Yoko Tawada spielt mit Worten, mit den Bildern, die im Kopf des Lesers entstehen, mit Klischees. Damit ist „Opium für Ovid“ ein Buch, das man langsam genießen muss. Und hin und wieder empfiehlt es sich, Wikipedia über die Schicksale der antiken Damen zu konsultieren. Sonst entgeht bei fehlendem Hintergrundwissen die eine oder andere Pointe.

    „Opium für Ovid“ ist…

    … kurios:
    „Ich entdeckte ein Muttermal an ihrem Nacken und entschloss mich, darin zu wohnen.“ (S. 112)

    … mythologisch-abgewandelt:

    Io hat Träume, in denen sie sich in eine Kuh verwandelt. Und Semeles Ex-Mann Zeus, Zahnarzt von Beruf, macht verdächtig viele Röntgenaufnahmen.

    … analytisch:
    „Eine Zahl steht vor oder hinter einer anderen. Das ist die Ordnung der Reihenfolge. Wie kann man sagen, dass eine Zahl weniger ist als eine andere?“ (S. 98)

    … verquer:
    Die Linguistin Clymene sagt aus purer Lust die eigene Wortneuschöpfung „Zaub“ – und schwups gründen ihre Kollegen eine Forschungsgruppe um die „Zaub“, an der auch Clymene zwangsweise teilnehmen soll.

    … prädestiniert:

    Latona bekommt sich natürlich mit Niobe in die Haare.

    … anschaulich:
    „die hochstehende Sonne nahm den Menschen beinah den Schatten weg, nur ein Tintenfleck klebte neben den Füßen auf dem Boden.“ (S. 118)

    … kritisch:
    „Scylla sagte zu Pomona, die Kunst sei heutzutage nicht mehr ernst zu nehmen, denn sie sei durch und durch kommerzialisiert. Da dachte Pomona erleichtert, dass sie nun auch Kunst machen könne.“ (S. 168)

    … herzlich:
    „Man kann nicht die Menschen, die man liebt, auseinanderschneiden. Sie gehören alle zusammen und müssen deshalb gleichzeitig in einem Herzen versammelt sein.“ (S. 169)

    Und was es mit dem Opium auf sich hat? Opiumkrieg, Religion für das Volk oder einfach nur der Rausch, in den die Ich-Erzählerin fällt, sobald sie einen Fahrradunfall hat.