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Mittwoch, 27. April 2011

„Schwimmbad im Regen“ von Yoko Ogawa

„Schwimmbad im Regen“ von Yoko Ogawa umfasst drei Erzählungen, die für die Autorin den Durchbruch in Japan bedeuteten: „Das Wohnheim“, „Tagebuch einer Schwangerschaft“ und eben „Schwimmbad im Regen“.

Mit einer Eindringlichkeit, die unter die Haut geht, wird in der ersten Erzählung ein fast verlassenes Studentenwohnheim beschrieben. Seit ein Mathematikstudent spurlos verschwunden ist, möchte niemand mehr an diesem verwunschenen Ort wohnen. Die Protagonistin, die dort während ihres sechs Jahre zurückliegenden Studiums selbst dort lebte, bringt ihren Cousin dort trotzdem unter. Außer ihm lebt nur noch ein Hausmeister dort, der alle anfallenden Tätigkeiten bewältigt, obwohl ihm alle Gliedmaßen außer dem rechten Bein fehlen. Wie mag es dem Cousin dort ergehen?

Im „Tagebuch einer Schwangerschaft“ werden einige Tage dokumentiert, wie sie die Protagonistin mit ihrer schwangeren Schwester erlebt. Die Schwester und der Schwager stehen der Schwangerschaft recht distanziert gegenüber. Vielleicht der Grund, weswegen die Protagonistin ein Ernährungsexperiment mit der schwangeren Schwester durchführt?

Und schließlich erzählt „Schwimmbad im Regen“ die Geschichte einer Braut, die das gemeinsame Haus des baldigen Ehepaars einrichtet. In der neuen Stadt trifft sie auf einen Vater und dessen 3-jährigen Sohn, die fasziniert von Schulküchen sind. Was eine Schulküche nur mit einem Schwimmbad im Regen zu tun hat?

Leider beginnt das Buch mit der stärksten Erzählung. Daher können die folgenden nur schlechter abschneiden. Dennoch gelingt es der Autorin jedes Mal wieder, eine plastische Stimmung zu zaubern, als könnte man die Einsamkeit des Wohnheims, die Distanz der schwangeren Schwester oder die Aura von Vater und Sohn regelrecht berühren.

Dienstag, 26. April 2011

„Nur da, wo du bist, da ist nichts“ von Yoko Tawada

Yoko Tawadas „Nur da, wo du bist, da ist nichts“ enthält eine Erzählung und mehrere Gedichte, sowohl auf Deutsch als auch auf Japanisch. Zugegebenermaßen: Mit den Gedichten kann ich weniger anfangen. Das liegt aber vielleicht auch daran, dass ich nach „Schwager in Bordeaux“ eine etwas fröhlichere Stimmung erwartet hatte – und die Gedichte eher morbid wirken.

Umso bezaubernder ist die Erzählung „Bilderrätsel ohne Bilder“ in „Nur da, wo du bist, ist nichts“. Die Protagonistin, eine Japanerin in Deutschland, ist per Bahn unterwegs in ein Städtchen, um sich eine Kinderbuchausstellung dort anzusehen. Dabei schweifen ihre Gedanken oftmals an ihren Ex-Freund K ab.

Bezeichnend ist Yoko Tawadas bildhafte Sprache: Ein junger Mann im Zugabteil beginnt ein einem Taschenbuch zu lesen und „mit seinem Blick die Buchstaben entlang zu lecken“ (S. 21). Oder auch die Beobachtungsgabe: Deutsche versuchen, beim Niesen den Klang des „Hatschi“ nachzuahmen, während es bei den Japanern ein „Hakschon“ ist. Und die Missverständnisse, die sich interkulturell auftun können: Der einstmalige Freund K fragt nach dem Geheimnis der Protagonistin und will wissen, ob zwischen beiden ein Problem besteht. Die Protagonistin dagegen versteht die Frage anders und offenbart ein bisher niemandem mitgeteiltes Geschehnis - und zieht sich damit den Unmut des Freundes zu.

Montag, 25. April 2011

„Die Geschichte einer gewissen Frau“ von Chiyo Uno

Chiyo Unos „Die Geschichte einer gewissen Frau“ habe ich mehr aus Zufall direkt nach Hitomi Kaneharas „Obsession“ (im Englischen: „Autofiction“) gelesen: Beides sind im Grunde Autobiographie, die eine mehr die andere weniger nahe an der Realität. Beide Protagonistinnen wandern etwas willkürlich von einem zum anderen Liebhaber. Trotzdem: Im Vergleich zu Chiyo Uno kann eine Hitomi Kanehara freilich nur verlieren. Wenn man bedenkt, wie fortschrittlich und unerschrocken Chiyo Unos Protagonistin Kazue (und Chiyo Uno in der Realität) bereits in den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts war, kann man nur den Hut vor diesem Mut ziehen.

Nach dem Tod des patriarchalischen Vaters kehrt die Freude und die Freiheit in Kazues Wohnhaus ein. Sie schminkt sich, wird sich ihrer Schönheit bewusst und beginnt als Lehrerin zu arbeiten. Als sie eine Affäre mit einem der Lehrer beginnt, kommt es zwangsläufig zum Skandal und sie muss die Kündigung einreichen. Nach einer 3-monatigen Flucht nach Korea zieht sie in einer geschwisterlichen Beziehung mit ihrem Cousin zusammen. Und so reiht sich Affäre an Affäre, Liebschaft an Liebschaft ohne dass Kazue jemals eine Heirat in Betracht zieht. Denn dies ist eine der wenigen bewussten Entscheidungen, die sei trifft: Sie wird niemals eine Ehe eingehen. Ansonsten lässt sie sich treiben und tut, wonach es ihr ist – sowohl im Privaten als auch im Beruflichen. Hier hat sie einen Wesenszug ihres Vaters übernommen. Doch während dies für einen Mann gesellschaftlich anerkannt ist, befindet sich Kazue als Frau in einer Vorreiterstellung. Kazue beklagt sich jedoch nie – sie tut, wonach ihr ist und ist selbst in großer finanzieller Not glücklich.

1972 erschien „Die Geschichte einer gewissen Frau“ im japanischen Original und ermutigte die Japanerinnen zur Emanzipation. Nicht wenige nahmen sich Kazue als Vorbild. Ihre Geschichte klingt abenteuerlich und doch entspricht sie in groben Zügen der Biographie der Autorin Chiyo Uno.

Sonntag, 24. April 2011

Chiyo Uno

Nur zwei Jahre nach ihrer Geburt im Jahr 1887 verstarb Chiyo Unos Mutter. Die neue Ehefrau des Vaters kümmerte sich rührend um die Stieftochter, war jedoch machtlos gegenüber dem despotischen Vater und Hausherrn. Erst nach dessen Tod im Jahr 1913 durfte Chiyo Uno Bücher und Zeitungen lesen, sich nach eigenem Geschmack kleiden und schminken. Ihre erste Liebesaffäre hatte sie mit einem verheirateten Lehrer, womit sie für einen Eklat sorgte. Dies war der Auftakt für weitere Amouren, Affären und Ehen. Der Gewinn eines Wettbewerbs für Kurzgeschichten war der Beginn ihrer schriftstellerischen Karriere. Daneben gründete sie Japans erstes Modemagazin und verdingte sich im Kimonoschneidern.

In den 20er Jahren war sie eines von wenigen japanischen „modern girls“: Sie gehörte zur Tokioter Bohème, ließ sich die Haare zum Bob schneiden und führte ein emanzipiertes Leben, ohne auf die Rolle einer Ehefrau beschränkt zu sein. Mit jeder neuen Liebesaffäre bezog Chiyo Uno ein neues Haus als neuen Lebensmittelpunkt. Angeblich soll sie deswegen 13 Häuser in ihrem Leben bauen haben lassen. 1996 starb Chiyo Uno an einer Lungenentzündung.

Interessante Links:

Ins Deusche übersetzte Romane/Novellen/Essays/Erzählungen und hier rezensiert:

Samstag, 23. April 2011

„Obsession“ von Hitomi Kanehara

Der Titel von Hitomi Kaneharas „Obsession“ lautet in der englischen Übersetzung „Autofiction“. Und das trifft die Handlung des Buches bereits auf den Punkt: Eine fiktive Autobiographie. Im Zentrum der Handlung steht die junge Autorin Rin. Vier Episoden aus ihrem Leben im Alter von 22, 18, 16 und 15 werden in dieser Reihenfolge auf 220 Seiten erzählt. So offenbart sich nach und nach, wie aus Rin die verschrobene Person geworden ist, die sie mit 22 Jahren ist: Sie ist extrem eifersüchtig auf Zufallsbekanntschaften ihres Ehemanns, hört innere Stimmen, reagiert in manchen Situationen total daneben, unterstellt Personen, sie töten zu wollen, hat aber ohnehin eine gewisse Todessehnsucht.

Zwischendurch ist es etwas ermüdend, seitenweise Rins innere Monologe oder Dialoge mit einer ihrer inneren Stimmen zu lesen. Dennoch ist „Obsession“ weit gelungener als der erste Roman von Hitomi Kanehara „Tokyo Love“. Ganz hat er mich doch nicht überzeugt, was unter anderem an dem Ende am Anfang (also am Ende der Geschichte der 22-jährigen Rin) liegt. Wie kommt dieser plötzliche Sinneswandel?

Obwohl die Autorin Rin im ersten Teil des Romans von der Unverständlichkeit spricht, warum Journalisten immer Parallelen zwischen den fiktiven Charakteren und deren Autoren suchen, kommt man bei „Obsession“ nicht umhin, sich zu fragen, was Hitomi Kanehara und Rin gemeinsam haben. Haben nicht auch beide vernarbte Einschnitte an den Handgelenken?

Freitag, 22. April 2011

„Kristall Kids“ von Yasuo Tanaka

„Kristall Kids“ ist ein recht ungewöhnlicher Roman. Denn eigentlich kommt er ohne einen wirklich relevanten Handlungsbogen, ohne Höhepunkte aus. Er ist vielmehr wie eine Dokumentation des Lebens einer Studentin in Tokio zu Beginn der 80er Jahre, eine Beschreibung des damaligen Lifestyles. Das war auch das erklärte Ziel des Autors Yasuo Tanaka, der die japanische Literatur als zu abgehoben erachtete: Der Jugend eine Stimme geben und eine Momentaufnahme erstellen.

Daher begleitet der Leser die Studentin Yuri bei ihrem Alltag: Wie sie die Uni schwänzt, sich mit Freundinnen trifft, Shoppen geht, eine Affäre in einem Love Hotel hat, dennoch glücklich mit ihrem Freund ist, sich als Model etwas dazuverdient, durch Kneipen zieht.

Yasuo Tanaka hat dieser Generation von Großstadtjugendlichen in den 80er Jahren auch in der Realität ein Etikett aufgeklebt – die „Kristall Kids“. Yuris Liebhaber Masataka versteht darunter:

„Kristall, meinst du… ja, wir überlegen nicht groß wie die Nachwuchsphilosophen: Jugend, was ist das? Liebe, was ist das? Wir lesen auch nicht besonders viel und begeistern uns nicht wie die Verrückten für eine Sache, hab ich recht? Aber wir haben weder Stroh im Kopf, noch sind wir benebelt. Wir sind nicht unnahbar, aber den Leuten auf der Pelle hängen wir schon gar nicht. Und so einfältig, die Meinungen anderer unbesehen zu schlucken, sind wir auch nicht.“ (S.101)

Was ebenso an den „Kristall Kids“ auffällt, ist ein extremes Konsumverhalten und eine enorme Begeisterung für westliche Produkte und Eigenarten. Und dennoch entkommen sie der japanischen Tradition nie ganz. Die Studentinnen streben doch insgeheim nach einem Leben als Ehefrau, auch wenn sie noch so sehr jedwede traditionelle Lebensweise vordergründig als lächerlich erachten.

Ungewöhnlich ist dahingegen die Struktur des Buches: Auf der recht Seite läuft jeweils der Fließtext, während die linke Seite gespickt ist mit Fußnoten. Hier werden die damals aktuellen Musiker, Trends, Läden und Bars ausgiebig kommentiert, manchmal ironisch, manchmal faktisch.

Dem Roman nachgestellt sind unter anderem Interviews mit den Übersetzerinnen, die damals als Studentinnen im vierten Semester der Japanologie in den Semesterferien die „Kristall Kids“ ins Deutsche übersetzt haben. Das macht das Buch gleich um einiges liebenswürdiger und zeigt auf, wie viel Herzblut in einer Übersetzung stecken kann.

Donnerstag, 21. April 2011

Yasuo Tanaka

Yasuo Tanaka (geboren 1956 in Tokio) wuchs auf dem Land auf und kehrte zum Jura-Studium nach Tokio zurück. Seinen ersten Roman „Kristall Kids“ über das Jugendgefühl der beginnenden 80er Jahre schrieb er innerhalb von nur drei Wochen. 1981 erhielt er dafür einen Nachwuchsliteraturpreis. „Kristall Kids“ verkaufte sich mehr als eine Million Mal und löste einen „Kristall-Boom“ aus, der in der Verfilmung des Buches mündete. Quasi über Nacht wurde Yasuo Tanaka berühmt.

Yasuo Tanakas weitere Romane behandeln wie „Kristall Kids“ die Themen Jugend und Konsum, jeweils aus der Perspektive einer Ich-Erzählerin.

Im Jahr 2000 begann Yasuo Tanakas politische Karriere mit seiner Ernennung zum Gouverneur der Präfektur Nagano.

Interessante Links:

Ins Deutsche übersetzte Romane und hier rezensiert:

Sonntag, 17. April 2011

„Tokio Girl“ von Rika Yokomori

Saya lebt in den 80er Jahren während der japanischen „Bubble Economy“. Sie hat das Abitur gerade hinter sich gebracht und beginnt auf Drängen ihrer alleinstehenden Mutter ein Literaturstudium an einer Frauenuniversität. Die Mutter möchte für ihre Tochter eine bestmögliche Ausbildung und sieht Literatur als ein sehr renommiertes Studium an. Saya hingegen fügt sich nur deswegen, weil sie selbst nicht so recht weiß, was sie will. Hauptsache, sie kann sich selbst erst einmal in der Lebensphase Studium verorten und muss nicht weiter nachdenken. Nebenzu arbeitet sie als Hostess, um sich ihren Lebensstil leisten zu können. Der Job ödet sie an, jedoch prostituiert sie sich oft für Geld; liegt dabei aber nur da „wie ein toter Thunfisch“. Alles ändert sich, als der erfahrene Herr Hotta, dem Saya den Kosenamen Bogey gibt, in ihr Leben tritt. Für Saya wird er Vaterersatz und Liebhaber in einem.

Bogey macht halb legale, halb illegale Börsengeschäfte und schwimmt in Geld. Saya studiert zwar weiter, widmet sich aber Bogeys Haushalt wie eine Ehefrau und lässt sich von ihm mit Designerkleidung ausstatten. Als die Börsengeschäfte auffliegen, folgt der Abstieg…

„Tokio Girl“ von Rika Yokomori gibt Einblick in ein sehr oberflächliches, naives Leben in den 80ern, das Konsum als das oberste Ziel erhebt. Daher bleibt die Person Saya auch irgendwie unzugänglich. Sie langweilt sich permanent – und der Leser langweilt sich mit. Selbst als Bogey sie zu einer Abtreibung zwingt, bleibt sie seltsam teilnahmslos. Das Buch entbehrt über ganze Strecken eine relevante Handlung und Tiefgang. Warum Saya mit Bogey zusammen ist und ihn schließlich sogar heiratet, wird nicht klar. Und nach manchen Passagen kann man nur verwundert den Kopf schütteln:

„‚Okay’, konterte er, ‚Zeit für die erste Partie und für den ersten Fick!’ Es waren besinnliche Tage.“ (S. 113)

Trotzdem gelingt es dem Buch, eindrückliche Kritik an der Rolle der Frau in der japanischen Gesellschaft zu üben. Insofern lässt sich Sayas Orientierungslosigkeit doch zumindest etwas nachvollziehen. Denn ein Studium bedeutet für Frauen nicht primär, sich auf ein erfolgreiches Arbeitsleben vorzubereiten. Es ist ein Statusmerkmal, um einen guten Ehemann und Versorger aus einer höheren Gesellschaftsschicht zu bekommen. Die Frauen, die nach dem Studium dennoch an Karriere denken, werden herbe enttäuscht: Sie werden zukünftig den gleichermaßen ausgebildeten Männern im Unternehmen den Tee kochen und mit einem Hungerlohn abgespeist.

Samstag, 16. April 2011

Rika Yokomori

Rika Yokomori wurde am 19. Mai 1963 als Tochter eines Kunstmalers und einer Lehrerin geboren. Als sie krankheitsbedingt nicht den Kindergarten besuchen konnte, brachte ihr die Mutter das Schreiben bei. Während der Grundschule übte die Mutter mit ihr Rechtschreibung und den Ausdruck der eigenen Gefühle in Form von Tagebuchschreiben.

Ihren Lebensunterhalt verdient Rika Yokomori vor allem mit Büchern zur Lebenshilfe. Zudem verdingt sie sich als Romanautorin. Ihr meistverkauftes Buch ist „Eat & Love“.

Dennoch wäre es zu kurz gegriffen, sie in die Schublade „Frauenliteratur“ zu stecken. Denn obwohl es in ihren Romanen gerne um Frauen mit Männerproblemen, exzessivem Kleidungskonsum, darauf folgenden Geldproblemen und ums Essen geht: Sie steht der japanischen Gesellschaft sehr kritisch gegenüber und spricht sogar von der „blöden japanischen DNA“ und dem Wunsch, dass ihre Tochter nicht auf Dauer in Japan leben muss. Denn Männer sind in Japan immer noch sehr traditionell eingestellt, Frauen haben im Berufsleben wenig Chancen.

Interessante Links:
  • Hier geht’s zur privaten Homepage von Rika Yokomori (leider nur auf Japanisch). Unter Column findet man sehr nette Fotos von Essen, von privaten Ausflügen, von Kleidung, beim Sport  – und mein absolutes Lieblingsbild: Ein Capuccino, auf dessen Schaum ein Hase gekritzelt ist. Wie sie das bloß hin gekriegt hat?
  • Deutschlandradio: „Frau mit Auftrag“ – Interview mit Rika Yokomori über das „japanische Schicksal“ arbeitender Frauen

Ins Deutsche übersetze Romane und hier rezensiert: