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Freitag, 25. Februar 2011

„Trübe Wasser in Tokio“ von Masako Togawa

Der Student Akio gesteht nach einem misslungenen Selbstmordversuch seinem Psychiater Dr. Uemura den Mord an Frau Owada. Doch Frau Owada ist nicht nur quicklebendig, sondern so attraktiv und geheimnisvoll, dass der disziplinierte Dr. Uemura gerne schwach werden würde. Um Licht ins Dunkel zu bringen, deckt der Psychiater die Untreue von Herrn Owada gegenüber seiner Ehefrau auf, stellt Nachforschungen an der Universität an, verbringt eine Nacht mit Akios Freundin, weilt auf einer orgiastischen Party – und entdeckt mit Schrecken, dass nicht nur Akio spurlos verschwunden ist.

„Trübe Wasser in Tokio“ von Masako Togawa ist ein kleines Verwirrspiel auf guten 150 Seiten, dessen Lösung erst ganz am Ende offenkundig wird. Dennoch kann der Roman nur mäßig begeistern. Irgendwie kommen die Figuren recht hölzern daher und die Spannung bewegt sich auf moderatem Niveau.

Donnerstag, 24. Februar 2011

Masako Togawa

Masko Togawa wurde 1931 in Tokio geboren und nach dem Tod ihres Vaters und Bruders von ihrer Mutter in Otsuka großgezogen. 1962 veröffentlichte sie ihren ersten Roman und gewann damit den Edogawo Rampo Preis. Insgesamt hat sie bisher über 30 Romane in Japan veröffentlicht.

Masako Togawa hat sich in Japan jedoch nicht nur als Romanautorin einen Namen gemacht. Sie singt, komponiert, schauspielert und führt einen Club in Shibuya namens Aoi Heya. Zudem ist sie bekannt für ihre Frisur, die einem bunt gefärbtem Afro nahe kommt. Vielleicht hat deswegen der deutsche Unionsverlag auch nur ein älteres Schwarz-Weiß-Foto der Autorin auf der Homepage abgebildet?

Interessante Links:
  • Ein kleiner Artikel, der primär die Festnahme von Masako Togawas Sohn wegen Drogenbesitzes behandelt - aber auch ein kleines Bild von besagter Frisur abbildet: Togawa's son arrested

Ins Deutsche übersetzte Romane und hier rezensiert: 

      Mittwoch, 23. Februar 2011

      „Schwager in Bordeaux“ von Yoko Tawada

      Die Japanerin Yuna studiert in Hamburg und schreibt keine Romane, Erzählungen oder Gedichte. Yuna schreibt Ideogramme in ein kleines Notizbuch, die sie im Nachhinein wieder in eine Geschichte auflösen könnte, wenn sie denn wollte. Yuna erzählt über Hamburg, über Bordeaux, über ihre Freundinnen, Kolleginnen, Bekannte während sie einen Sprachurlaub in Bordeaux plant und schließlich auch antritt. Damit hat es sich eigentlich auch schon an relevanter Handlung. Viel wichtiger als das Was ist das Wie in dem traumwandlerischen Roman von Yoko Tawada. Denn die Erzählstruktur entspricht Yunas Eigenart, Geschehnisse in einem einzigen Ideogramm festzuhalten. Jedem Abschnitt von „Schwager in Bordeaux“ wird tatsächlich ein Ideogramm vorangestellt, das sich in den folgenden Zeilen in eine kleine Geschichte auflöst. Yuna hüpft von einem Gedanken zum nächsten, greift ein Stichwort auf und setzt in einem ganz neuen Setting wieder neu damit an.

      „Schwager in Bordeaux“ von Yoko Tawada ist meines Wissens mit guten 200 Seiten das längste Werk der Autorin – und eine literarische Perle. Wunderbarer Wortwitz und Wortmalereien treffen auf kleine Absurditäten und eine Beobachtungsgabe, die wohl nur ein Fremder in einem neuen Kulturraum haben kann.

      Da man die Sprache der Autorin Yoko Tawada nicht annähernd in umschreibende Worte fassen kann, nun einige kleine Kostproben aus „Schwager in Bordeaux“.

      Das Wort Klempner:
      „Yuna hatte eine Vorliebe für dieses Wort. Die Kraft einer Hand, die eine Metallstange biegt, war im Klang dieses Wortes enthalten. Auch der Widerstand der Metallstange, die nicht gebogen werden wollte, war aus dem Wort herauszuhören.“ (S. 20)
       Über Nebenwirkungen:
      „Hierzulande redet man zuviel über Nebenwirkungen, als wäre es etwas Kriminelles. Dabei hat jede Sache eine Nebenwirkung: Trinkwasser hat auch eine Nebenwirkung. Die Ehe sowieso, aber vielleicht auch eine Freundschaft.“ (S. 43 f.)
      Gestern dort, heute hier:
      „Bedeutet das, dass gestern, also etwas, was man als gestern bezeichnet, dort ist? Ist dort wirklich ein Ort? Ist heute immer hier? Und was gibt es zwischen gestern und heute? Manche würden behaupten, zwischen hier und dort liege eine Nacht. Also jenseits der Nacht müsse noch eine andere Yuna weiterleben, die dort zurückgeblieben war. So vermehrte sie sich selbst bei jeder Nachtfahrt, und in jedem Zeitraum blieb ein Exemplar derselben Person zurück.“ (S. 64)
      Beispiele für die Bildhaftigkeit der Sprache:
      „Die Sonne schien senkrecht in die schmale Gasse hinein und leckte jede Ecke der beiden Häuserreihen mit ihrer rauen Zunge ab.“ (S. 144)
      „Das Kind lief auf ihn zu, klammerte sich an sein rechtes Bein wie ein Koala an einen Eukalyptus.“ (S. 148)
      Liebesbeziehung:
      „Die Liebenden müssen dauerhaft einen Machtkampf führen, um das Ich-Ufer vor dem Angriff des Du-Sturms zu verteidigen.“ (S. 188)
      Tod:
      „Der Tod eines Körpers schein kein einmaliges Geschehen zu sein. Vielmehr bedeutet er für die Lebenden den Beginn einer Hellhörigkeit. Sie zwingt einen, in viele Gesichtsausdrücken, harmlosen Anekdoten und selbst in der Wortwahl einer Person eine Kette des Sterbens zu erkennen.“ (S. 199)
      Ob es wohl Absicht war, auf dem Buchcover das Meer abzubilden, obwohl Yuna immer wieder insistiert, dass Bordeaux nicht am Meer liegt? Die einzelnen Episoden von „Schwager in Bordeaux“ schwappen jedenfalls wie kleine Wellen ans Ufer – und machen Sehnsucht nach einem literarischen Ausflug an dieses Meer des Geschichtenerzählens, in dem sich Worte wie kleine, wendige Fische tummeln.

      Dienstag, 22. Februar 2011

      „Das Ende des Bengalischen Tigers“ von Yoko Ogawa

      Ein Besuch im Foltermuseum, Erdbeertörtchen am Todestag des 6-jährigen Sohnes, Karotten in der Form einer menschlichen Hand, ein nach außen gewachsenes Herz, im ehemaligen Postamt versteckte Kiwis, eine paranoide Schriftstellerin und ein erfolgloser Wachstumskorsetthändler sind einige der Zutaten von Yoko Ogawas neuestem Buch „Das Ende des Bengalischen Tigers“. Es besteht aus 11 Geschichten, die nicht miteinander verwebt, aber zumindest mit einem dünnen Bindfaden verknüpft sind. Sei es mit einer kleinen Absurdität, die in einer der folgenden Geschichten aufgeklärt wird. Oder sogar – mit dickem Garn verbunden – dem Wiederauftauchen einer schon bekannten Figur.

      Wie bei den anderen Werken von Yoko Ogawa verschwimmt auch in „Das Ende des Bengalischen Tigers“ die Grenze zwischen Realität und Fantasie. Ebenso ist jede Geschichte mit einem zumindest kleinen Schaudereffekt verbunden. Denn es geht unter anderem um Tod, physische Deformationen, Folter und gar Mord.

      Normalerweise kann ich mich schwer für Erzählungen und Kurzgeschichten begeistern. Doch Yoko Ogawa gelingt es immer wieder exzellent mit nur wenigen Worten einer Situation die nötige Plastizität zu Verleihen, damit der Leser voll ins Geschehen eintauchen und die Motivationen der Figuren nachvollziehen kann.

      Ich kann mich nur wiederholen: Yoko Ogawa macht süchtig! Leider ist die Autorin hierzulande immer noch relativ unbekannt, obwohl ich sie gerne in die Liga eines Haruki Murakamis oder einer Banana Yoshimoto eingeordnet sehen würde.

      Montag, 21. Februar 2011

      „Tokyo Love“ von Hitomi Kanehara

      „Tokyo Love“ von Hitomi Kanehara ist ein recht schmächtiges Büchlein von 117 Seiten. Lui („Lui kommt von Louis Vuitton“) lernt den Schlangenmann Ama kennen, der sich seine Zunge im Piercing Studio spalten hat lassen und nun über eine split tongue verfügt. Fasziniert von dieser Zunge und seiner Tätowierung lässt sich Lui im selben Piercing- und Tattoo-Studio die Zunge piercen und entschließt sich, sich den Rücken tätowieren zu lassen. Der Inhaber des Studios, der sadistisch veranlagte Shiba-san, strahlt eine sexuelle Anziehung auf Lui aus. So ergibt es sich, dass Lui zwar beim Schlangenmann Ama lebt und mit ihm eine Beziehung führt, aber mit Shiba-san wilden sado-maso Sex praktiziert. Der Alltag von Lui ist dagegen fad: Hin und wieder geht sie einem Hostessen-Job nach, lebt aber von Amas Gehalt. Ohne Alkohol kommt Lui nicht mehr aus, aufs Essen verzichtet sie dafür umso mehr. Nach einem Alkohlexzess dreht Ama durch und begeht Totschlag an einem Schlägertyp. Ama steuert auf eine Katastrophe zu…

      Für „Tokyo Love“ hat Hitomi Kanehara den Aktuagawa-Preis erhalten. Jedoch frage ich mich, ob die Jury hier weniger literarische Genialität als das gesellschaftlich relevante Statement an sich prämiert hat: Nämlich dass die japanische Jugend sich leer fühlt, keine beruflichen Perspektiven sieht, sich in allerlei Exzesse stürzt und mit einem „normalen“ Erwachsenendasein nichts zu tun haben will.

      Manche Stellen im Buch sind sogar leicht einfältig. „Kein Problem, ich halte mein Gewicht seit Jahren.“ sagt die erst 19-jährige Lui zum Tätowierer. In dem Alter ja auch noch kein Problem… Sie lässt sich die Zunge piercen und kann danach sofort munter weiterplappern. Eigentlich sollte die Zunge so angeschwollen sein, dass sie nur lallen kann. An anderen Stellen kann man sich nur wundern, warum sie mit einem potenziellen Mörder zusammenlebt.

      Insgesamt ist „Tokyo Love“ für mich zu unausgegoren und eher eine überspitzte Bestandsaufnahme als ein guter Roman. Die Autorin möchte mit extremem Körperschmuck, body modification und SM-Praktiken schockieren, was ihr sicherlich auch gelingt. Aber die Story selbst erscheint viel zu fiktiv und die Protagonisten bleiben charakterlich flach.

      Sonntag, 20. Februar 2011

      Hitomi Kanehara

      Hitomi Kanehara
      (Photcredit: Uzaigaijin/Flickr,
      Creative Commons-Lizenz)
      Hitomi Kanehara wird von der Berliner Zeitung Online als die „Charlotte Roche auf Japanisch“ bezeichnet. Die 1983 in Tokio geborene Autorin schmiss im Alter von 13 Jahren die Schule und begann bald mit dem Schreiben. Unterstützt wurde sie dabei von ihrem Vater, einem Autor und Literaturprofessor. Sie wird als ein Sprachrohr der japanischen Jugend betrachtet, die von Orientierungslosigkeit, Zukunftsangst und konsumistischer Grundhaltung geprägt ist. Bezeichnend dafür ein Zitat der Autorin aus der Berliner Zeitung Online: "Mein Glück ist es, wenn ich einen Roman schreibe oder einkaufen gehe."

      Interessante Links:


        Ins Deutsche übersetzte Romane und hier rezensiert:

        Samstag, 19. Februar 2011

        „Vibration“ von Mari Akasaka

        Rei ist 31 und eine erfolgreiche Redakteurin. Doch innerlich ist sie völlig kaputt: Sie hört seit ihrer Jugend Stimmen, die sie verfolgen. Sie trinkt und erbricht, nur um gut schlafen zu können. Sie fühlt eine innere Leere und sich durch die quälenden Stimmen extrem überreizt. Zufällig trifft sie den fünf Jahre jüngeren Fernfahrer Okabe, der sie sofort in seinen Bann zieht. Wie ferngesteuert folgt sie ihm, schläft mit ihm und geht mit ihm auf Tour. Für kurze Zeit hat Rei endlich Ruhe vor den Stimmen, ohne sich betrinken oder erbrechen zu müssen.

        „Vibration“ von Mari Akasaka ist kein Buch, das sich einfach liest. Während des ersten Drittels des 159 Seiten umfassenden Kurzromans muss man sich zum einen konzentrieren, welche Stimme in dem inneren Monolog gerade die Oberhand hat. Ist es die Protagonistin? Ist es eine der unzähligen inneren Stimmen, die sie quälen? Andererseits möchte man bestimmte Dinge auch gar nicht lesen, wie z.B. detaillierte Beschreibungen, auf welche Art und Weise die Hauptdarstellerin am angenehmsten erbricht. Trotzdem enthält dieses erste Drittel auch einiges an geballter Medien- und Konsumkritik, wie zum Beispiel „Um dem Konsum frönen zu können, sollte man besser von vornherein einen reichen Knacker heiraten. Ein solches Konzept mag zwar etwas befremdlich sein, so aber lautet im Wesentlichen die Message in den gängigen Zeitschriften und in der Werbung.“ (S. 37).

        Die letzten beiden Drittel behandeln den Road Trip von Rei und Okabe. Okabe ist verheiratet und betrügt seine Frau mit Rei. Jedoch ist beiden klar, dass ihre Beziehung nicht über Sympathie hinausgeht. Rei tut die Tour mit Okabe gut, aber dennoch holt sie die gefühlte Ausweglosigkeit und Selbstentfremdung immer wieder ein.

        „Vibration“ ist keine leichte Kost und an manchen Stellen auch kaum zugänglich. Trotzdem: Wer diesen literarischen Querschläger, der leider auf Deutsch vergriffen ist, in die Finger bekommt, sollte ihn sich nicht entgehen lassen.

        Freitag, 18. Februar 2011

        Mari Akasaka

        Mari Akasaka (Jahrgang 1964) studierte Politikwissenschaften und verdingt sich primär als Zeitschriftenredakteurin. Bisher ist nur in Buch „Vibration“ auf Deutsch erhältlich, das in Japan auch verfilmt wurde. In ihren Werken beschreibt sie unter anderem die „lost generation“; die japanische Jugend, die ihre Zuflucht in Sex und Shopping sucht. Gesellschaftskritik übt sie aber auch generell; sei es mit Kritik an den Massenmedien, an dem Bild der Frau oder durch das Anprangern der fehlenden Möglichkeiten für individuelle Lebensentwürfe in der japanischen Gesellschaft.

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        Ins Deutsche übersetzte Romane und hier rezensiert:

          Donnerstag, 17. Februar 2011

          „Mord am See“ von Keigo Higashino

          „Mord am See“ von Keigo Higashino ist leider eine etwas fade Version von Hercule Poirot meets Japan: Der japanische Poirot nennt sich Shunsuke, dessen Sohn mit drei weiteren Sprösslingen wohlhabender Eltern in einem Ferienhaus für die Aufnahmeprüfung einer Privatschule fit gemacht werden soll. Während die Kinder in einem angemieteten Ferienhaus unterrichtet werden und schlafen, nächtigen alle vier Elternpaare im Haus des resoluten Fujima.

          Als Shunsukes Geliebte Eriko unangemeldet vorstellig wird, nimmt das Unglück seinen Lauf: In Shunsukes Abwesenheit wird Eriko ermordet – offensichtlich von Shunsukes Ehefrau, die Eriko im Affekt und rasend vor Eifersucht erschlagen hat.

          Statt die Polizei zu alarmieren, wird Shunsuke von Fujima überzeugt, die Leiche gemeinsam im nahegelegenen See zu versenken: Es sei mit Hinblick auf die Ehefrau, das gemeinsame Kind und die gesellschaftliche Stellung das Beste. Shunsuke plagen jedoch Zweifel an der ihm präsentierten Todesursache Erikos. Er sammelt Indiz um Indiz, um schließlich im Stile eines Hercule Poirots vor versammelter Mannschaft die wahren Geschehnisse aufzudecken. Und die sind dann für den Leser überraschender als erwartet.

          Die Idee hinter „Mord am See“ ist durchaus toll durchdacht. Nur leider fehlt mir der Zugang zur Figur des Shunsuke. Als seine Geliebte Eriko verstirbt, fehlt die Wut, die Verzweiflung, die Trauer. Die Leiche wird effektiv entsorgt, Shunsuke funktioniert perfekt und wirkt sehr distanziert. Selbst die enorme Spannung, die unter den Erwachsenen in einer derartigen Situation herrschen müsste, wird kaum spürbar. Hätte der Autor noch etwas nachjustiert, wäre aus „Mord am See“ bestimmt ein spannendes Leseerlebnis geworden. So bleibt der Roman aber irgendwie stecken und kann nur bedingt begeistern.

          Wer dennoch neugierig auf „Mord am See“ geworden ist, wird derzeit super bei Jokers fündig: Ein neues Hardcover-Exemplar ist für EUR 3,95 statt EUR 12,50 zu haben.

          Mittwoch, 16. Februar 2011

          „Die Umarmung des Todes“ von Natsuo Kirino

          Der „Umarmung des Todes“ von Natsuo Kirino wird ein Zitat von Flannery O’Connor vorangestellt: „Der Weg in die Verzweiflung besteht in der Weigerung, jegliche Art von Erfahrung zu machen.“

          Verzweifelt sind alle vier Hauptakteurinnen, die zusammen in einer Firma für Lunchpakete Fließbandarbeit in der Nachtschicht verrichten. Masako ist enttäuscht von der japanischen Arbeitswelt, in der sie als Frau keine Aufstiegschancen hat und in der Ambitionen von Frauen abgestraft werden. Ihr Ehemann hat sich von der Familie zurückgezogen und ihr Sohn spricht nicht mehr mit ihr. Kuniko ist hoch verschuldet, da sie glaubt, nur durch Konsum glücklich zu werden und ist chronisch unzufrieden mit ihrem Aussehen. Die Witwe Yoshie ist an ihre pflegebedürftige Schwiegermutter gebunden. In der Nachtschicht kann sie zur Sozialhilfe etwas dazuverdienen, während sie sich tagsüber ausschließlich um den Pflegefall kümmern muss. Trotz der Einnahmen lebt sie am absoluten Limit. Yayois Ehemann Kenji ist dem Glücksspiel und einer attraktiven Hostess verfallen und verprasst nicht nur seine kompletten Einnahmen, sondern auch alle Ersparnisse. Yayois Lohn aus der Nachtschicht muss herhalten, um die Familie inklusive der beiden Söhne über Wasser zu halten.

          In einem nächtlichen Streit erwürgt Yayoi ihren Ehemann – und bittet ihre Kollegin Masako um Hilfe. Gemeinsam mit den beiden anderen Frauen wird Kenjis Leiche entsorgt, während Yayoi vor der Polizei die trauernde Witwe gibt. Den Vieren spielt in die Hände, dass Kenji am Tage seines Todes mit einem Yakuza Satake in Streit geraten war, der nun als Hauptverdächtiger gilt. Somit könnte sich alles in Wohlgefallen auflösen, wäre da nicht Kunikos Gier und Satakes Rachegedanken.

          Der Originaltitel von „Die Umarmung des Todes“ lautet „Out“ – und Outsider sind die Protagonisten des Romans. Daher ist der Roman nur bedingt ein Thriller oder Kriminalroman. Er ist vielmehr ein „feminist noir“: Es geht um Frauen, die sich mit mehr als drastischen Methoden emanzipieren und sich von ihrem bisherigen Leben befreien.

          Die Erzählperspektive des Romans wechselt mit jedem Kapitel. Sowohl die Motivationen der verschwenderischen Kuniko als auch die des sadistischen Satake werden dem Leser plausibel und die Darsteller somit trotz aller Fehler sogar ein bisschen sympathisch.

          Einzig die Gedankensprünge und Motivationen von Masko auf den letzten Seiten des Romans waren mir nicht ganz nachvollziehbar. Insgesamt aber ein Buch, das einen nicht mehr loslässt!

          Sonntag, 13. Februar 2011

          "Der Ringfinger" von Yoko Ogawa

          Laut Herrn Deshimaru gibt es nichts, das er nicht präparieren kann. Und der Bedarf an Präparaten ist da: Die Menschen finden ihren Weg zu ihm, obwohl sein Labor, das in einem ehemaligen Mädchenwohnheim untergebracht ist, kein Firmenschild hat und nicht im Telefonbuch steht. Herr Deshimaru präpariert Pilze, das Skelett eines Javafinkens und sogar die Töne einer Partitur.

          Nachdem die Ich-Erzählerin einen Arbeitsunfall in ihrer alten Firma hatte, nimmt sie die Stelle als Herrn Deshimarus Assistentin an. In dem verlassenen, stillen Mädchenwohnheim, das außer dem Labor noch die Wohnungen zweier alter Damen beherbergt, arbeitet sie in ihrem Büro, empfängt die Kunden und dokumentiert die zu präparierenden Objekte, während Herr Deshimaru im Labor im Keller, zu dem nur er Zutritt hat, die Präparate erstellt.

          Während das Arbeitsleben vor sich hin plätschert, fühlt sich die Ich-Erzählerin immer stärker von Herrn Deshimaru angezogen. Ob sein Geschenk an sie – viel zu gut sitzende Lederschuhe, die mit ihr eins zu werden scheinen – einen Einfluss auf sie haben? Und dann kommt auch noch die Warnung einer der Nachbarinnen: Einige ihrer Vorgängerinnen sind auf Nimmerwiedersehen verschwunden…

          Yoko Ogawa gelingt es auf nur 110 Seiten, ein beklemmendes und spannendes Bild der Situation im ehemaligen Mädchenwohnheim zu zeichnen. Phantastische Elemente paaren sich mit der Unterwürfigkeit der Ich-Erzählerin, die sich dem älteren Chef hingibt. Leider lesen sich die 110 Seiten viel zu schnell – und machen süchtig nach noch mehr Lesestoff von Yoko Ogawa.