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Dienstag, 30. August 2011

„Untergrundkrieg – Der Anschlag von Tokyo“ von Haruki Murakami

Haruki Murakamis Buch „Untergrundkrieg – Der Anschlag von Tokyo“ schlägt ein bisschen aus der Reihe. Denn hier handelt es sich (leider) nicht um erfundene Geschichten, sondern um tragische Zeitgeschichte. Haruki Murakami lässt in „Untergrundkrieg – Der Anschlag von Tokyo“ Betroffene und Zeugen des Giftgasanschlags in Tokio zu Wort kommen. Am 20. März 1995 setzten fanatische Anhänger der Aum-Sekte das Giftgas Sarin in mehreren Zügen der Tokioter U-Bahn frei. Zwölf Menschen starben, Tausende wurden verletzt.

Haruki Murakami gibt den Hinterbliebenen und Überlebenden, die teilweise immer noch unter massiven Schäden leiden, mit „Untergrundkrieg – Der Anschlag von Tokyo“ eine Stimme. Wertungsfrei lässt der Autor die Menschen von ihren subjektiven Eindrücken erzählen, was beim Leser ein ums andere Mal für Beklemmung sorgt. Es zeigt sich, wie zerbrechlich der Alltag doch ist: Ein verpasster Linienbus, ein Meeting in einem anderen Büro, ein späteres Frühstück und schon sorgt ein Zufall dafür, dass man eine Katastrophe durchlebt.

Den abstrakten Opferzahlen stellt Haruki Murakami die individuellen Schicksale gegenüber und illustriert das Grauen des Anschlags so authentisch, dass man beim Lesen vor Erschütterung eine Gänsehaut bekommt.

In der deutschsprachigen Version von „Untergrundkrieg – Der Anschlag von Tokyo“ sind den Interviews der Betroffenen die von Sektenangehörigen nachgestellt. Im Japanischen erschien der erste Teil separat und erst auf Nachfrage der interessierten Öffentlichkeit interviewte Haruki Murakami auch Mitglieder der Aum-Sekte. Die Sektenangehörigen haben somit eigentlich nicht das letzte Wort, wie der Blick ins deutsche Inhaltsverzeichnis vermuten lässt.

Diverse (Ex-)Aum-Anhänger schildern ihren Weg in die Sekte, die Reaktionen auf den Anschlag und ihren Alltag danach. Dabei scheinen Haruki Murakamis Erkenntnisse über die Motive der Sektenangehörigen Theodor Adorno Recht zu geben: Der moderne Mensch sehnt sich gewissermaßen zurück zur Unmündigkeit eines Kindes, das durch die Eltern angeleitet wird. Den großen Führer fanden die Aum-Anhänger in Shoko Asahara. Und auch eine weitere Erkenntnis ist höchst soziologisch: Die Gründe, sich einer Sekte anzuschließen, sind der jeweiligen Gesellschaft immanent. Eine Trennung in die Fanatiker und die Normalen ist insofern nicht zulässig.

Haruki Murakamis „Untergrundkrieg – Der Anschlag von Tokyo“ ist ein bestürzendes Stück Zeitgeschichte, das ähnlich wie seine Romane aufzeigt, dass selbst die schockierendsten Visionen Realität werden können.

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