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Dienstag, 26. Juli 2011

Ruriko Pilgrim

Über die Autorin Ruriko Pilgrim lässt sich leider nicht allzu viel in Erfahrung bringen: Sie wuchs in Japan und der Mandschurei auf, studierte an der Columbia-Universität/New York Anthropologie bei der legendären Margaret Mead und wurde zusammen mit ihrem Mann und ihren drei Kindern zu wahren Globetrottern. Derzeit lebt sie in Großbritannien.

Ihr einziger ins Deutsche übersetzte Roman „Frühlingsnebel“ basiert auf der Lebensgeschichte ihrer Mutter.

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Ins Deutsche übersetzte Romane und hier rezensiert:

Montag, 25. Juli 2011

„Eine Klinik in Tokyo“ von Shusaku Endo

Der Titel „Eine Klinik in Tokyo“ ist für den Roman von Shusaku Endo glatt etwas zu kurz gegriffen. Denn einerseits wird die Geschichte von Eiichi, einem Arzt in besagter Klink, erzählt, doch den Erinnerungen von Eiichis Vater Ozu wird fast noch mehr Platz eingeräumt: Anfang der 30 Jahre besucht Ozu die Mittelschule und verlebt mit seinem besten Freund Plattfisch eine bittersüße Jugend – beide sind verliebt in dasselbe Mädchen und unternehmen stümperhafte Versuche, ihr näher zu kommen. Als der zweite Weltkrieg beginnt, wird Plattfisch zuerst eingezogen. Ozu ist voererst noch zurückgestellt, muss sich dann aber auch zum Kriegsdienst melden. Die beiden Freunde werden sich nie wiedersehen.

Eiichi, Ozus Sohn, ist angewidert von der Kriegsgeneration mit ihrer antiquierten Weltanschauung. Fortschrittsglaube und Karrierebewusstsein prägen Eiichi. Es ist unausweichlich, dass es zu Spannungen zwischen Eiichi und Ozu kommt, die unter einem gemeinsamen Dach wohnen. Verschärft wird der Generationskonflikt, als eine Frau als Eiichis Patientin ins Krankenhaus eingeliefert wird, die Ozu einst aus der Ferne anschwärmte.

Shusako Endo hat mit „Eine Klinik in Tokyo“ ein ihm wohlbekanntes Setting und ihm geläufige Krankheitsbilder gewählt: Jahrelang lag er selbst mit einem Lungenleiden im Krankenhaus.

„Eine Klinik in Tokyo“ ist ein Roman, der Wehmut macht: Wehmut nach der sorgenfreien Schulzeit, Wehmut nach einer verlorenen Jugend, Wehmut nach den kleinen Dingen im Leben und Wehmut nach Freunden, die man mit der Zeit verliert. Die junge Generation erscheint neben der Kriegsgeneration oberflächlich und karrieregeil, auch wenn es idealistische Ausnahmen gibt.

Freitag, 22. Juli 2011

Shusaku Endo

Shusaku Endo wurde 1923 in Tokio geboren, zog aber kurz darauf mit seiner Familie in die damals von Japan annektierte Mandschurei. Er kehrte mit seiner Mutter in deren Heimatstadt Kobe zurück, als sich die Eltern scheiden ließen. Beeinflusst durch eine Tante konvertierten Mutter und Sohn zum Katholizismus. Mit 12 Jahren wurde Shusaku Endo getauft und gehörte damit zu einer katholischen Minderheit, die nur etwa ein Prozent der japanischen Gesellschaft ausmachte. Doch der Junge fühlte sich sehr unwohl mit dem neuen Glauben und wurde in der Schule aufgrund der westlichen Religion gehänselt.

In den 50er Jahren ging er als einer der ersten japanischen Austauschstudenten nach dem zweiten Weltkrieg nach Frankreich. Doch auch hier war er als Ausländer ein Außenseiter – trotz des verbindenden christlichen Glaubens. Neben einer Depression erkrankte Shusaku Endo zudem noch an Tuberkulose; ein Lungenflügel musste entfernt werden.

Während seines Studiums beschäftigte sich Shusaku Endo intensiv mit den Theorien von Jacques Maritain und der französischen, christlichen Literatur. Insbesondere Francois Maurian begeisterte den Studenten.

Bevor er nach Japan zurückkehrte, besuchte er Palästina. Hier versöhnte er sich schließlich mit dem christlichen Glauben, da auch Jesus lebenslang als Außenseiter behandelt wurde und sich selbst dem Dienst an Geächteten, Minderheiten und Outsidern verschrieben hatte. Dennoch war ihm die katholische Religion zu strikt.

Mitte der 50er Jahre begann Shusaku Endo mit dem Schreiben. Seinen ersten Erfolg feierte er bereits 1955, als er den Akutagawa-Preis für "Weiße Menschen" erhielt. In der darauf folgenden Zeit veröffentlichte er ca. einen Roman pro Jahr: Insgesamt 45 an der Zahl. In seinen Werken wird insbesondere der Kulturkonflikt zwischen Westen und Osten und die paradoxe Situation der japanischen Christen thematisiert. Shusaku Endo gewann so gut wie jeden namhaften japanischen Literaturpreis.

1996 starb der Autor an einer Lungenentzündung.

Interessante Links:


Ins Deutsche übersetzte Romane/Erzählungen und hier rezensiert:

          Sonntag, 17. Juli 2011

          „Grotesk“ von Natsuo Kirino

          Grotesk – so ist die japanische Gesellschaft und so werden die Menschen, die in ihr leben. Natsuo Kirino, bekannt dafür, Gesellschaftskritik und Hard-boiled-Genre zu verbinden, beschreibt das Schicksal von vier Schülerinnen bis zum Alter von Ende 30: Die namenlose Ich-Erzählerin hat eine wunderhübsche jüngere Schwester namens Yuriko, die nymphomanisch veranlagt ist. Durch ihre Schönheit wird sie sofort in den Insiderinnen-Kreis der Schule aufgenommen. Die Ich-Erzählerin fährt eine Vermeidungsstrategie: Da sie sich bewusst ist, in Konkurrenz zu Yuriko immer zu verlieren, geht sie erst gar nicht auf jedweden Kampf um Beliebtheit, Schönheit und Intelligenz ein. Sie bleibt am Rand des schulischen Mikrokosmos, der als Symbol für die Gesellschaft Japans steht: Ein ständiger Leistungsdruck lastet auf den Schülerinnen, immer die Beste in jedwedem Lebensbereich zu sein, wenn sie nicht ohnehin schon zu den Reichsten der Reichen gehören. Auch Mitsuru und Kazue glauben daran, dass sie nur genug lernen müssen, um schließlich einen erfolgreichen Karriereweg einschlagen zu können. Doch während Mitsuru von Natur aus höchst intelligent ist und Wissen wie ein Schwamm aufsaugt, versucht Kazue die ihr fehlenden Kapazitäten mit Fleiß auszugleichen. Jedes der vier Mädchen versucht auf seine Weise, das Leben zu meistern. Yurikos Waffe ist der Sex, mit dem sie Macht über Männer ausüben kann. Mitsuru verlässt sich auf ihre Intelligenz. Die Ich-Erzählerin baut sich eine Mauer aus Hass auf. Und Kazue mag es am schlimmsten treffen: Auf der permanenten Jagd nach Anerkennung ihrer Schönheit und ihres Wissens verliert sie jedweden Bezug zur Realität. Jahre später werden Yuriko und Kazue, beide zwischenzeitlich Prostituierte auf dem Straßenstrich Tokios, zeitversetzt aber auf dieselbe Weise ermordet.

          Wie in „Die Umarmung des Todes“ wird „Grotesk“ aus den unterschiedlichen Blickwinkeln der Protagonistinnen erzählt: Die Tagebücher der beiden toten Frauen, ein schriftliches Geständnis des mutmaßlichen Mörders, Briefe an Mitsuru, Gerichtsakten und die Erinnerungen der Ich-Erzählerin. Doch während der Perspektivenwechsel in „Die Umarmung des Todes“ die Spannung wunderbar anheizen kann, hat „Grotesk“ dadurch seine Längen, auch wenn sich der knapp 650-seitige Wälzer insgesamt sehr flüssig liest.

          „Die Umarmung des Todes“ lässt noch einen Befreiungsschlag der Frauen zu. Doch „Grotesk“ zeichnet ein sehr negatives Bild: Die Frau in Japan ist zum Scheitern verurteilt. Nur durch Sex kann sie kurzzeitig Macht über einen Mann ausüben.

          Auch an privaten Oberschulen lässt Kirino Natsuo kein gutes Haar: Die reichsten Töchter, die schon seit der Grundschule auf eine Privatschule gehen können, bleiben unter sich und quälen die weniger gut situierten Mitschülerinnen. Markenwahn zwingt die Outsiderinnen zur Anpassung. Chancengleichheit ist nichts als Illusion.

          „Grotesk“ zeigt den Abstieg der Frauen, die als Oberschülerinnen noch glaubten, eine glänzende Zukunft haben zu können. Und auch wenn der Roman nicht an die Spannung von „Die Umarmung des Todes“ heranreicht und ein eher unstimmiges Ende nimmt, ist er ein eindrückliches Stück Gesellschaftskritik.

          Samstag, 16. Juli 2011

          „Federkleid“ von Banana Yoshimoto

          Nachdem ihr Geliebter sich von Hotaru trennt und bei seiner Ehefrau bleibt, steht sie vor einem Scherbenhaufen. Jahrelang hat sie sich über den Status der Geliebten definiert, hat auf die Zeit, die sie mit ihrem Liebhaber verbringen konnte, hingeharrt. Doch plötzlich steht sie ohne alles da, wohnt in dem ehemaligen Liebesnest, in dem sie permanent nur an den Verlust des Geliebten erinnert wird.

          Da packt Hotaru ihre sieben Sachen und kehrt in ihren Heimatort zurück, dessen Rhythmus sich an den Fluss anpasst, der das Städtchen durchzieht. Im Schuppen im Garten ihrer Großmutter haust sie und arbeitet in deren Café mit. Sie trifft ihr einstmals wichtige Personen wieder und beginnt, sich wieder wohl in ihrer Haut zu fühlen. Mehr noch: Sie fühlt sich wie in ein wärmendes Federkleid gehüllt.

          „Federkleid“ von Banana Yoshimoto zeichnet eindrücklich das Bild einer verlassenen Geliebten, die wie aus heiterem Himmel vor dem Nichts steht, und ihrem mühseligen Weg zurück in die Normalität. Doch „Federkleid“ ist alles andere als trübsinnig: Über Hotarus Heimatort schwebt das Gefühl von Hoffnung, dass alle Menschen ihren Weg zum Glück finden werden. Der Verlust eines geliebten Menschen – egal ob er durch Trennung oder Tod entstanden ist – kann überwunden werden. Denn es gibt genug Menschen, die den Trauernden weiterhelfen. Und da sind auch noch die guten Geister der Verstorbenen, die ihren Beitrag leisten. Die kleinen Ausflüge ins Fantastische unterstreichen die märchenhafte Atmosphäre, die sich in „Federkleid“ ausbreitet.

          Donnerstag, 14. Juli 2011

          „Gold und Silber“ von Junichiro Tanizaki

          Das Talent des Malers Aono steht für Gold, nur in der Liga von Silber spielt sein Konkurrent Okawa: Aono gilt als der Genialere der beiden, während Okawa eifersüchtig auf die Werke Aonos ist. Doch auch hinsichtlich ihrer Wesenszüge und Solvenz könnten die beiden nicht unterschiedlicher sein. Aono ist verarmt und aufgrund seiner gemeinen Wesenszüge gesellschaftlich geächtet. Okawa dagegen rühmt sich seines Edelmutes und kann aufgrund des Vermögens seiner Eltern auf ein finanzielles Polster zurückgreifen. Dumm nur, dass beide dieselben Sujets für ihre Kunstwerke wählen – inklusive des Modells Eiko, das für beide posiert. Eiko ist eine Femme Fatale: Aono ist ihr verfallen, lässt sich von ihr demütigen und bezeichnet sich selbst als Masochist. Auch bei Okawa versucht Eiko ihr Glück. Doch dieser ist sich der Gefahr bewusst, die von Eiko ausgeht: Sie ist hintertrieben und nur auf Geld aus.

          Für eine Ausstellung sind beide Maler fleißig am Werk, je ein Gemälde zu schaffen. Okawas Neugier treibt ihn zu Aono, um dort schon vorab einen Blick auf dessen Bild zu werfen. Entsetzt muss Okawa feststellen, dass er mit dem malerischen Genie Aonos nicht mithalten kann. Um sich seines überlegenen Kontrahenten zu entledigen, heckt Okawa einen Plan aus…

          „Gold und Silber“ nimmt einige typische Junichiro Tanizaki-Motive auf: Masochismus, eine Femme Fatale und eine Dreiecksgeschichte, wie sie der Autor selbst einmal pflegte. Ebenso biographisch ist das Thema des künstlerischen Genies.

          Trotz der spannenden Zutaten bleibt „Gold und Silber“ leider irgendwie blutleer. Die Charaktere erlauben keinerlei Identifikation oder Sympathie und die seitenweisen Selbstreflektionen wirken eher ermüdend, als dass sie Zugang zu den Protagonisten schaffen würden.

          Montag, 11. Juli 2011

          „Train Man“ von Hitori Nakano

          „Train Man“ ist alles andere als ein fiktiver Roman. Es ist die Aufzeichnung eines Postingverlaufs innerhalb des japanischen Internetforums 2channel. Daher ist der „Autor“ Hitori Nakano (= „einer von ihnen“) nichts anderes als das Pseudonym eines Chatmitglieds, das den Verlauf des Threads als Buch publizierte. Der Erfolg ließ nicht auf sich warten: „Densha Otoko“, wie „Train Man“ im Japanischen heißt, wurde als Kinofilm und als TV-Serie verfilmt. Ebenso gibt es neben dem Thread-Verlauf als Buch auch eine Version als Manga.

          Der Nerd Train Man, wie er im Thread genannt wird, ist ein einsamer Videogamer und Manga-Fan. Als er in der U-Bahn zwei Frauen vor einem betrunkenen, unangenehmen Kerl schützt, zeigt sich die jüngere der beiden als besonders dankbar: Sie schenkt ihm zwei Tassen von Hermès. Train Man bittet die Forenmitglieder um Hilfe: Er ist noch Jungfrau, hat noch nie mit einer Frau gedatet und fühlt sich von der jungen Frau, die im Thread nach der Marke ihres Geschenkes Hermès genannt wird, angezogen. Die Solidarität und die Tipps der Nerds geben Train Man die Kraft, aus seiner Haut zu kommen: Er geht zum Friseur, schafft sich neue Klamotten an und rüstet sich für sein erstes Date. Während die Internetgemeinschaft neugierig am Bildschirm ausharrt, um im Forum Neues von Train Man zu lesen, macht er langsam Fortschritte mit Hermès.

          Trotz der 425 Seiten des Buches passiert in „Train Man“ nicht allzu viel. Und doch fängt der Thread die Spannung ein, die die User in real time wohl gehabt haben: Da ist eine reale Person, die sich verliebt hat und die sich nach dem Objekt der Begierde verzehrt. Ob die beiden wohl zusammenfinden?

          Wer sich noch mehr über das Phänomen Train Man wissen will, der findet z.B. auf Flaregamer die entsprechenden Infos.

          Sonntag, 10. Juli 2011

          „Das anarchische Aschenputtel“ von Hiromi Ito & Masahiko Nishi

          Hiromi Ito und ihr Ex-Ehemann Masahiko Nishi widmen sich mit „Das anarchische Aschenputtel“ Grimms Märchen und den japanischen Sekkyo-Erzählungen und stellen allerhand interessante Thesen auf. Sind in den Märchen deswegen die Männer so passiv und die Frauen so aktiv, weil es Frauen waren, die die Märchen erzählt haben? Was hat es mit dem Wald auf sich, in den es Kinder und Frauen oft verschlägt? Steckt in jeder Mutter nicht auch der Wunsch, als böse Stiefmutter die Kinder im Wald auszusetzen? Welche Rolle spielt in den Märchen Sodomie?

          Darüber hinaus werden in einer herrlich schnoddrig-umgangssprachlichen Art die Sekkyo-Erzählungen kurz illustriert: Da wären unter anderem „Oberst Iguri“, der nach 72 Ehen endlich seine wahre Liebe Terute trifft, ermordet wird, als ein groteskes Figürchen wieder aufersteht, geläutert in seine wahre Gestalt zurückkehrt und Rache nimmt. „Der reiche Sansho“ versklavt ein Geschwisterpaar: Der Bruder Zushio kann entkommen, während die Schwester Anju zu Tode gefoltert wird. Zushio kann schließlich Rache für Anjus Tod am reichen Sansho nehmen. Und auch „Shintokumaru“, „Aigonowaka“, „Das Weib aus Shinoda“, „Urikohime“ und „Momotaro“ werden vorgestellt um schließlich mit den Märchen der Gebrüder Grimm und Kafkas Gregor aus „Die Verwandlung“ verglichen zu werden.

          Doch „Das anarchische Aschenputtel“ ist alles andere als ein wissenschaftlicher Text. Vielmehr erscheint es so, als ob Hiromi Ito und Masahiko Nishi ihren Gedanken freien Lauf lassen, Thesen aufstellen, um sie an anderer Stelle vielleicht wieder zu verwerfen. Schließlich kommen sie aber doch zu einem wesentlichen Schluss zum Thema Märchen:

          „Wir sollten sie unbedingt als nichtabgeschlossene, zusammenhängende Geschichten lesen. Die Tatsache, dass sich so viele Märchen in Aufbau und Stil ähneln, zeigt, dass auf Leute Rücksicht genommen wurde, die sie wie wir als Fortsetzungsgeschichte lesen wollen.“ (S. 113)  

          Samstag, 9. Juli 2011

          Hiromi Ito

          Hiromi Ito, Jahrgang 1955, ist in Japan eine der bekanntesten modernen Autorinnen. In den 80ern machte sie vor allem mit ihren Gedichten über Schwangerschaft, Sexualität und erotischem Verlangen auf sich aufmerksam. Hiromi Ito dichtet jedoch nicht in einer kunstvollen Sprache, sondern hat sich der Umgangssprache verschrieben. Die Themen provozieren: In „Kanoko töten“ verarbeitet sie die Erfahrung einer Abtreibung mit einem „Herzlichen Glückwunsch zur Vernichtung“.

          Hiromi Ito erweitert beständig die Quellen ihrer Inspiration: Von indianischen Sprachgepflogenheiten über Popsongs der 60er bis hin zu den Märchen der Gebrüder Grimm.

          Derzeit pendelt Hiromi Ito zwischen Kalifornien und Kumamoto in Südjapan.

          Interessante Links:
          Hier rezensiert:

            Weitere ins Deutsche übersetzte Romane:

            • Dornauszieher
            • Hundeherz

             

            Donnerstag, 7. Juli 2011

            „Die Trauminsel“ von Keizo Hino

            „Ich mag Leute wie Sie, die ihr Leben gelebt und sich verrannt haben. Kann junge Männer nicht leiden. Die reden viel daher, ohne gelebt zu haben. Kommen Sie nun mit?“ (S. 100)

            … sagt die halbstarke Motorradfahrerin Yoko zu Shozo.

            Der Witwer Shozo hat 30 Jahre seines Lebens damit zugebracht, in seiner Baufirma beim Wiederaufbau des nach dem zweiten Weltkrieg in Trümmern liegenden Tokios zu helfen. Für Wolkenkratzer und Architektur kann er sich mehr begeistern als für die Suche nach einer neuen Lebenspartnerin. Ein Wendepunkt tritt ein, als er das „Neuland“ betritt, das sich vor Tokio bildet: Eine Mischung aus Erde und Abfall dient zur Neulandgewinnung an der Küste. Die Verwesung des Mülls und die Abgelegenheit der Gegend fasziniert Shozo, er blüht regelrecht auf und lebt für die Sonntage, die er auf dem „Neuland“ verbringt. Doch noch ein weiteres Faszinosum tritt in Shozos Leben: Die unnahbare, wilde Motorradfahrerin Yoko, die vom Neuland genauso angezogen wird wie Shozo.

            Keizo Hino thematisiert mit „Die Trauminsel“ aber vor allem die Megalopolis im Verhältnis zur Natur. In der Großstadt als auch in der Natur ist alles dem Verfall und dem Sterben geweiht. Doch die Stadt ist zerstörerisch und kann in letzter Konsequenz dazu führen, dass die Menschen nur noch hohl wie Schaufensterpuppen ihr Dasein fristen. Versöhnlich bleibt:

            „Die Kraft, die endlos Müll und Kadaver hervorbringt und diese dann wieder in winzige Stoffe zerfallen lässt, schafft auch wieder neues Leben.“ (S. 160)

            Keizo Hinos „Die Trauminsel“ reflektiert in eindrücklichen Bildern über das Phänomen der Mega-City, die gleichzeitig fasziniert, entfremdet, kreativ wirkt und zerstört.

            Dienstag, 5. Juli 2011

            Keizo Hino

            Keizo Hino wurde 1929 in Tokio geboren. Da sein Vater nach Korea versetzt wurde, lebte Keizo Hino im Alter von sechs bis 16 in der damaligen japanischen Kolonie. Mit dem Ende des zweiten Weltkriegs kehrte die Familie nach Japan zurück und musste die Erfahrung machen, in Japan als Außenseiter zu gelten, da sie in Korea keine Teilhabe an der japanischen Kultur hatte.

            Keizo Hino absolvierte die Staatliche Universität Tokio und wurde 1952 Mitarbeiter der Yomiuri Shimbun. Als Auslandskorrespondent berichtete er unter anderem während des Vietnamkriegs aus Saigon. Hier kam er zu dem Entschluss, dass er durch Fiktion seine Überzeugungen klarer artikulieren konnte als durch Tatsachenberichte.

            1975 erhielt er den Akutagawa-Literaturpreis. Das Hauptthema seines literarischen Schaffens war die Megalopolis Tokio, die im permanenten Wachstum und ständiger Veränderung begriffen ist und die Einwohner einerseits verstört und entfremdet; sie aber auch gleichzeitig fasziniert und in den Bann zieht. Sein Sujet umfasste auch das Verhältnis der Stadt zur Natur.

            Keizo Hino starb im Jahr 2002.

            Interessante Links:


            Ins Deutsche übersetzte Romane/Erzählungen und hier rezensiert:

            „Der Schatten der blauen Katze“ von Naoyuki Ii

            Noayuki Iis Roman „Der Schatten der blauen Katze“ thematisiert gleich mehrere Probleme der japanischen Gesellschaft: Unter anderem das Abschieben von älteren Angestellten, Arbeitslosigkeit, Armut und Generationskonflikt.

            Der Roman dreht sich um Yayima, einen Mann um die 50 Jahre, der nach dem Platzen der Wirtschaftsblase in eine aufreibende Abteilung abgeschoben wird. Von seinem Freund übers Ohr gehauen rutscht er in die Arbeitslosigkeit. Doch mit familiärem Rückhalt durch seine Frau und Engagement einer Freundin gelingt es ihm, sich erfolgreich selbstständig zu machen. Doch nun liegt das Privatleben im Argen: Seine Tochter Ryu hat Probleme in der Schule, beginnt sich die Nächte in der Stadt um die Ohren zu schlagen und hat Kontakt zu zwielichtigen Gestalten. Zudem liegt der Freund, der ihn einst betrogen hat, im Sterben.

            Parallel wird von Yayimas erster Ferienliebe im Teenageralter und von den sexuellen Eskapaden seines Onkels erzählt..

            Das erste Drittel von Naoyuki Iis „Der Schatten der blauen Katze“ ist turbulent, mitreißend und spannend. Leider flacht die Handlung etwas ab, als der Protagonist Yayima ins Philosophieren über In- und Outgroup-Phänomene gerät. Und auch in der weiteren Handlung hält er immer wieder den moralischen Zeigefinger hoch, während er sich doch insgeheim über den baldigen und unausweichlichen Tod seines ehemaligen Freundes freut. Das macht ihn zu einem unangenehmen Charakter, mit dem man sich als Leser so gar nicht identifizieren mag. Schade, dass der Rest vom Buch mit dem grandiosen ersten Drittel nicht mehr mithalten kann – ist hier dem Autor etwas der Drive abhanden gekommen? Vielleicht mag dieser Eindruck auch damit zusammenhängen, dass sich der Roman nicht entscheiden will, ob er ein Wirtschaftsthriller, Familiendrama oder einfach nur ein bisschen böse Unterhaltung sein will.

            Montag, 4. Juli 2011

            Naoyuki Ii

            Über Naoyuki Ii lässt sich im Internet relativ wenig in Erfahrung bringen: Er wurde 1953 geboren, 1978 schloss er sein Geschichtsstudium mit einem Schwerpunkt auf Archäologie und Ethnologie an der Keio-Universität ab. 1983 erhielt er für seinen ersten Roman den Gunzo-Literaturpreis. Es folgten der Noma-Preis (1989), der Hirabayashi Taiko-Preis (1994) und der Yomiuri-Preis (2001). Derzeit unterrichtet der zwischenzeitlich zum Professor berufene Naoyuki Ii kreatives Schreiben an der Tokai-Universität.

            Interessante Links:

            Ins Deutsche übersetzte Romane und hier rezensiert:

            Sonntag, 3. Juli 2011

            „Tsubame“ von Aki Shimazaki

            Yonhi und ihre Mutter sind Koreanerinnen und erleben das Große Kanto-Erdbeben im Jahr 1923. In einer fremdenfeindlich-aufgeheizten Atmosphäre gibt die Mutter ihr Kind bei einem katholischen Priester in Obhut, schärft Yonhi ein, dass sie sich Mariko nennen und ihre koreanische Abstammung verheimlichen soll. Die Mutter begibt sich auf die Suche nach Yonhis Onkel. Beide wird Yonhi/Mariko nie wieder sehen.

            Jahre später wird die Exhumierung von Opfern der Ausschreitungen gegen die Koreaner geplant. Mariko ist zwischenzeitlich Großmutter und konnte Zeit Lebens den Anschein der japanischen Abstammung aufrechterhalten. Zum Ende ihres Lebens offenbart sie nun endlich einer Person ihr jahrzehntelang gehütetes Geheimnis und erfährt schließlich, wer ihr Vater ist.

            Wie auch in Aki Schimazakis „Tsubaki“ wird nicht allzu sehr auf das Leid der Protagonistin eingegangen. Der Charme von „Tsubame“ liegt eher darin, dass der Roman die Geschichte von „Tsubaki“ aus einer anderen Perspektive erzählt (freilich muss man „Tsubaki“ nicht vor „Tsubame“ gelesen haben). Wer hätte gedacht, dass Yonhis/Marikos Leid nicht aus der unheilvollen Liebschaft zu Yukikos Vater entspringt, sondern sich ganz andere Erfahrungen viel tiefer in ihrer Seele eingenistet haben und ihr Denken und Leben bestimmen.

            Samstag, 2. Juli 2011

            „Liebe am Papierrand“ von Yoko Ogawa

            „Liebe am Papierrand“ ist vielleicht der ruhigste unter den ins Deutsche übersetzten Romanen von Yoko Ogawa: Nachdem ihr Ehemann die Protagonistin und Ich-Erzählerin verlassen hat, beginnen deren Hörprobleme. Zunächst klingt es wie Flötenspiel, bis die Störung so extrem wird, dass sich die Ich-Erzählerin in ein Krankenhaus einweisen lassen muss. Die Ohren sind so empfindlich und überreizt, dass selbst normale Klänge zur Qual werden.

            Während der Rekonvaleszenz wird sie von einem Gesundheitsmagazin zum Interview über Ohrprobleme gebeten. Y ist der Stenograph des Interviews und fällt der Ich-Erzählerin durch seine Hände auf. Von den Händen abgesehen wäre Y ein unspektakulärer Mann, doch seine flinken Stenographenfinger üben eine enorme Anziehung auf die Protagonistin aus.

            Die Hörprobleme der Ich-Erzählerin ändern sich etwas. Sie meint, das Geigenspiel ihres im Alter von 13 Jahren verschwundenen Jugendfreundes zu hören. Sie bittet Y, seine Stenofähigkeiten der Geschichte ihrer Ohren zu widmen. Doch der Stenoblock hat nur ein beschränkte Anzahl von Seiten - und dann wird vielleicht auch Y wieder aus ihrem Leben verschwinden...

            „Liebe am Papierrand“ entbehrt einer spektakulären Handlung wie beispielsweise „Hotel Iris“ und plätschert etwas dahin. Auch fehlen die typischen Gruselschauer, die einen bei Yoko Ogawa-Texten sonst ereilen. Stattdessen schwebt eine zauberhaft-phantastische Atmosphäre über der Geschichte, die vom Plot her auch von Banana Yoshimoto stammen könnte, ohne dass deren Blumigkeit der Sprache nötig ist.