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Sonntag, 5. Juni 2011

„Lange habe ich nicht vom Fliegen geträumt“ von Taichi Yamada

Taichi Yamadas „Lange habe ich nicht vom Fliegen geträumt“ erzählt die fantastischen Geschehnisse von nur wenigen Monaten im Leben des Herrn Taura. Alles beginnt damit, dass der depressive Protagonist sich im Alter von 47 Jahren aus dem zweiten Stock eines Sushi-Restaurants stürzt, sich einen Oberschenkelhalsbruch zuzieht und im Krankenhaus liegt. Dort hat er eine übersinnliche Vision: In der Nähe wird ein Zug entgleisen. Und tatsächlich: Der Zug verunglückt, die Krankenhauszimmer werden knapp und Herr Taura muss sich aus Platzmangel ein Zimmer mit Mutsuku teilen, die aber darauf besteht, mit einem Paravent abgeschirmt zu werden. In der Nacht haben Herr Taura und Mutsuko Verbalsex, während sie sich selbst befriedigen. Als Herr Taura am nächsten Morgen wieder in ein anderes Zimmer verlegt wird, kann er einen kurzen Blick auf Mutsuko erhaschen – und ist entsetzt: Die grauhaarige Mutsuko muss schon weiter über 60 Jahre alt sein. Die letzte Nacht ist ihm vor diesem Hintergrund sehr peinlich.

Kurz nach seiner Genesung wird Herr Taura zurück nach Tokio versetzt und tut seinen Dienst in der Abteilung, in die die psychisch labilen Mitarbeiter abgeschoben werden. Karriereambitionen kann er ab sofort vergessen.

Währenddessen ist seine Ehefrau vom Erfolg verwöhnt: Nachdem die gemeinsamen Kinder flügge geworden sind, macht sie sich mit einer eigenen Stadtteilzeitung selbstständig und kann sogar Angestellte beschäftigen. Herr Taura fühlt sich minderwertig und entfremdet sich zusehends von Sohn und Ehefrau.

Unversehens meldet sich Mutsuko bei ihm, um ein Wiedersehen zu arrangieren. Herr Taura ist von diesem Ansinnen so gar nicht begeistert: Ihm steckt die Peinlichkeit ihrer ersten Begegnung noch in den Knochen. Obwohl er ein Treffen ablehnt, läuft er Mutsuko auf dem Nachhauseweg von der Arbeit in die Arme. Sie scheint um mindestens 20 Jahre jünger als im Krankenhaus und spricht von einer Verjüngung. Herr Taura ist baff: Geht das mit rechten Dingen zu? Und warum kann er in Mutsukos Gegenwart wieder so gut französisch und englisch sprechen wie zu Studienzeiten; sich an vor langer Zeit gelesene Gedichte erinnern?

Übersinnliches geschieht in Taichi Yamadas „Lange habe ich nicht vom Fliegen geträumt“; das Ende bleibt offen. Die Figur des Herrn Taura in einer späten Midlifecrisis ist ein sympathischer Anti-Held. Doch seine Liebe zu Mutusko kann man als Leser nur bedingt nachvollziehen: Sind es nicht eher die Schönheit Mutuskos und der Wunsch, aus seinem faden Dasein auszubrechen, die ihn so an ihr faszinieren?

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